Tutelle und CuratelleDer Schutz vor sich selbst: Vormundschaft ist keine Strafe

Tutelle und Curatelle / Der Schutz vor sich selbst: Vormundschaft ist keine Strafe
Den Vormunden des TACS ist es wichtig, nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg zu entscheiden. Dafür setzen sie auf Dialog.  Foto: Freepik

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Beistandsschaft und Vormundschaft sind Themen, mit denen nur die wenigsten Menschen im Alltag konfrontiert werden. Wenn plötzlich aber eine sogenannte „Curatelle“, respektive „Tutelle“ im Raum steht, passiert das zu einem Moment, an dem das Kind meist schon im Brunnen liegt. In einem solchen Fall kann der TACS helfen – eine gemeinnützige Vereinigung, die professionelle Vormunde stellt.

Guter Rat ist teuer. Das weiß auch Joëlle: „Eigentlich stand Steve immer mit zwei Beinen im Leben. Zumindest hatte es so den Anschein“, erklärt die 43-Jährige. In manchen Dingen sei ihr jüngerer Bruder zwar „etwas eigen“ gewesen, ansonsten habe jedoch nichts darauf gedeutet, dass er mit bestimmten Aspekten im Leben schlichtweg überfordert gewesen sei.

„Er hat einen gut bezahlten Bürojob, treibt regelmäßig Sport und trifft sich oft mit Freunden“, fährt Joëlle fort. Der Gedanke, dass etwas nicht stimmen könnte, sei ihr erst gekommen, als ihr Bruder aus heiterem Himmel vor ihrer Haustür aufgekreuzt sei, um dort übernachten zu können. „Zuerst wollte er nicht mit der Sprache rausrücken. Seine Freundin habe Schluss gemacht, er wisse nicht so recht wohin. Unseren Fragen wich er konsequent aus. Und von sich aus gab er kaum etwas preis, was eigentlich nicht seiner Natur entspricht. Aus Tagen wurden Wochen, bis plötzlich der Gerichtsvollzieher bei uns auf der Matte stand“, erinnert sich Joëlle.

Mehrere zehntausend Euro Schulden hatte ihr Bruder angehäuft – das meiste davon Spielschulden. „Ich war wie vom Blitz getroffen“, so die ältere Schwester. Zuerst seien es nur sporadische Besuche im Kasino gewesen, das eine oder andere Rubbellos, vereinzelte Poker-Partien im Netz. Dann aber sei Steve immer tiefer in die Spielsucht abgerutscht. „In Mondorf hatte er plötzlich Hausverbot, also hat er sein Glück in den Spielhallen der Grenzregion gesucht. Und bei Glücksspielen im Netz. Als das Gehalt nicht mehr ausreichte, hat er sich mit Darlehen von dubiosen Kreditanstalten im Ausland über Wasser gehalten. Rechnungen oder Miete hat er überhaupt nicht mehr beglichen. Jeder einzelne Cent ist in Glücksspiele geflossen“, seufzt Joëlle.

„Genug ist genug“

Auf Reue und Einsicht folgten Rückfälle. „Und weitere Schulden. Es war wie ein Fass ohne Boden“, so die 43-Jährige. „Es war so schlimm, dass meine Eltern sogar darüber nachdachten, ihr Haus zu verkaufen und in ein billigeres Appartement zu ziehen. Das war aber dann der Punkt, an dem wir alle dachten: Genug ist genug“, betont die ältere Schwester. Da der jüngste Spross der Familie aber keine Einsicht zu zeigen schien, habe man schlussendlich die juristische Reißleine ziehen müssen: die der Beistandsschaft oder „curatelle“.

Laut Luxemburger Recht gibt es drei juristische Möglichkeiten, volljährige Personen vor negativen Folgen der eigenen Handlungen – also quasi vor sich selbst – zu schützen. Die zeitlich begrenzte „sauvegarde de justice“, die sogenannte „curatelle“ (Beistandsschaft) und die „tutelle“, die Vormundschaft. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine Unterstützung in finanziellen und administrativen Vorgängen. Der Unterschied zwischen den beiden Letztgenannten: Bei einer „curatelle“ wird die betroffene Person in besagten Vorgängen von einem Kurator begleitet, hat letztendlich aber immer noch eine gewisse Entscheidungsgewalt. Bei einer „tutelle“ fällt diese allerdings ganz weg: Auf juristischer Ebene kann nur noch der Vormund entscheiden.

Im Fall von Steve war die Spielsucht und die damit einhergehende Verschuldung bereits so weit fortgeschritten, dass sich die Familie an das Vormundgericht wenden musste. Steve sei persönlich nicht mehr in der Lage gewesen, gesunde Entscheidungen im eigenen Interesse zu treffen, so Joëlle. „Jeden einzelnen Cent hat er mit Glücksspielen verpulvert. Wir mussten ihm den Zugriff aufs eigene Einkommen einschränken und einen Weg finden, die angehäuften Schulden zu begleichen.“

Der Verlust der persönlichen Entscheidungsgewalt in finanziellen und administrativen Vorgängen bedeutet für Betroffene ein krasser Einschnitt. „Die meisten Menschen empfinden es als Strafe. Dabei ist es eigentlich eine Schutzmaßnahme, eine Hilfe. Wir entscheiden fortan, was mit dem Geld passiert und wie es weiter geht“, betont Joé Feidt vom TACS.

Beim „Tutelle a Curatelle Service“ (TACS) handelt es sich um eine gemeinnützige Sozialeinrichtung, deren elf Mitarbeiter vom Gericht als professionelle Vormunde eingesetzt werden können. Mehr als 530 Menschen werden aktuell von der Vereinigung betreut. Und das in drei bestimmten Fällen: „Wenn die betroffene Person keine Familienangehörige mehr hat, die das übernehmen können. Wenn die Familie es nicht übernehmen kann oder möchte. Und wenn das Risiko besteht, dass eine Vormundschaft zu Streit innerhalb der Familie führen könnte“, erklärt Feidt.

„Um jeglichen Problemen aus dem Weg zu gehen, werden vom Gericht dann Dienste wie der TACS eingesetzt“, fährt der gelernte Sozialarbeiter fort. „Es ist wichtig, dass die Familie in schwierigen Momenten Unterstützung erhält. Statt Geldsorgen und Streitigkeiten sollen Angehörige die Möglichkeit erhalten, den betroffenen Familienmitgliedern zur Seite zu stehen.“

„Man kann niemanden zwingen“

Feidt ist sich bewusst, dass sich viele Gerüchte und falsche Vorstellungen um die Vormundschaft ranken. „Es gibt viele Annahmen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen und viele Interpretationen unserer Arbeit, wie sie im Alltag nicht gehandhabt wird“, meint der Experte. So befürchteten etwa viele Betroffene, dass sie unter einer Beistandsschaft oder Vormundschaft jegliche Gewalt über das eigene Leben verlieren. „Viele meinen, dass sie nicht mal mehr entscheiden dürfen, wo sie leben. Vor allem ältere Personen befürchten, in ein Alters- oder Pflegeheim abgeschoben zu werden. Das stimmt aber nicht. Man kann niemanden zwingen“, so Feidt.

Beim TACS wird auch viel Wert darauf gelegt, Entscheidungen zusammen mit den Betroffenen durchzugehen. Auch wenn die Entscheidungsgewalt letztendlich beim Vormund oder Kurator liegt. „Ob ,curatelle‘ oder ,tutelle‘: In der Praxis behandeln wir jeden Kunden gleich. Schließlich geht es hier um Menschen, deren Leben und deren Finanzen. Jeder soll mitreden können. Deshalb versuchen wir die Betroffenen immer mit einzubinden“, so Feidt. Und sollte der Betroffene nicht mit dem Vorschlag einverstanden sein, bleibt immer noch der Gang zum Richter, der in solchen Fällen das letzte Wort hat.

Laut Gesetz sollen Vormund- oder Beistandsschaften nur bei administrativen und finanziellen Vorgängen entscheiden. „Uns ist es aber wichtig, auch den sozialen Aspekt zu berücksichtigen“, meint der Sozialarbeiter. Schließlich handele es sich bei Betroffenen oft um Menschen am Rande der Gesellschaft, die durch das soziale Raster gefallen seien. „Wir können nicht nur Finanzen und Papiere verwalten. Stattdessen müssen wir auch helfen. Schließlich handelt es sich um Menschen und nicht um Dossiers“, betont Feidt.

Leider habe der TACS nicht die nötige Manpower für eine vollständige soziale Begleitung. Vielmehr verweise man die Betroffenen oder ihre Familien an Vereinigungen, wie etwa die „Association des familles ayant un proche atteint de psychose au Luxembourg“ (AFPL). Oft sind es nämlich Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, die für eine Vormundschaft infrage kommen. „Es handelt sich hierbei um ein heikles Thema“, sagt beispielsweise die AFPL-Präsidentin Mady Juchem.

Vormundschaft werde immer noch wie ein Tabu behandelt, über das nicht öffentlich gesprochen werde. Für die AFPL sei es aber wichtig, dass Betroffene und deren Angehörige über die Möglichkeiten aufgeklärt werden. Vor allem wegen der vielen Gerüchte und falschen Vorstellungen, so Juchem. „Viele Angehörige wissen nicht, was die Vorteile und Nachteile einer Vormundschaft sind, wie sie eine solche beantragen sollen und an wen sie sich wenden können.“ Vor diesem Hintergrund sei die Zusammenarbeit mit Diensten wie dem TACS äußerst wertvoll.

6. „Journées de la psychose“

Laut Weltgesundheitsorganisation leidet ein Prozent der Weltbevölkerung unter einer Psychose. In Luxemburg wären dies rund 6.400 betroffene Personen. Aus diesem Grund versucht die „Association des familles ayant un proche atteint de psychose au Luxembourg“ (AFPL) regelmäßig auf die Folgen der entsprechenden Krankheiten aufmerksam zu machen. Diese Woche finden im Rahmen der 6. „Journées de la psychose“ noch zwei Konferenzen statt, die Betroffene und Interessierte ohne Weiteres im Netz verfolgen können. Heute, am 20. April, stellt Joé Feidt vom TACS die Luxemburger Gesetzgebung zu „tutelles“ und „curatelles“ und die Arbeit der eigenen Vereinigung vor. Dabei wird der Conférencier auf sämtliche Fragen eingehen, die Betroffene zu Vormundschaften haben können. Am Montag, 25. April, steht ab 18.30 Uhr das „Open Dialogue“ im Mittelpunkt. Dr. Luc De Bry, selbst ein betroffener Vater, stellt den alternativen Behandlungsansatz in akuten psychotischen und psychosozialen Krisen vor, der in den letzten 35 Jahren mit viel Erfolg eingesetzt werden konnte. Wie etwa beim eigenen Sohn, der selbst jahrelang unter Schizophrenie gelitten hat. Interessenten können sich für beide Konferenzen noch auf www.afpl.lu anmelden. Später können die Vorträge noch auf dem Youtube-Kanal der Vereinigung aufgerufen werden, darunter auch die erste Konferenz dieses Zyklus: „Aufopfern ist keine Lösung“ – bei der Janine Berg-Peer über Mut zu mehr Gelassenheit für Eltern psychisch erkrankter Kinder und Erwachsener spricht.