Freitag14. November 2025

Demaart De Maart

L’histoire du temps présentDer Verrat der Regierung an der Freiwilligenkompanie und seine Folgen

L’histoire du temps présent / Der Verrat der Regierung an der Freiwilligenkompanie und seine Folgen
Soldaten der Luxemburger Freiwilligenkompanie beim Marschieren durch die Hauptstadt mit den während der „drôle de guerre“ eingeführten Helmen Foto: „Musée national d’histoire militaire Diekirch“

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„Schafft mat en; Schafft ge’nt se; Macht we‘ der wöllt – t’Regierung gêt elo fort.“1 Mit diesen zynischen Worten soll sich laut des Militärarztes der Freiwilligenkompanie (FK), Dr. Paul Felten, der Justizminister, Victor Bodson, von den Offizieren der beiden Kompanien (FK und Gendarmenkompanie (GK)) der Bewaffneten Macht (BM) in den frühen Morgenstunden des 10. Mai 1940 verabschiedet haben, bevor Letzterer zusammen mit den andern Regierungsmitgliedern im Kasernenhof auf dem Heiliggeistplateau ihre Dienstwagen bestiegen und ihre Flucht nach Frankreich antraten. Aber was war geschehen?

Im Falle eines deutschen Einmarsches in Luxemburg hatte die luxemburgische Regierung bereits im Vorfeld beschlossen, das Land zu verlassen. Um aber nicht erneut wie 1914 beim letzten deutschen Einmarsch überrascht zu werden, wurde seit dem 25. August 1939 der sogenannte „Grenzschutz“ entlang der deutschen und französischen Grenze organisiert, der von 535 Mann (271 Zollbeamten, 142 Gendarmen der GK und 122 Soldaten der FK) gewährleistet wurde. Im Ernstfall sollte der Grenzschutz die Landesautoritäten in der Hauptstadt über einen deutschen Einmarsch informieren und die Sperrpforten an den Grenzen verschließen, um so genügend Zeit zu schinden, damit die Regierung das Land verlassen könnte, bevor die deutschen Angreifer Luxemburg-Stadt erreichen würden, was dann auch so in den ersten Stunden des 10. Mai 1940 geschah.

Die Freiwilligenkompanie und der Krieg

Bevor die Regierungsmitglieder aber das Großherzogtum in Richtung Frankreich verließen, begaben sie sich mit ihren Dienstwagen in die Heiliggeistkasernen, um mit dem Offizierskorps der BM über weitere Befehle für die FK und die GK zu beraten. Dabei wurde den Offizieren die Idee unterbreitet, dass zwei Züge Soldaten aus jeweils 35 Mann unter der Leitung eines Leutnants mit LKWs nach Echternach bzw. nach Grevenmacher entsendet werden sollten, um den einfallenden deutschen Truppen dort mit Waffengewalt entgegenzutreten. Die Offiziere empörten sich über diesen dreisten Vorschlag der Regierung, eine Handvoll Männer ohne jegliche Gefechtsausbildung gegen eine solche Übermacht in den sicheren Tod zu schicken. Das Treffen endete im Streit zwischen der Regierung und den Offizieren, weshalb Erstere die Letzteren ohne jegliche Anweisungen für die Zukunft im Regen stehen ließen. Ähnlich wie Dr. Felten erinnerte sich der Leutnant der FK, Will Albrecht, der in den 1950er Jahren Chef der Luxemburger Armee, der direkten Nachfolgerin der FK, werden sollte, später wie folgt an den Abgang der Regierungsmitglieder aus den Kasernen: „[E]ch heiere nach vei de minister Bodson mam majouer Speller geschwaat huet, ech heiere nach vei de majouer fréét: „Vèlech uerderen hanerloost der ons? Vaat sole mer maachen?“ An t èntvert voor: „Sheist op t Praisen! Miir fueren elo fort!“ De majouer vollt nach èpes froen, t autosdiir as oover zougeklapt, an t véén sin oofgefuer. De majouer soot duerop: „Miir sin e neitraalt laant, en uerder zum sheisse gin ech net.“2 Der Verrat war damit perfekt.

Am 4. Dezember 1940 wurde die FK geschlossen (über 450 Mann) nach Weimar zu einer Polizeiumschulung geschickt, wovon zwei Drittel bis zum 10. Juni 1941 auf verschiedene bewaffnete Einheiten in Deutschland verteilt wurden. Es begann eine jahrelange Kriegsodyssee für die allermeisten FK-Mitglieder, während der das Verhalten dieser Männer von Dienstverweigerung aus antinationalsozialistischer Überzeugung, gefolgt von KZ-Strafen, die für einige mit dem Tod endeten, bis zu jenen 14 ehemaligen FK-Soldaten, die als Mitglieder des berüchtigten Reserve-Polizei-Bataillon 101 sich willig und direkt am Holocaust beteiligten, reichte. Alle Facetten des Spektrums von handfestem Widerstand bis zur willigen Kollaboration waren damit vertreten.

Rückkehr der Veteranen

Als einen Schlag ins Gesicht empfanden deshalb jene FK-Veteranen, die 1945 aus jahrelanger KZ-Haft nach dem Krieg heimkehrten, den Umstand, dass genau jene Regierung, die sie vor fünf Jahren im Stich gelassen hatte, versuchte, sich nun wieder an die Spitze des Landes zu setzen. Die Luxemburger Bevölkerung war aber nach über vier Jahren deutscher Besatzung zutiefst gespalten: Resistenzler und Kollaborateure standen sich unversöhnlich gegenüber. Der Versuch der Vorkriegsregierung, sich direkt nach der Befreiung wieder an die Macht zu drängen, wurde deshalb lautstark von der neu geformten, größten politischen Opposition im Land, der Unio’n, dem Zusammenschluss der verschiedenen Luxemburger Resistenzgruppen der Besatzungszeit, kontestiert, die nun an die Großherzogin appellierte, dass sie eine neue Regierung bilden sollte, da man kein Vertrauen mehr in die „Hommes de Londres“3 – Pierre Dupong, Joseph Bech, Victor Bodson und Pierre Krier – hätte.

Die Regierung ihrerseits wollte sich dieser Opposition entledigen und sie mundtot machen, und um das Volk aus Machterhaltungsgründen wieder zu einen, verklärte die Regierung das Verhalten fast aller Luxemburger während des Krieges als einen geeinten Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht. Damit legitimierte die Regierung Mitläufer- und Duckmäusertum als Widerstand und setzte dies auf eine Stufe mit dem eigentlichen Widerstand.

Dies führte dazu, dass nach dem Krieg auch jene Veteranen der bereits im Juni 1944 von der Exilregierung aufgelösten FK in der Gendarmerie, der neuen Luxemburger Armee oder einem anderen Staatsdienst Karriere machen konnten, die während des Krieges mit den Nationalsozialisten sympathisiert oder gar kollaboriert hatten, ohne dass ihre Kriegsvergangenheit während der „Epuration“ ernsthaft hinterfragt worden wäre. Die FK-Veteranen, die wegen Dienstverweigerung 1942 zuerst ins Innsbrucker Gefängnis und dann in das KZ Dachau gebracht wurden und 1945 nach jahrelanger Haft nach Luxemburg heimkehrten, wollten und konnten sich nicht mit der neuen Realität in ihrer Heimat abfinden, und waren auch sechs Jahrzehnte nach Kriegsende nicht gut auf die damalige Regierung und einige ihrer ehemaligen FK-Kameraden zu sprechen, wie es aus Roger Seimetz’ Artikel von 2005 im forum zu vernehmen ist. Hier zum Abschluss die Aussage eines FK-Veteranen, der am 29. April 1945 nach mehr als drei Jahren Internierung im KZ Dachau von der US-Armee befreit wurde:

„Unsere Chefs waren während des Krieges in leitenden Positionen gewesen. In der SS oder nicht, war ja auch egal. Noch heute begegne ich wöchentlich einem Vorkriegskollegen aus der „Compagnie des volontaires“, der von 40 bis 45 in der Waffen-SS war und nach dem Krieg einen Befehlsposten in der Gendarmerie innehatte. Ich könnte ihm heute noch ins Gesicht spucken und ihm die Fresse möblieren, will aber wegen so einem Dreckskerl nicht (wieder) ins Gefängnis. – Die hätte man alle nach dem Krieg suspendieren sollen. Sein Gesinnungsvorgesetzter ging jeden Tag in die Kirche. Um Vergebung bitten? Ich bitte, nein. Vor dem Altar saßen die anderen, die „ganz oben am Hebel“, und bescheinigten diesem Lumpenkerl, er sei „ein guter Patriot“ gewesen. Gut, aber nicht Patriot. Ein „Uschësser“ ersten Ranges, Denunziant noch nach dem Krieg, dem ich als Gendarm Schikanen und Scherereien ausgesetzt war. Ja, ich war Gendarm. Ich wollte Geld verdienen und Luxemburg dienen. Nicht diesen Leuten. Aber es gab auch andere. Kollegen aus Dachau oder anderen Lagern. Wir hielten zusammen. Alle, die in Innsbruck den Eid nicht auf Hitler abgelegt hatten, sondern auf die Großherzogin. Sie hat uns nicht verraten, aber die Regierung hat uns im Mai 1940 den Deutschen ans Messer geliefert, um sich selbst freizukaufen. Wir wurden bereits in Luxemburg und vor dem 10. Mai verkauft, denn die London-Exilanten hätten die Freiwilligentruppe auflösen müssen, und der Feind hätte uns niemals zwingen können, nach Weimar in die Umschulung zu gehen. Aber dafür hätte die Regierung ihren Mann stehen müssen. Was konnte man von Politikern erwarten, die vor dem Krieg Faschisten den Kommunisten vorzogen?! ,Si solle bleiwen, wou se sinn‘, hätte man denen 1945 ins Gesicht schreien sollen.“4

* Michel R. Pauly studierte Geschichte in Frankreich, Deutschland, der Schweiz und Luxemburg und schloss sein Studium 2019 mit einer Masterthese über die Geschichte der Luxemburger Freiwilligenkompanie während des Zweiten Weltkrieges ab. Seit 2020 arbeitet er als Doktorand für das C2DH an der Universität Luxemburg.

1 ANLux, FD-005-04, XI 10-13. Mai 40: Lokalberichte, Zitat des Vertragsmilitärarztes der FK, Dr. Paul Felten, über die Besprechungen mit der Regierung in den Kasernen am 10. Mai 1940 in den Notizen E.T. Melchers zur Recherche seines Buches, ohne Datum.

2 Albrecht, Will, „T Fraiveléje-Kompani frum 10. Mé 1940“, in Freiwëllegekompanie 1940-1945, Bd. 2, (Hrsg.) Jacoby, Louis, Trauffler, René, Imprimerie St.-Paul, Luxemburg, 1986, S. 47.

3 Thewes, Guy, Les gouvernements du Grand-Duché de Luxembourg depuis 1848, Service information et presse du gouvernement luxembourgeois, Luxemburg, 2011, S. 117.

4 A.T. in Seimetz, Roger, „Vergessen, verraten und missverstanden. Zeugenaussagen und Innenansichten aus der Gefühlswelt der KZ-Heimkehrer.“, in forum, Nr. 251, November 2005, S. 45.

Robert Hottua
31. Oktober 2021 - 19.07

Vielen Dank Herr Pauly für die offenen Worte. 1974 hat meine Mutter (Jahrgang 1916) mich auf die Nazibegeisterung der lux. Vor- und Nachkriegsregierungen hingewiesen. Daraufhin bin ich zwanzig Jahre lang aus Luxemburg geflüchtet. Bis heute kann ich die Tatsache, daß meine katholischen Eltern vom schwarzen episkopalen Reich gezwungen wurden, an der genozidalen Rassenhygiene des katholisch-arischen Führers mitzuwirken, nicht akzeptieren. Ich bin durch rassenhygienische Verbrechen belastet. Eine tabuisierte Vergangenheit ist der Nährboden für eine ungebrochene Tradition.
"Im August 1933 wurde die NSDAP-Luxemburg mit Genehmigung der luxemburgischen Regierung gegründet. Sie zählte 600-800 Mitglieder und verfügte über drei 'Braune Häuser' in Luxemburg, Esch/Alzette und Wiltz. Am 26. April 1934 wurde die 'Luxemburger Gesellschaft für deutsche Literatur und Kunst', kurz 'Gedelit' gegründet und Professor KRATZENBERG mit ihrer Leitung beauftragt.
(Tino RONCHAIL, Kulturissimo No. 138, 15.05.2015)
"(...) Es geht nicht, daß man GLOBKE vom Staat Luxemburg aus einen Orden verleiht, wo doch derselbe GLOBKE während des Krieges befunden hat, die Luxemburger seien keine Luxemburger, sondern seien dadurch, daß ihre Großherzogin geflohen sei, gewissermaßen staatenlos und vogelfrei. (...)"
(Rudolf AUGSTEIN, Spiegel, 09.03.1965)
https://www.spiegel.de/politik/fuer-voelkermord-gibt-es-keine-verjaehrung-a-f0f3ba98-0002-0001-0000-000025803766
MfG
Robert Hottua

Wieder Mann
31. Oktober 2021 - 16.40

Ein bemerkenswerter Artikel , der bei manchen Zeitgenossen einen Schluckauf hervorrufen tut . Allerdings hat die damalige Regierung sich nicht nur in der Afffäre FK mit Ruhm beklecket..Aus den Erzählungen von Zeitzeugen ist mir bekannt KZ Häftlinge sich selber um Heimreise , Versorgung kümmern mussten, ihnen von staatlicher Seite nicht geholfen wurde.