Absurdes GesetzDer russische Champagner-Etikettenschwindel

Absurdes Gesetz / Der russische Champagner-Etikettenschwindel
Die russische Elite wird wohl kaum bei dem vom Kreml verordneten Etikettenschwindel mitmachen Foto: AFP/Alexander Nemenov

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Künftig gehen nur noch einheimische Weinerzeugnisse als Champagner durch. Französische Produzenten drohten kurz mit Lieferstopp.

Einige Erzeugnisse des Weinhauses Abrau-Durso führten schon bisher selbstbewusst den Begriff „Russischer Champagner“ auf ihren Etiketten. Denn mehrere der hochwertigeren Schaumweine aus der Kellerei an der russischen Schwarzmeerküste werden nach der Champagner-Methode hergestellt. Doch selbst in russischen Supermarktregalen konnte man billigen Sprudel finden, der großspurig den Titel „Schampanskoje“ trug. Dass „Champagner“ eigentlich seit langem eine geschützte Ursprungsbezeichnung ist, die eine geografische Region, bestimmte Reben und einen spezifischen Herstellungsprozess bedingt, kümmerte die russischen Kellereien also schon bisher nicht allzu sehr.

Nun geht der Kreml noch einen Schritt weiter und dreht mit einem Gesetz einfach den Spieß um: Die Bezeichnung Champagner ist in Russland ab sofort ausschließlich russischen Produkten vorbehalten. Ein von Präsident Wladimir Putin in der Vorwoche unterzeichnetes Gesetz legt fest, dass nur russische Ware Champagner sein kann und Importprodukte ab sofort als Sekt zu bezeichnen sind. Absurderweise selbst dann, wenn sie aus der Champagne stammen.

Ungeachtet der französischen Champagner-Tradition beruft sich der russische Gesetzgeber auf eine eigene Schutzbezeichnung. Der Champagner-Schwindel ist durchaus in einem politischen Kontext zu sehen: Ebenso wie sich der Kreml im internationalen Rahmen häufig nicht mehr an Abkommen gebunden sieht, proklamiert man nun auch demonstrative „Souveränität“ im Lebensmittelbereich.

Für die Erzeuger des Ursprungs-Champagners ist das ein Affront. So drohte etwa die Vertriebsfirma Moet Hennessy mit einem Lieferstopp. Das wäre ein Schlag für die russische Elite, die trotz der steigenden Qualität der russischen Schaumweine in den letzten Jahren noch immer das französische Original bevorzugt. Später relativierte Moet Hennessy, dass es sich um eine temporäre Sperre handle, bis man eine Lösung für die Etiketten gefunden habe. Offensichtlich will die zum Luxuskonzern LVMH zählende Firma, die Getränkemarken wie Moet & Chandon und Dom Pérignon vertreibt, den russischen Markt nicht verlieren. Russland importiert im Jahr rund 50 Millionen Liter Champagner und Sekt aus dem Ausland, davon 13 Prozent Champagner aus Frankreich.

Schaumwein für arbeitende Masse

Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow verteidigte gegenüber Journalisten die neue Bestimmung: „Das Gesetz ist angenommen und muss vollzogen werden.“ Die russische Weinbranche entwickele sich gut, sagte Peskow, sei aber auf institutionelle Unterstützung angewiesen. Offensichtlich soll der protektionistische Schritt russische Weinerzeugnisse bei den Konsumenten aufwerten und nicht zuletzt die Absatzzahlen steigern.

Schaumwein ist in Russland bei festlichen Anlässen sehr beliebt. In der Zarenzeit kam die Oberschicht auf den Geschmack französischen Champagners. Franzosen wurden an den russischen Hof gerufen, um als Önologen die Herstellung des prickelnden Getränks voranzutreiben. Das Weingut Abrau-Durso, das heute dem Multimillionär und Unternehmer-Ombudsmann Boris Titow gehört, wurde damals gegründet. In der Sowjetunion beauftragte Stalin im Jahr 1936 die Herstellung von Sekt. Dieser sogenannte „Sowjetische Champagner“ wurde etwa auf der Krim, im ostukrainischen Donbass, in der heutigen Republik Moldau und auch in Abrau hergestellt. Es war industriell hergestellter, reichlich süßer Sprudel. Ein Hauch von Luxus für die arbeitenden Massen.

In den letzten Jahren ist erneut Bewegung in den russischen Weinmarkt gekommen. Einerseits haben einflussreiche Geschäftsleute die Weinherstellung als Zusatzgeschäft für sich entdeckt. Im Gebiet Krasnodar sind zahlreiche moderne Weingüter entstanden, die autochthone Sorten wie Krasnostop anbauen und Weintourismus entwickeln. Ob der Kreml mit seinem Champagner-Protektionismus dem einheimischen Markt etwas Gutes tut, ist indes fraglich. Für den Liebhaber zählt bekanntlich nicht das Etikett, sondern der Inhalt.