LettlandDer unabhängige russische Online-TV-Sender „Doschd“ verliert seine Lizenz

Lettland / Der unabhängige russische Online-TV-Sender „Doschd“ verliert seine Lizenz
Der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks riet den Journalisten, doch nach Russland zurückzukehren Foto: Andy Commins/Pool/AFP

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Der unabhängige russische Online-TV-Sender „Doschd“ hatte im März Russland verlassen – weil er zu sehr die Position der Ukraine vertreten haben soll. Nun entzieht ihm Lettland, wo er seit dem Sommer sendet, die Lizenz – weil er nach Ansicht der lettischen Behörden zu sehr die Russen in Schutz nimmt.

Ein Satz, der live über den Sender ging und Verständnis für die Lage russischer Zwangsmobilisierter zeigte, macht nun diesem Sender den Garaus. Die lettischen Behörden entziehen dem unabhängigen russischen TV-Online-Kanal Doschd (Regen) die Sendelizenz. Ab 8. Dezember dürfen die Journalisten ihre Beiträge nicht mehr über Kabel verbreiten. Damit verliert Doschd nicht nur an Reputation, sondern auch Werbeeinnahmen. Doschd gefährde die Sicherheit Lettlands, sagte Ivars Abolins, der Vorsitzende des lettischen Nationalen Rates für elektronische Massenmedien, und fügte hinzu, der Doschd-Leitung sei die Schwere ihrer Verstöße nicht bewusst. Der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks riet den Journalisten, doch nach Russland zurückzukehren.

Das sind harsche Aussagen, die die Tragik des liberalen russischen Journalismus aufzeigen. Zeigen, unter welchem Druck die Medienmacher stehen, die Empathie für ihr Land und dessen Menschen empfinden und gleichzeitig so viel Ekel. Die einer Schwarz-Weiß-Optik differenziert zu begegnen versuchen und sich nicht gegen die Radikalität wenden können, die der Krieg und seine Folgen mit sich bringen.

Was war geschehen? Der Moderator Alexej Korosteljow, seit 2014 beim Sender, sagte am Ende seiner Live-Sendung am vergangenen Donnerstag: „Wir hoffen, dass auch wir den vielen Militärangehörigen helfen konnten, zum Beispiel mit Ausrüstung und elementarem Komfort an der Front“. Es waren Worte, denen selbst beim Sender Entsetzen folgte. Chefredakteur Tichon Dsjadko entschuldigte sich öffentlich für den „Fehler, der in Zeiten eines Krieges unverzeihlich ist“. Doschd entließ Korosteljow, aus Protest über diese Entscheidung waren ihm noch drei weitere Kollegen gefolgt.

Von Moskau als „ausländischer Agent“ gebrandmarkt

In Lettland, der Ukraine und auch bei manchen russischen Oppositionellen im Exil sorgen Korosteljows Worte für einen Sturm der Entrüstung. Doschd unterstütze die russische Aggression, schreiben aufgebrachte Nutzer sozialer Netzwerke. Die Journalisten tarnten sich lediglich als liberal und unabhängig, seien aber im Dienste des Kreml unterwegs und im Grunde ihres Herzens Imperialisten wie ohnehin alle Russinnen und Russen.

Die emotional vorgetragenen Vorwürfe übergehen in ihrem Kern die Arbeit der Doschd-Journalisten, die seit dem Maidan in Kiew klar und deutlich Position für die Ukraine beziehen – und damit mehrfach von russischen Behörden attackiert worden sind. Bis hin zur Einstellung ihres Programms in Russland im März dieses Jahres.

Seit ihrer Gründung 2010 wollen die Doschd-Macher nie das sein, was offizielle Stellen von ihnen verlangen. Der Sender machte stets das, was andere russische Sender mieden: Die Journalisten begleiteten Straßenproteste direkt aus der Menge der Demonstranten, sie verbrachten Stunden im Gericht, wenn der Staat wieder einmal ein politisches Urteil fallen ließ, sie prangern bis heute offen das System Putin an. Dutzende von ihnen hat der russische Staat als „ausländischer Agent“ gebrandmarkt, für die sogenannte „Diskreditierung der russischen Armee“ droht den Journalisten in ihrem Heimatland eine jahrelange Haftstrafe.

Kreml-Sprecher kommentiert süffisant

Mit Schwierigkeiten können die „Regentropfen“, wie sie sich zuweilen selbst bezeichnen, umgehen. 2014 hatten alle russischen Kabelanbieter den Sender nach einem Skandal um eine Umfrage zur Befreiung von Leningrad aus ihrem Programm genommen. Der Vermieter kündigte die Räume im Zentrum Moskaus, Doschd zog kurzentschlossen in die Wohnung der Sendergründerin Natalja Sindejewa und bestritt das Programm aus deren Küche und Bad. Sie verloren Zuschauer und Geld, den Mut aber verloren sie nie. Auch nicht, als sie vor neun Monaten ihre neuen Räumlichkeiten in einer alten Kristallfabrik räumten und von einem Tag auf den anderen Russland verließen.

Seit dem Sommer senden sie aus Lettland. Die Zuschauer danken es ihnen und sind nun bestürzt über die Entscheidung der Behörden in Riga. „Es lebe Doschd, uns dürstet es nach ungefärbten Informationen“, schreiben sie in den sozialen Netzwerken. Kollegen – viele von ihnen sind ebenfalls im Exil – loben Doschd für seine Professionalität. Russlands Propagandisten indes höhnen und fordern die „Verräter“ auf, nach Russland zurückzukehren und Reue zu bekennen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kommentierte die Entscheidung der Letten als Beispiel, der den „Trugschluss der Illusionen“ demonstriere, woanders sei „mehr Freiheit als zu Hause“.

Ob die Doschd-Journalisten ihre Aufenthaltsbewilligungen für Lettland behalten dürfen, steht noch aus. Sie bezeichnen den Entzug der Lizenz als „absurd“ und senden über YouTube weiter. Vorerst.