Standpunkt von Nobelpreisträger Joseph E. StiglitzDer Finanzsektor muss mehr zum Klimaschutz beitragen – dazu wird es Druck brauchen

Standpunkt von Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz / Der Finanzsektor muss mehr zum Klimaschutz beitragen – dazu wird es Druck brauchen
Ein neues Ölfeld zu entdecken, zu erschließen und vollständig auszubeuten, dauert Jahrzehnte – solche Projekte werden fast mit Sicherheit zu „gestrandeten Vermögenswerten“, die inmitten des Kampfes um die Rettung des Planeten ihren Wert und ihre Nützlichkeit verloren haben Foto: AP/Ed Andrieski

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In seinem Beitrag ruft Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz Regierungen und Zivilgesellschaften dazu auf, Druck zu machen auf die Finanzindustrie. Diese müsse ihre Investitionen überdenken. Sonst drohen Risiken für unser Wirtschaftssystem und den Planeten.

Die Welt ist sich endlich der existenziellen Notwendigkeit bewusst geworden, einen raschen Umstieg auf eine umweltfreundliche Wirtschaft sicherzustellen. Der Finanzsektor wird bei diesem Prozess eine entscheidende Rolle spielen. Doch während die Finanzinstitute viel Tamtam über den von ihnen geleisteten Beitrag – etwa in Form von Umweltanleihen und dem Einbau umweltfreundlicher Glühbirnen – machen, stellen viel zu viele von ihnen der Fossilbrennstoffbranche weiterhin Kapital zur Verfügung und unterstützen sonstige Wirtschaftsaktivitäten, die mit dem ökologischen Wandel unvereinbar sind.

Diese Finanzierungsmaßnahmen heizen die Klimakrise aktiv an. Viele dieser Investitionen sind langfristig angelegt. Ein neues Ölfeld zu entdecken, zu erschließen und vollständig auszubeuten, dauert Jahrzehnte und reicht also weit über den Zeithorizont hinaus, in dem die Welt CO2-neutral werden muss, um einen katastrophalen Temperaturanstieg zu vermeiden. Daher werden diese Projekte fast mit Sicherheit zu „gestrandeten Vermögenswerten“ („stranded assets“) werden: Besitztümern, die inmitten des Kampfes um die Rettung des Planeten ihren Wert und ihre Nützlichkeit verloren haben.

Diese Verluste stellen ein Risiko für die Anleger und potenziell für das Wirtschaftssystem und den Planeten dar. Weil die meisten Eigentümer gestrandeter Vermögenswerte selbstsüchtig darum kämpfen werden, ihre Besitztümer ungeachtet der Folgen wirtschaftlich zu verwerten, erzeugt die Finanzierung dieser Investitionen eine schädliche politische Dynamik. Es bestehen mächtige Lobbys, die entschlossen sind, den ökologischen Wandel zu bekämpfen, damit sie nicht am Ende als Verlierer dastehen. Zudem werden dieselben Gruppen, falls der Wandel gelingt, eine Entschädigung verlangen – was faktisch auf eine „Vergesellschaftung“ von Investitionen hinausläuft, die nie hätten getätigt werden dürfen. Wenn man die Geschichte als Maßstab nehmen kann, dann werden sie vermutlich damit durchkommen.

Ideal wäre ein Verbot

Ideal wäre es, wenn wir derartige Investments einfach verbieten würden. Doch für den Moment ist das in den USA und vielen anderen Ländern nicht realistisch. Eine andere Möglichkeit besteht im Einsatz aufsichtsrechtlicher Instrumente. Da die Märkte kurzsichtig agieren und zentrale Risiken selten umfassend berücksichtigen, fällt die Verpflichtung, Finanzstabilität sicherzustellen, jenen zu, die mit der Beaufsichtigung der Wirtschaft betraut sind, darunter den Notenbanken.

Die Finanzkrise von 2008 hat gezeigt, was passieren kann, wenn auch nur für einen kleinen Teil der weltweiten Vermögensbasis (hier: US-Subprime-Hypotheken) eine Preisneubewertung erfolgt. Die Neubewertung der Vermögenswerte, die durch den Klimawandel in Mitleidenschaft gezogen werden dürften, könnte Auswirkungen auf das System haben, die die des Jahres 2008 zwergenhaft erscheinen lassen. Der Fossilbrennstoffsektor ist nur die Spitze des (schmelzenden) Eisbergs. Der Anstieg des Meeresspiegels und zunehmend häufige Extremwetterereignisse – von Flächenbränden bis hin zu Orkanen – könnten zusätzlich eine plötzliche Neubewertung enormer Mengen an Land und Immobilien erzwingen.

Der Finanzsektor muss seinen Teil bei der Bewältigung der Klimakrise übernehmen – und das wird eine Menge Druck vonseiten der Zivilgesellschaft und der Regierungen erfordern

Die Regulierungsbehörden müssen daher eine vollständige Offenlegung der Klimarisiken verlangen; dazu gehören nicht nur die physischen Gefahren, sondern auch direkte und indirekte Finanzrisiken. Selbst wenn keine Einigkeit über die Größenordnung dieser Risiken oder das Tempo der kommenden Veränderungen besteht, erfordert die Vorsicht eine Offenlegung dessen, was im Rahmen der plausiblen Szenarien passieren könnte, die in den Bewertungen des Weltklimarates und anderswo ausführlich diskutiert wurden. Darüber hinaus wird ein politisches Regelwerk, das fähig ist, (durch eine Kombination aus Kohlenstoffpreisen und Regulierung) bis 2050 CO2-Neutralität zu erreichen, fast mit Sicherheit erhebliche Auswirkungen auf die Vermögenspreise haben.

Wenn die Wirtschaft sich zu langsam in Richtung größerer Umweltfreundlichkeit bewegt, erhöht dies das „Umstiegsrisiko“. Statt eines reibungslosen, effizienten Umstiegs auf CO2-Neutralität mit allmählichen Anpassungen der Vermögenspreise könnten wir eine chaotische Anpassung erleben, bei der sich die Preise in kritischen Momenten sprunghaft ändern, wenn den Märkten die Realität der Veränderungen vollständig bewusst wird.

Zuckerbrot und Peitsche

Um dieses Risiko abzumildern, muss der Finanzsektor nicht nur aufhören, Gelder für umweltschädliche Investitionen zur Verfügung zu stellen; er muss zudem Mittel für die Investitionen bereitstellen, die erforderlich sind, um uns in die richtige Richtung zu bewegen. Womöglich werden wir Zuckerbrot und Peitsche brauchen, um die Branche auf diesen Weg zu lenken.

So sollten Banken, die mit Klimarisiken behaftete Investitionen tätigen, verpflichtet werden, erhöhte Reserven zu halten, die diese Risiken widerspiegeln. Die Anleger sind gewarnt: Wer also trotzdem in fossile Brennstoffe investiert, sollte von der Bevölkerung nicht faktisch durch die Abzugsfähigkeit der Verluste subventioniert werden. In den USA garantiert der Staat die große Mehrzahl der Hypothekendarlehen für Eigenheime; künftig sollte er das nur noch für umweltfreundliche Hypotheken tun (Kredite für Häuser und Wohnungen, die gut isoliert und energieeffizient sind).

Auch könnten die Regierungen, um auf der Annahme eines hohen Kohlenstoffpreises beruhende Investitionen zu ermutigen, garantieren, die Anleger zu entschädigen, falls sich der Kohlenstoffpreis in sagen wir 20 Jahren als unerwartet niedrig erweist. Dies würde wie eine Art Versicherungspolice funktionieren und die Regierungen weltweit unter Druck setzen, ihre Zusagen aus dem Pariser Klimaabkommen einzuhalten.

Uns bleibt keine Wahl

Diese und andere ähnliche Maßnahmen würden den ökologischen Wandel unterstützen. Doch selbst mit derartigen Anstößen ist es unwahrscheinlich, dass der private Finanzsektor von allein genügend tun wird. Viele der erforderlichen, wichtigen Investitionen sind langfristig ausgerichtet, und private Finanzmärkte konzentrieren sich nur allzu oft auf das Kurzfristige.

Um die Lücke zu füllen, wurden in vielen Rechtsräumen bereits grüne Entwicklungsbanken gegründet, darunter im Staat New York. Anderswo wurden die Mandate bestehender Entwicklungsbanken auf eine umweltfreundliche Entwicklung ausgeweitet. Diese Geldinstitute leisten einen wichtigen Beitrag nicht nur zur Bereitstellung von Finanzmitteln, sondern auch bei der Unterstützung der Konzeption und Strukturierung der umweltfreundlichen Projekte selbst.

Die Klimakrise erfordert enorme wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen. Uns bleibt keine Wahl, als die Art und Weise, wie wir konsumieren, produzieren und investieren, zu ändern. Diese Herausforderung lässt sich bewältigen. Doch um sie gut zu bewältigen, muss der Finanzsektor seinen Teil übernehmen. Und das wird eine Menge Druck vonseiten der Zivilgesellschaft und der Regierungen erfordern.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

*Joseph E. Stiglitz ist Wirtschaftsnobelpreisträger und Professor an der Columbia University sowie Mitglied der Unabhängigen Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT).

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