InterviewDer deutsche Grünen-Chef Robert Habeck über schlechte Umfragewerte und wechselnde Gegner 

Interview / Der deutsche Grünen-Chef Robert Habeck über schlechte Umfragewerte und wechselnde Gegner 
„Meine Lieblingsregierung wäre Grün-Rot“: Robert Habeck hat genaue Vorstellungen Foto: dpa/Federico Gambarini

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Der deutsche Grünen-Chef Robert Habeck spricht im Interview über Afghanistan, die Steuer- und Finanzpolitik, die schlechten Umfragewerte von Annalena Baerbock – und darüber, wer nun der wahre Gegner der Grünen in der heißen Wahlkampfphase ist.

Tageblatt: Herr Habeck, was würden Sie machen, wenn Ihnen morgen jemand 50.000 Euro schenkt?

Robert Habeck: Was ist denn das für eine Frage. Ich würde es spenden.

Wir fragen, weil immer wieder Ihr Name fällt, sollten die Grünen in einer Koalition das Finanzressort bekommen.

Die Finanzpolitik ist maßgeblich für viele Politikfelder der Zukunft, wie etwa die ökologische Transformation unserer Industrie. Das haben wir erkannt. Das heißt nicht, dass wir jetzt schon Ressortverteilungsdebatten führen.

Christian Lindner ist da weniger zimperlich. Er will das Amt unbedingt haben.

Der FDP-Vorsitzende will mal nicht regieren, dann beansprucht er vor einer Wahl ein Amt. Kann man machen, muss man nicht.

Die Grünen wollen mehr Steuern für Reiche und Unternehmen, FDP und Union Abgaben senken. Wer hat recht?

Was Union und FDP in der Steuerpolitik vorhaben, ist nun wirklich falsch. Es geht hier um die Kernfrage des sozialen Zusammenhalts: Wenn man die Reichen noch sehr viel reicher macht und wenig bis nichts für die unteren Einkommen tut, gefährdet man den Zusammenhalt. Wir wollen, dass Spitzenverdiener für den Teil ihres Einkommens, der über 100.000 Euro liegt, drei Prozentpunkte mehr Steuern zahlen, bei Paaren wäre das ab 200.000. Das ist nun wirklich verkraftbar. Es geht nicht um eine allgemeine Steuererhöhung.

Könnte ein Jamaika-Bündnis oder eine Ampel-Koalition daran scheitern?

Wir führen keinen Wahlkampf im vorauseilenden Gehorsam. Teile der Liberalen und Konservativen stellen den Staat fast als Gegner der Menschen dar, als einen Staat, der drangsaliert und verbietet. Christian Lindner hat mal von Kleptokratie des Staates gesprochen, da wird der Staat in die Ecke von Verbrechen gerückt. Der Staat sind wir aber alle. Und ein Gemeinsinn organisiert sich auch über eine gerechte Steuerpolitik.

Ist eine Vermögenssteuer für die Grünen ein Muss in einem Koalitionsvertrag?

Die Einnahmen aus einer Vermögenssteuer würden alleine den Ländern zustehen – und die Länder sind für die Bildung zuständig. Deshalb ist die stärkste Begründung für die Vermögensteuer, Bildung besser zu finanzieren. So wird daraus eine Bildungs-Vermögenssteuer. Ich finde es vergleichsweise schwer, dagegen anzuargumentieren.

Drohen endlose Sondierungen und Koalitionsgespräche, wenn es keinen klaren Sieger und verschiedene Regierungsoptionen gibt?

Es kann kompliziert werden. Zum ersten Mal könnte eine Partei mit 20 bis 25 Prozent den Kanzler oder die Kanzlerin stellen. Aus so einem Ergebnis muss man dann die nötige Autorität ableiten, die Regierung anzuführen. Ich fürchte, uns stehen nach der Wahl unübersichtliche Zeiten bevor. Ziel muss es sein, dass Deutschland bis Weihnachten eine neue Bundesregierung hat.

Wer ist im Wahlkampf jetzt der Hauptgegner? Armin Laschet oder Olaf Scholz?

Das hat sich verändert, das muss man zugeben. Olaf Scholz hat sehr stark aufgeholt. Aus der Duell-Situation zwischen Annalena Baerbock und Armin Laschet ist jetzt eine Triell-Situation geworden. Leider passen Wahlkampf und Lebenswirklichkeit aber noch nicht gut zusammen.

Dass es Fehler gab, ist längst zugegeben. Wir tun gerade alles dafür, das Ruder herumzureißen.

Wie meinen Sie das?

Die Menschen spüren, dass es einen tiefgreifenden Wandel gibt. Die Ära Merkel geht zu Ende, das Klima der Erde ändert sich rasant, es gibt eine große Unsicherheit angesichts von Kriegen, Krisen und dem Erstarken autoritärer Mächte wie China. In dieser Gemengelage erweckt der Wahlkampf mancher Gegner den Eindruck, dass es eher um Kleinigkeiten geht. Und die GroKo-Parteien tun alles, um die inhaltliche Debatte zu meiden. Das finde ich befremdlich.

Die Fehltritte von Annalena Baerbock haben doch die Diskussionen um Kleinigkeiten, wie Sie es nennen, ausgelöst. Waren Sie jemals in der Offensive?

Dass es Fehler gab, ist längst zugegeben. Wir tun gerade alles dafür, das Ruder herumzureißen.

Wenn noch so viel Musik drin ist, wie Sie sagen: Was wäre Ihnen lieber – Rot-Grün oder Schwarz-Grün?

Meine Lieblingsregierung wäre Grün-Rot.

Angesichts des Wettbewerbs zwischen den USA und China sinken weltweit Unternehmenssteuern. Muss Deutschland da mitgehen, um ein attraktiver Investitionsstandort zu bleiben?

Ich sehe im Haushalt keinen Spielraum für die Senkung von Unternehmenssteuern. Unser Schwerpunkt liegt darauf, den internationalen Steuerwettbewerb zu beenden, nicht ihn weiter anzutreiben.

Wo genau wollen Sie ansetzen?

Würde man Steuerbetrug und Steuerdumping energisch bekämpfen, dann hätte der Staat deutlich mehr Einnahmen und könnte gezielte Entlastungen für Innovationen und Investitionen in Klimaneutralität vornehmen. Das heißt konkret, legale Steuerschlupflöcher zu schließen. Sogenannte Share Deals zum Beispiel. Es ist schreiend ungerecht, dass sich große Wohnungsgesellschaften über Share Deals vor der vollen Grunderwerbssteuer drücken können, während Ottonormalkäufer den vollen Satz bezahlen. Das müssen wir beenden.

Kommen wir zu Afghanistan: Der Westen ist mit seinem Nation-Building-Ansatz krachend gescheitert. Sollte es weniger Kampfeinsätze geben?

Das Scheitern in Afghanistan wird tief einschneiden in die außenpolitische Aufstellung des Westens, wie tief, zeigt sich erst nach und nach. Es muss zu einer neuen Debatte über das außenpolitische Verständnis von liberalen Demokratien führen. Es geht um die Definition eines wertegeleiteten Realismus. Mit Blick auf Bundeswehreinsätze heißt das, dass vor einer Intervention klar sein muss, was sind unsere Interessen, was ist unser Ziel, können wir es erreichen, mit welchen Mitteln, zu welchem Preis, wie kommen wir wieder raus, wer sind unsere Partner. All das war in den 20 Jahren des Afghanistan-Einsatzes nicht wirklich geklärt.

Also muss Mali, wo es ja Parallelen gibt, neu bewertet werden?

Das Problem – wie beim Afghanistan-Einsatz – ist, dass sich trotz unseres Engagements die politische und sicherheitspolitische Lage nicht wesentlich verbessert hat. Wir sehen auch in Mali eine sich deutlich verschlechternde Sicherheitslage, massive Korruption, eine instabile Regierung. Hier müssen wir klären, was wir realistisch erreichen können und wie.

Derzeit gibt es einen Abschiebestopp nach Afghanistan. Kann der überhaupt wieder aufgehoben werden, wenn dort nun die Taliban herrschen?

Ich sehe nicht, wie wir Menschen in ein Taliban-Regime abschieben könnten, zumal dem Land nun ein Bürgerkrieg droht. Wir werden Islamisten und Straftäter also bei uns verurteilen und ihre Strafe hier weiterhin absitzen lassen müssen. Ohnehin tut es Not, die deutschen Sicherheitsbehörden noch besser auszurüsten, damit sie Gefährder im Inland stärker überwachen und kontrollieren können. Häufig sind Gefährder auch Kleinkriminelle, für Straftaten müssen sie so schnell wie möglich angeklagt und Ermittlungsverfahren gebündelt werden.

Steigt das Sicherheitsrisiko dadurch in Deutschland und die weltweite Terrorgefahr durch die Rückkehr der Taliban in Afghanistan?

Ja, die Sorge, dass Afghanistan wieder zum Rückzugsort von Terroristen wird und Terror exportiert, ist berechtigt. Nicht zuletzt, weil islamische Extremisten auch an anderen Orten der Welt durch den Sieg der Taliban Auftrieb bekommen haben.

Muss Europa Flüchtlingskontingente einrichten?

Im Augenblick haben wir ja vor allem das Problem, dass kaum noch jemand aus Afghanistan rauskommt. Daher geht es jetzt es erst mal darum, die Menschen, die für uns als Alliierte gearbeitet haben, Menschen, die als Frauenrechtlerinnen, als Journalisten bedroht sind, sicher aus dem Land auszufliegen. Diese Operation in Kabul ist höchst gefährlich, und ich habe großen Respekt vor unseren Soldatinnen und Soldaten, die gerade diesen Einsatz unter schwierigsten Bedingungen bewältigen. Diesen Soldatinnen und Soldaten gebührt all mein Dank und Respekt.