Historiker Majerus reagiert„Der Student Xavier Bettel hätte erwischt werden müssen“

Historiker Majerus reagiert / „Der Student Xavier Bettel hätte erwischt werden müssen“
Die zwei Luxemburger Wissenschaftler haben Bedenken an der Wissenschaftlichkeit von Bettels Arbeit Fotomontage: Grafik Tageblatt

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Gegen Luxemburgs Premierminister wurden drastische Plagiatsvorwürfe erhoben: Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel soll 96 Prozent der Seiten seiner Abschlussarbeit an der „Université de Nancy II“ kopiert haben. Das Tageblatt hat sich mit Julio Paulos, einem Wissenschaftler der Universität Lausanne, und Benoit Majerus, Historiker an der Universität Luxemburg, über wissenschaftliche Standards und die Praxis vor 20 Jahren unterhalten.

Die Plagiatsvorwürfe gegen Premierminister Xavier Bettel (DP) sind auch an der Universität Lausanne angekommen: Der Luxemburger Julio Paulos ist Wissenschaftler an der Hochschule – und bestens bewandert in Sachen wissenschaftliche Standards und Praktiken. Während Paulos akademischer Laufbahn konnte er sich nämlich mit den Arbeitsweisen so einiger Universitäten vertraut machen: darunter die ETH Zürich, die TU München und die Mines ParisTech.

Für Paulos ist Bettels Arbeit ganz klar ein Plagiat. Aber der Forscher geht noch weiter – und hinterfragt die wissenschaftliche Arbeitsweise, die in der Zeit von Bettels Abschluss im Jahr 1999 an der „Université de Nancy II“ (heute: „Université de Lorraine“) als Standard galt. Er fragt sich auf Twitter, ob Bettels Arbeit eine Ausnahme ist – oder damals sämtliche Arbeiten an der Fakultät in diesem Stil verfasst wurden. „Mir ging es vor allem darum, zu hinterfragen, ob andere Menschen des gleichen Jahrgangs auch so gearbeitet haben, also ob das der Modus Operandi damals war“, sagt Paulos im Gespräch mit dem Tageblatt.

Ihm gehe es weder darum, den Premierminister zu verteidigen, noch ihn an den Pranger zu stellen. Man müsse lediglich den Fall in einen Kontext setzen und „aus der damaligen Perspektive“ beleuchten und verstehen.

Laut Reporter sagte Bettels Uni-Betreuer – der Politikwissenschaftler Etienne Criqui – zu den Vorwürfen, dass „der Kontext damals ein anderer“ gewesen sei. Paulos hält es nicht für ausgeschlossen, dass sogenannte „Compilations“ – also Aneinanderreihungen aus zum Teil paraphrasierten Informationen aus anderen Werken – zu der Zeit gang und gäbe waren. „Vielleicht war es der Standard der Fakultät von damals, so zu arbeiten.“ Paulos selbst habe bereits an vielen Universitäten gearbeitet – und festgestellt, dass die Arbeitsweisen zum Teil unterschiedlich waren.

Benoit Majerus, Historiker an der Universität Luxemburg, findet deutlichere Worte. „Auch im letzten Jahrhundert hat es schon wissenschaftliche Standards gegeben“, sagt Majerus im Gespräch mit dem Tageblatt. „Dass es damals nicht so war, ist eine Ausrede.“ Es gebe je nach Fachbereich durchaus unterschiedliche Zitierregeln – das sei jedoch kein Grund, dieses Plagiat zu relativieren.

Majerus hat in einem Beitrag auf Twitter die Ausrede von Bettels Betreuer Criqui stark kritisiert. „Man sollte aufhören, die Leute zu verarschen, indem man behauptet, dass 1999 alles anders war“, schreibt Majerus auf der Social-Media Plattform. Angehängt ist ein Screenshot von einer Seite aus einer Abschlussarbeit im Fachbereich Geschichte aus dem Jahr 1999. Gut erkennbar: Neun Quellenverweise auf wissenschaftliche Arbeiten, aus denen der Autor seine Informationen bezogen hat.

Paulos gibt ebenfalls zu bedenken, dass man zwischen Fehler durch Unachtsamkeit und „Fautes graves“ unterscheiden muss. Es käme immer wieder vor, dass Fehler beim Zitieren gemacht werden: Es sei eine Abschlussarbeit von einem Studenten, der eben Fehler mache. Im Falle Bettel allerdings scheint es eindeutig zu sein. Paulos schreibt in einem Tweet: „Ich meine, die Art und Weise, wie er betrogen hat, ist einfach grotesk, wenn man weiß, dass 96 Prozent des Stücks nicht von ihm sind.“

Zur wissenschaftlichen Arbeitsmethode gehören laut Paulos einerseits die Nennung der Quellen im Text sowie eine vollständige Auflistung aller benutzten Werke im Literaturverzeichnis im abschließenden Teil der Arbeit.

Ein beflecktes Aushängeschild?

Wie ist es möglich, dass das Plagiat niemandem aufgefallen ist? Rückwirkend – es geht um mehr als 20 Jahre – dürfte diese Frage nicht so leicht zu beantworten sein. Paulos wirft ein, dass Bettels Abschlussarbeit möglicherweise einfach nur überflogen wurde. Plagiate könnte man beim Lesen der Arbeiten an einem abrupten Stilwechsel oder einem sich verändernden Sprachniveau erkennen – das würde zumindest den Verdacht erwecken.

Ähnlich sieht das auch Benoit Majerus. Der Historiker von der Universität Luxemburg zweifelt gar daran, dass Bettels Betreuer die Arbeit überhaupt gelesen hat. „Das hat für mich den Anschein einer Gefälligkeitsarbeit.“ Auch Majerus sagt, dass abrupte Stilwechsel oder Unterschiede im Vokabular durchaus einen Verdacht hätten erregen müssen. „Für die Universität Nancy ist das ein richtiger Skandal“, sagt Majerus. „Dass Studenten betrügen, hat es schon immer gegeben – der Student Xavier Bettel hätte aber erwischt werden müssen.“

Paulos meint, dass sich neben den mit der Zeit effizienter werdenden Plagiat-Erkennungssoftwares auch das Betrügen verändert habe: „Die Umstände und die zur Verfügung stehende Technologie erlauben verschiedene Praktiken.“ Heute wisse man, dass viel besser auf Plagiate kontrolliert wird, darum würden Betrüger des Öfteren auf Ghostwriter – also Autoren, die eine Arbeit im Namen einer anderen Person schreiben – zurückgreifen.

Es stellt sich die Frage, was nun für Bettel auf dem Spiel steht. Wie die Uni Nancy über den Sachverhalt urteilen wird, bleibt abzuwarten. Die Hochschule hat jedoch noch am Mittwoch angekündigt, den Fall zu untersuchen. Ob Luxemburgs Premierminister das Diplom entzogen wird  oder nicht ist für die „Université de Lorraine“ sicherlich keine einfache Entscheidung. Denn: Bettel stünde laut Forscher Paulos in einem gewissen Sinne für die Universität. Und Xavier Bettel ist schließlich kein Unbekannter auf der europäischen Bühne – wie das Interesse ausländischer Medien an den Plagiats-Vorwürfen abermals gezeigt hat. Auch Luxemburgs Politiker haben sich bereits zu dem Plagiat-Skandal geäußert.


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@FrancoisB….
29. Oktober 2021 - 18.16

@FrancoisB: Übernehmen Sie?

FrancoisB
29. Oktober 2021 - 12.36

Die ganze Geschichte ist schon sehr suspekt. Bettel ist seit 2013 an der Macht und jetzt nach Ausweitung des CovidCheck Systems kommt ein junger Spunt einer nicht relevanten Onlinemedienplatform auf die Idee, die Abschlussarbeit zu analysieren und verursacht damit ein politisches Beben. Also das ganze ist überhaupt nicht organisch. Ich glaube, da hat es jemand auf Herr Bettel abgesehen. Vielleicht traut sich ja ein wahrer Journalist diese Geschichte aufzudecken

Sam
29. Oktober 2021 - 11.08

@D.W.: Das ist kein Problem, sie können sich immer auf die Hilfsbereitschaft ihrer Untergebenen verlassen.

Patrick W.
29. Oktober 2021 - 10.43

E Fall fir ASSOSS an UNEL, e neit Kapitel iwwert de Plagiat wäer ubruecht…

Sam
29. Oktober 2021 - 9.21

Scheint so als wäre Bettel 2022 nicht mehr da. Scheint auch so als würden alle Geisteswissenschaften an den Unis abgeschafft werden und durch ein Fach ersetzt werden, nämlich das Fach "Meistern von Zitaten - Der schnelle Weg zum Ziel". Scheint auch so als wären die hoch gelobten französischen Unis doch nicht so lupenrein.

D.W.
29. Oktober 2021 - 9.21

Selbstanzeige: ich habe in den Jahren von 1966 bis 1976 ohne Nennung einer Quelle von meiner damaligen Banknachbarin sowohl zu 50% bei Klassenarbeiten und wegen Faulheit bei den Hausaufgaben abgeschrieben. Ich bitte meine damaligen Lehrer und die Banknachbarin um Vergebung und das ich mein letztes Schulzeugnis trotzdem behalten darf! Vielen Dank! :-)

Klod
29. Oktober 2021 - 8.42

XB nimmt es halt,wie die meisten politiker,nicht so genau mit der ehrlichkeit und wirklichkeit. Diese sache ist per se eine bagatelle...allerdings auch ein gefundenes fressen wenn man xavier eins auswischen will. Aber sein wir mal ehrlich...will man wirklich den ruecktritt bettels und cahen oder meisch an seiner stelle?

jean
29. Oktober 2021 - 7.16

Gab es villeicht persönliche Affintäten zwischen Autor und Korrektor? In bestimmten Kreisen können solche Seilschaften vieles bewirken.

Wieder Mann
29. Oktober 2021 - 6.13

@marc:Verstinn dat net esou riichteg.Ass dat gemengt fir den Häer Dugin an d‘Romanows?

Grober J-P.
28. Oktober 2021 - 21.49

Nein, nein, so war das nicht. Damals gab es einige arme Examinatoren die schnell an Geld kommen wollten. Es gab auch schon welche die sich Adelstitel erkauft haben. Was soll daran schon anrüchig sein? Würde zu gerne mal wissen wer in den Schulakten von damals zuerst rumgewühlt hat, bitte melden!

marc
28. Oktober 2021 - 17.49

dis moi qui tu fréquentes et je sais qui tu es ... ou tous sont...!

jojo
28. Oktober 2021 - 17.33

Was heißt hier "vor 20 Jahren"? Abgeschrieben bleibt abgeschrieben! Das war schon vor 100 Jahren nicht zulässig. Meistens gab es einen Verweis von der Universität.