Der Luxemburger Jean-Guillaume Weis über sein Leben für den Tanz auf den Bühnen der Welt

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42 Jahre als Tänzer, 35 Jahre professionelle Karriere, unendlich viel Erfahrung: Jean-Guillaume Weis hat sein Leben schon immer der Bühne gewidmet. Am 16. September wird der Choreograf 50, dann will er noch mal so richtig Gas geben. Denn auch wenn seine persönliche Zeit im Showbiz sich so langsam gen Ende neigt: Zu tun gibt es in Luxemburgs Tanzszene noch so einiges, und genau das will „Guill“ anpacken.

„Ballett? Das ist doch nichts für kleine Jungs!“ Und ob, dachte sich Jean-Guillaume Weis, als er im Kindesalter seine ersten Tanzschuhe anzog. Eigentlich war es seine Schwester Isabelle, die jede Woche zum Unterricht von Christiane Eiffes ins Luxemburger „Conservatoire“ gefahren werden musste. Doch schnell fand auch Guill, wie seine Freunde und Familie ihn liebevoll nennen, Gefallen an der Bewegung: „Eines Nachmittags bin ich zusammen mit meiner Mutter zur Tanzschule gefahren, um meine Schwester abzuholen.
Später hat sie mir erzählt, dass ich anfing, herumzuturnen und zu tanzen, und zu ihr meinte, ich wolle das auch tun.“ Und so kam es auch. Irgendwann ließ die Tanzwut bei Isabelle nach, bei Jean-Guillaume wurde sie hingegen größer und größer. Mit 15 verspürte er dann den richtigen „déclic“ und startete seine professionelle Ausbildung an der „Ecole du ballet contemporain de Bruxelles“.

Es folgten viele Jahre des Lernens und Ausprobierens, denn Jean-Guillaume glaubte schon immer fest ans Learning-by-doing-Prinzip: „Heute wird oft gesagt, man soll ein Studium absolvieren, um ein Diplom zu erhalten. Das Problem dabei ist, dass man nicht genug tanzt und nicht die Erfahrung sammelt, die auf internationalem Niveau benötigt wird. Das ist ein Kompromiss, den man gut planen muss.“ Gegen eine schulische Ausbildung ist der Choreograf allerdings keineswegs, denn auch im Showbiz ist Sicherheit nie verkehrt. „An vielen Universitäten werden Kurse zu Anatomie und Pädagogik angeboten, das ist auf jeden Fall ein Plus. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass man den Job erst richtig lernt, wenn man ihn auch frühzeitig ausübt“, so der 49-Jährige.

Ein Ensemble braucht das Land

Selbst wurde Jean-Guillaume geprägt von seiner Zeit bei bekannten Choreografen. Pina Bausch, Mark Morris und William Forsythe sind nur einige der Namen, die im Lebenslauf des Tänzers auftauchen. „Ich war lange Zeit Gasttänzer im Tanztheater von Basel, habe in New York und Tokio auf der Bühne gestanden und als Dozent an Unis und Hochschulen unterrichtet.“ Seit etwa 15 Jahren ist er zurück in Luxemburg, 2013 gründete er seine „Danzschoul“ in Wellenstein. Sesshaft geworden ist der Tänzer allerdings nie. Regelmäßig verschlägt es ihn für Gastauftritte und Kollaborationen ins Ausland. Zu Hause leitet er die Tanzschule, hält Kurse oder arbeitet an choreografischen Projekten. „Ich unterrichte für mein Leben gerne Ballett und ’Contemporain‘, damit habe ich auch nie aufgehört“, so der Tänzer.

Mit 50 will Jean-Guillaume jetzt noch einmal so richtig durchstarten. Allerdings nicht alleine, sondern mit einem Team. Der Plan: ein Tanzensemble gründen, das Luxemburg auf den ganz großen Bühnen der Welt vertreten soll. „Derzeit gibt es viele kleine Strukturen in Luxemburg, die alle separat an eigenen Projekten werkeln. Meine Idee ist es, etwas zu kreieren, das uns Zugang zu internationaler Anerkennung samt Aufträgen gibt“, erklärt Jean-Guillaume. Ein Konzept hatte er bereits 2002, seither hat er ständig an seinem Business-Plan gefeilt und sein Dossier abermals ans Kulturministerium überliefert.

„Jeder schwärmt vom Nederlands Dans Theater und dem Bolschoi-Ballett. Die Leute gehen ins städtische Theater, um sich internationale Tanztruppen anzusehen, aber ein eigenes Ensemble besitzen wir als eines der wenigen Länder weltweit noch immer nicht.“ Einen nationalen „Komplex“ nennt der Tänzer das, was seine Landsleute oftmals ausbremst. Dabei sieht er das kleine Großherzogtum als wahren Rohdiamanten: „Wir sind die Exoten in der Szene. Neue Ensembles sind begehrt wie eine neue Obstsorte, eine Papaya, die plötzlich jeder essen will. Luxemburg hat da wahrlich eine Trumpfkarte auszuspielen.“

Als Inspiration sieht er „les ballets C de la B“ aus Belgien, kleinere Tanzensembles wie Spellbound und die israelische Szene, die gerade stark am Kommen ist: „Das sind Netzwerke, die einfach einzigartig sind. Darauf müssen wir uns stützen.“ Vor allem aber muss an ein und demselben Strang gezogen werden, so Jean-Guillaume: „Im Moment sind neue Gelder im nationalen Kulturfonds für Tanz eingeplant. Doch diese werden aufgeteilt. Ich denke, dass diese Fragmentierung uns zum Verhängnis werden könnte. Wenn wir aber alle zusammen etwas schaffen und Synergien entstehen, dann könnten wir eine echte Marke kreieren.“ Dies verhindere keineswegs die vielen wichtigen kleineren Projekte, so der Tänzer. „Im Gegenteil, es wird sie dauerhaft stützen.“

Nationalstolz durch Tanz

Bislang gestaltet sich die Realisation des Projektes allerdings eher zögernd. Aufgeben will der 49-Jährige allerdings nicht, vor allem da das Jahr 2022 direkt vor der Tür steht. „Das Showbiz unseres Zeitalters verlangt eine Mannschaft, die konsequent über die Jahre aufgebaut wird. Man braucht eine Identität. And we start from scratch.“ Ziel ist es, etwas zu schaffen, das Luxemburg mit der nötigen Visibilität nach außen hin repräsentiert: „Die Leute fragen mich oft, ob wir das denn brauchen. Haben wir keine anderen Probleme? Was sie nicht bedenken ist, dass ein nationales Tanzensemble Auswirkungen auf den gesamten Sektor haben und zum Nation Branding beitragen würde. Als unser Fußball-Nationalteam gegründet wurde, waren sie auch skeptisch. Ein Velodrom? Wer braucht das schon. Aber wenn es bis da ist, sind die Leute stolz darauf. Jeder fiebert heute mit den Schleck-Brüdern mit, jeden erfüllt es mit Freude, wenn ein Luxemburger es bis ganz nach oben schafft.“

Tänzer, Setdesigner, Kostümbildner, Lichttechniker – das Ensemble soll weit mehr werden als nur eine Handvoll Künstler, die gemeinsam auftreten. Vor allem aber die junge Generation will der „alte Hase“ zu Wort kommen lassen. Derzeit verlangt der internationale Markt, dass herangehende Künstler sich mit mehreren parallelen Jobs über Wasser halten. Zeit, die für erfahrungsreiche Auftritte mit etablierten Kompanien fehlt. „Ich habe mein ganzes Leben lang die luxemburgische Flagge durch die Welt getragen. Aber irgendwann geht auch meine Karriere zu Ende und davor würde ich noch gerne einen Beitrag leisten“, meint Jean-Guillaume. 2015 belohnte ihn der Staat bereits mit dem Titel „Chevalier de l’ordre du mérite“, jetzt will der Tänzer seine Erfahrung an andere weitergeben.

Die Liebe zur Bewegung

Und auch wenn andere Kinder den Jungen früher wegen seines besonderen Hobbys belächelten, von Guills Eltern gab es stets eine klare Ansage: „Dann sagst du ihnen, dass Männer schon immer getanzt haben.“ Tanzen wird der 49-Jährige wohl noch lange – ob mit oder ohne „DanzEnsemble“, denn das ist sein Leben: „Es ist ein Moment der Grazie, in dem Kopf, Körper und Herz zu einem verschmelzen. Tanzen ist intensiv, heilend, ausgleichend, ein Glücksgefühl, es enthält Vollkommenheit und ist eigentlich angeboren. Die Menschen sollen tanzen, denn es ist etwas fundamental Schönes.“