Sonntag2. November 2025

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InterviewDer oberste Lobbyist der britischen Finanzindustrie: „Luxemburg hat natürlich durch den Brexit profitiert“ 

Interview / Der oberste Lobbyist der britischen Finanzindustrie: „Luxemburg hat natürlich durch den Brexit profitiert“ 
Blick auf die Londoner City: „Der Brexit war ein langer, schmerzhafter Prozess“ Foto: AFP/Henry Nichols

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Der oberste Lobbyist der britischen Finanzindustrie wünscht sich engere Beziehungen zwischen London und Brüssel. Besonders für einen luxemburgischen Bereich hat er lobende Worte.

Am derzeit modischen Bashing der Labour-Regierung mag sich Chris Hayward nicht beteiligen. Kurz vor Premier Keir Starmers erstem Jahrestag im Amt streicht der Cheflobbyist der britischen Finanzindustrie vielmehr das Verbindende heraus. „Mehr Wachstum“, fordert die Schatzkanzlerin Rachel Reeves, was der Policy Chairman der City of London Corporation, so Haywards offizieller Titel, „nach 15 Jahren mit ziemlich kümmerlichem Wachstum“ sehr gut findet. Angesichts der maroden öffentlichen Infrastruktur habe die Regierung eine gewaltige Aufgabe vor sich: „Reeves steht unter hohem Druck.“

Chris Hayward
Chris Hayward Foto: privat

Mal sehen, ob sich die Streicheleinheiten gelohnt haben, wenn die Finanzministerin in diesem Monat zu ihrer traditionellen Rede im Mansion House, mitten im Herzen der City, erscheint. Dort soll eine neue Strategie für die Branche öffentlich werden, die immerhin 14 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt des Königreiches beiträgt. Die Banker und Assetmanager, Anwälte und Versicherungsmathematiker am größten internationalen Finanzplatz hoffen auf entgegenkommendere Regulierung ihrer eigenen Geschäfte sowie jener Pensionsfonds, die Hunderte von Milliarden verwalten.

Zum Gespräch mit dem Tageblatt meldet sich Hayward aus Berlin, wo er zu Wochenbeginn Gespräche führte. Häufige Reisen in die europäischen Nachbarländer, von denen sich das Königreich im Brexit-Referendum losgesagt hat, sind ein wichtiger Teil seines Jobs. Vier Wochen vor der Reise in die deutsche Hauptstadt weilte der Chef-Lobbyist bereits in Luxemburg. Voller Hochachtung spricht er über den Assetmanagement-Sektor des Großherzogtums: Der sei ja traditionell stark, „hat aber natürlich durch den Brexit profitiert“. Demnächst reist Hayward zu einem anderen wichtigen Finanzplatz: Frankfurt am Main.

Tageblatt: Wie lautet Ihre Botschaft an die Gesprächspartner auf dem Kontinent?

Chris Hayward: Wir möchten unsere schon bisher sehr guten Beziehungen verbessern. Dazu gehört die gemeinsame Arbeit für eine möglichst enge Zusammenarbeit unserer Volkswirtschaften, und dabei natürlich besonders der Dienstleistungssektor.

Der Handel zwischen dem Königreich und EU-Mitgliedern ist nach dem Brexit zurückgegangen.

Das war ein langer, schmerzhafter Prozess, ich hätte mir einen anderen Ausgang gewünscht. Ich wäre lieber noch immer EU-Mitglied. Immerhin haben wir deutlich weniger Jobs verloren als befürchtet, etwa 7.000 statt der erwarteten mehreren 10.000. In Wirklichkeit arbeiten jetzt deutlich mehr Menschen in der Finanzindustrie als vor dem Brexit und der Covid-Pandemie. Also, das Leben geht weiter. In Luxemburg beispielsweise ist mein Land weiterhin größter Investor außerhalb der EU mit immerhin 141 Milliarden Pfund …

… was derzeit 164 Milliarden Euro entspricht.

Auch für Deutschland bleibt das Vereinigte Königreich außerhalb der EU drittgrößter Handelspartner. Aber wir könnten noch vieles verbessern.

Beim jüngsten Treffen von Premier Starmer mit den EU-Verantwortlichen ging es beinahe ausschließlich um den Handel mit Gütern und Lebensmitteln, etwa Fisch.

Wir sind natürlich nicht für die Verhandlungen zuständig, hatten aber dem Finanzministerium unsere Wünsche aufgeschrieben. Immerhin will die Regierung den Handel mit Dienstleistungen ausdrücklich fördern. Im entsprechenden Strategiepapier ist von besserem Dialog über die gegenseitige Regulierung die Rede. Und mit Brüssel gibt es zweimal pro Jahr Gespräche über die Interessen der Finanzindustrie.


Weil Labour vor der Wahl die Erhöhung von Einkommen- und Mehrwertsteuer sowie eine Erhöhung der Rentenbeiträge ausgeschlossen hatte, wurden im jüngsten Haushalt Arbeitgeber und Reiche zur Kasse gebeten. Die Folge: Viele Firmen scheuen vor der Schaffung neuer Arbeitsplätze zurück, zusätzlich verunsichert durch die Trump-Unsicherheit im Welthandel.

Mit hoher öffentlicher Resonanz wehrt sich die Reichen-Lobby gegen die Abschaffung von Steuervergünstigungen der als „Nicht-Residenten“, sogenannte Non-Doms, auf der Insel Lebenden. Dabei stammt die Idee nicht von Finanzministerin Rachel Reeves. Schon deren konservativer Vorgänger Jeremy Hunt hatte die umstrittene Regelung gekippt. Allerdings wurde der Effekt von Labour durch eine Reform der Erbschaftssteuer verstärkt.

Mit teilweise dubiosen Statistiken setzen rechte Thinktanks wie das Adam-Smith-Institut und Lobbyisten die Regierung unter Druck. Rund ein Zehntel der zuletzt 2023 auf rund 74.000 gezählten Non-Doms habe das Land bereits verlassen, wird behauptet, andere bereiteten diesen Schritt vor. Ökonomie-Professor Arun Advani von der Uni Warwick hält die Veränderungen bei der Erbschaftssteuer für besonders problematisch: „Es war von vornherein schlecht durchdacht, die Besteuerung von Ausländern über Nacht von 0 auf 40 Prozent steigen zu lassen.“

Bei früheren Auseinandersetzungen ergriffen City-Verantwortliche zugunsten der Non-Doms – häufig steinreiche Investmentbanker, Rechtsanwälte und Bond-Trader – Partei. Hingegen gibt sich Hayward zurückhaltend.


Machen Sie sich Sorgen über den echten oder vermeintlichen Exodus der Non-Doms?

Ich verstehe die Finanznöte der Regierung. Aber wir wollen wohlhabende Menschen bei uns im Land behalten. Das ist gut für die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt, besonders auch für viele wohltätige und künstlerische Organisationen, die sehr großzügig unterstützt werden. Die Regierung sollte die Sache noch einmal überdenken.