Post-BrexitDer britischen Regierung steht Streit um die Fischerei ins Haus

Post-Brexit / Der britischen Regierung steht Streit um die Fischerei ins Haus
Französische Fischer vor der britischen Insel Jersey. Um hier fischen zu können, müssen sie nun eine Lizenz beantragen. Foto: AFP/Sameer Al-Doumy

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Für die britische Regierung von Premierminister Boris Johnson braut sich im Ärmelkanal ein heftiger Sturm zusammen.

Rechtzeitig zum Jahrestreffen der konservativen Partei in Manchester hat sich der britische Fischerverband NFFO zornig zu Wort gemeldet: Statt die versprochene Brexit-Dividende zu genießen, werde die Branche in den kommenden fünf Jahren Einbußen von rund 300 Millionen Pfund (351 Mio. Euro) erleiden. Kritik kommt außerdem aus Paris, nachdem London 75 Prozent der französischen Fischkutter die neuerdings nötige Lizenz verweigert hatte. Schon sprechen Branchenvertreter von einer „Kriegserklärung zu Wasser und zu Land“.

Vor dem endgültigen Austritt des Königreichs aus Binnenmarkt und Zollunion der EU gehörten die zukünftigen Fischereirechte bis zuletzt zu den besonders umstrittenen Themen. Großbritannien beansprucht in der Nordsee und dem Ärmelkanal große artenreiche Abschnitte als territoriale Gewässer. Hingegen beriefen sich Fischer vom Kontinent auf ihren teils jahrhundertealten Zugang zu lukrativen Küstenstreifen um die Insel; Belgien brachte beispielsweise Zusagen des englischen Königs Karl II. (1660-85) an flämische Fischer aus dem Jahr 1666 ins Spiel.

Die in letzter Minute zustande gekommene Einigung sah vor, dass die EU-Fischer schrittweise über fünfeinhalb Jahre ein Viertel des Wertes ihrer bisherigen Fänge in britischen Gewässern aufgeben. Zudem müssen sie jährlich in London und bei den teil-autonomen Kanalinseln Jersey und Guernsey um Lizenzen nachsuchen.

Dabei hat die britische Seite wenig Entgegenkommen gezeigt: Von 47 Fischkuttern mit einer Länge von weniger als zwölf Metern sollen zukünftig lediglich zwölf den bisherigen Zugang erhalten. Die Reaktion vom Kontinent war prompt und martialisch: Die „Kriegserklärung“ der Insel, zitiert der Londoner Telegraph Olivier le Nezet vom Fischereiverband der Bretagne, werde Folgen haben: Man werde dafür sorgen, „dass nicht ein einziges britisches Produkt in französischen Häfen ankommt“. Europaminister Clément Beaune kündigte „Vergeltungsmaßnahmen“ an. Wenn der abgeschlossene Brexit-Vertrag nicht eingehalten werde, könne Paris nicht vertrauensvoll mit Großbritannien zusammenarbeiten.

Briten können Fangquote nicht ausschöpfen

Die mehr als hundertjährige Entente Cordiale ist ohnehin einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt, seit die Brexit-Insel sich am neuen Sicherheitspakt zwischen den USA und Australien beteiligte. Weil Washington dem fünften Kontinent die begehrten Atom-betriebenen U-Boote liefern wird, ist ein milliardenschweres Exportgeschäft für französische U-Boote mit Dieselantrieb geplatzt.

Das zuständige Ministerium für Landwirtschaft und Fischerei in London (Defra) behauptet, man habe sich „so großzügig wie möglich“ verhalten. Dem Austrittsvertrag zufolge muss die Insel jedenfalls bis 2026 all jenen Booten Lizenzen ausstellen, die schon bisher in britischen Gewässern unterwegs waren. Dies ist für die 200-Seemeilen-Zone, auf die das Königreich Anspruch erhebt, vergleichsweise reibungslos erfolgt: Immerhin 1.600 EU-Boote dürfen dort weiterhin fischen. Auch zur besonders lukrativen Küsten-nahen Zone haben 105 größere Boote, überwiegend mit französischen Heimathäfen, Zugang.

Bei den kleineren Kuttern mit einer Besatzung von häufig nur einem oder zwei Fischern fehlte offenbar häufig der Nachweis, dass sie in den vier Jahren vor der Brexit-Entscheidung im Juni 2016 in den umstrittenen Gewässern unterwegs waren. Die dafür nötige Datenspeicherung dürfte den meist nicht gerade auf Rosen gebetteten Betreibern zu umständlich und zu teuer gewesen sein.

Entscheidend für die britische Haltung könnte sein, dass auch die eigene Branche ganz überwiegend aus den zärtlich „kleine Boote“ genannten Kuttern besteht. Diese sollten dem Kalkül der Brexit-Regierung zufolge vom EU-Austritt profitieren und nach und nach die Quoten der EU-Anrainer übernehmen. Einstweilen freilich kann die kleine heimische Fangflotte die Zuwächse bei den rund 100 zur Debatte stehenden Fischarten gar nicht ausschöpfen.

Neue Probleme

Zudem hat der Brexit neue Probleme aufgeworfen. Die 8.000 Berufsfischer auf der Insel und die Küstengemeinden, in denen sie beheimatet sind, bleiben stark vom Handel mit dem Kontinent abhängig: Von ihren jährlich angelandeten rund 450.000 Tonnen Fisch wurden bisher 70 Prozent entweder frisch oder als Konserve in die EU exportiert. Die Handelshindernisse seit Januar aber haben das lukrative Geschäft empfindlich beeinträchtigt, von neuen Vorsichtsmaßnahmen im Kampf gegen die Covid-Pandemie ganz zu schweigen.

Zum Jahreswechsel sprach die Londoner Regierung davon, dem winzigen Sektor (ca. 0,12 Prozent des britischen Bruttoinlandsprodukt BIP) stünden bis 2026 zusätzliche Gewinne von 148 Millionen Pfund (173 Mio. Euro) ins Haus. Die Grundlage dieser Rechnung wurde bis heute nicht offengelegt. Der Fischereiverband NFFO hat deshalb eine eigene Rechnung aufgemacht, die zu einem gänzlich anderen Ergebnis kommt: Durch Zugeständnisse an die EU, die fehlende Vereinbarung mit Norwegen sowie Exportverluste und zusätzliche Bürokratie stehe die Branche jährlich um 64 Millionen Pfund (75 Mio. Euro) schlechter da.

Die einst Brexit-begeisterte Branche gibt sich desillusioniert. „Uns wurde ein ‚Meer der Möglichkeiten‘ versprochen“, sagt NFFO-Chef Barrie Deas. Die Realität aber sei „eine leidvolle Geschichte“.