Das Wunder von Langfuhr: Als sechs Bergleute 60 Stunden lang in der Grube eingeschlossen waren

Das Wunder von Langfuhr: Als sechs Bergleute 60 Stunden lang in der Grube eingeschlossen waren

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Leider gelingt es nicht immer, nach einem Grubenunglück die verschütteten Bergleute zu bergen. Umso erfreulicher ist es, wenn sich der Einsatz der Retter lohnt und die eingeschlossenen Bergleute das Tageslicht wieder genießen können. Am 19. Januar 1933 ereignete sich ein solches Wunder in der Grube „Langfuhr“ im Fond-de-Gras zwischen Niederkorn und Rodange.

Von Roby Fleischhauer

Am Donnerstag, 19. Januar 1933 gegen halb neun Uhr morgens stürzte in der Grube der Gesellschaft „Thy-le-Château“ in Fond-de-Gras ein Stollen von 45 Metern Länge ein und schnitt dabei die sechs Arbeiter, die 150 Meter von der Bruchstelle entfernt in drei verschiedenen Abbauten arbeiteten, von der Außenwelt ab. Es handelte sich um P. Baasch, Vater von sechs Kindern, N. Hirtz, 40 Jahre alt, Vater von zwei Kindern, J.-P. Hoscheit, 27 Jahre, ledig, M. Stork, 42 Jahre, Vater von fünf Kindern, N. Weyer, Vater eines Kindes, und D. Schwinden, einen Bergmann aus Belgien.

Die „Ougrée-Marihaye“-Gesellschaft begann gleich mit den Rettungsarbeiten. Man wollte von einem 35 Meter entfernten Parallelstollen aus zu den Verschütteten vordringen. Dies gestaltete sich allerdings sehr schwierig. Der Rettungsstollen von 2 auf 1,50 Meter musste nämlich durch taubes Gestein schräg nach unten geführt werden. Anhand eines Spezialbohrers, der Durchstiche von 20-25 Metern Länge erlaubte, versuchte man ein Bohrloch bis zu den Eingeschlossenen zu treiben, um sie eventuell mit Nahrung zu versorgen.

Es gelang denn auch, hier eine Verbindung herzustellen. Wegen Motorschadens musste diese Aktion jedoch aufgegeben werden. Anfangs vernahm die Rettungsmannschaft Klopfzeichen und eine Sprengung, die jedoch auch von einer anderen Arbeitsstelle hätte herrühren können. Ohne Unterlass trieb man rund um die Uhr den Hilfsstollen weiter. Am Samstagmorgen, einen Tag früher als geplant, trennte nur noch ein dicker Block die Retter von den Verunglückten. Durch herabfallendes Gestein hatte man viel eher Kontakt mit den Eingeschlossenen aufnehmen können. Man hatte vor allem befürchtet, dass sich Wasser, das jetzt nicht mehr abfließen konnte, im Stollen ansammelt. Zudem waren da die Temperaturen, die beständig um die 6 Grad Celsius betrugen. Viele Rodanger, die solidarisch mit den Angehörigen der Eingeschlossenen waren, fanden sich am Mineneingang ein. Auch Prinz Felix, der Gatte von Großherzogin Charlotte, begab sich zum Fond-de-Gras, um sich vor Ort über die Lage zu informieren und die Retter zu ermutigen.

Die Rettung glückte und nach 60 Stunden erblickten die sechs Eingeschlossenen wieder das Tageslicht. Die Freude nach der Rettung war groß. Sogar die Zeitungen in unseren Nachbarländern berichteten darüber.

Hunger und Kälte

Das Tageblatt besuchte nach der Bergung die Bergleute zu Hause. Hier ein Teil des Berichtes eines der Verschütteten: „Nun stellte sich allmählich der Hunger ein und die Kälte machte sich immer unangenehmer fühlbar. Wir waren nicht sehr warm gekleidet, unsere Arbeit verträgt das nicht und so litten wir sehr unter der Kälte. Wir mussten versuchen, uns zu erwärmen. Wir legten eine Leiter über zwei Pulverkisten, legten Bretter darüber und stellten unsere Karbidlampen darunter. Dann setzten wir uns über die Flammen. Wir hatten glücklicherweise 11 Kilo Karbid bei uns. Die Zeit verstrich mit unheimlicher Langsamkeit. Wir unterhielten uns, so gut es ging, sprachen von unseren Familien und was sie wohl taten oder sagten. Wir erzählten Späße, pfiffen und sangen. Wir munterten uns gegenseitig auf, so gut wir konnten.“

Und wie gingen die Bergleute mit dem Hunger um? „Geschlafen haben wir wenig. Hunger und Kälte plagten uns immer mehr, vor allem aber die Kälte. Wir wärmten uns Wasser, tranken es so heiß wie möglich. Das Brot, das wir mit hatten, teilten wir in daumengroße Rationen, von denen wir jeden Tag nur eine aßen. Wir ließen unseren Galgenhumor an unserem Hunger aus. Wir berieten, welchen von uns wir zuerst aufessen sollten: den Fettesten oder den Jüngsten. Freitagabend wurden wir immer einsilbiger und mutloser. Hätten wir nicht immer die Schüsse der Kameraden gehört, wir wären verzweifelt. Wir wurden schwindlig vor Hunger. Einer schreckte aus seinem Hindösen auf, zeigte ins Dunkel der Grube und lallte: Dort kommen 10 Kilo Brot.“

In dem Tageblatt-Artikel heißt es weiter, dass die Bergleute gegen den Hunger ihre Schuhriemen abschnitten und daran kauten. Aus einem Stollen lief zudem fortwährend Wasser auf den Bruch zu, wo es sich staute. Bald stand dieser ganze Stollen unter Wasser und die Verschütteten waren gezwungen, ihren Platz zu wechseln, weil das Wasser bis zu ihnen vordrang. „Wir stiegen öfters in ein Buggi und fuhren die Strecke hin bis zum Bruch. Der Berg war jetzt ruhig und wir konnten versuchen, von unserer Seite her vorzudringen. Samstag früh wurden wir zuerst von außen gehört. Jetzt wussten wir, dass wir gerettet waren. Aber gerade jetzt dehnte sich die Zeit bis zur Unendlichkeit.“ Der besagte Artikel schließt mit folgenden Zeilen: „Ja, es ist gutgegangen! Jetzt liege ich im Bett und bin warm wie eine Maus. Es ist doch ein großes Glück, bei Frau und Kindern zu sein.“ Unnötig, zu erwähnen, dass die sechs Bergleute nur ein paar Tage nach dem Unglück wieder in die Grube einfuhren. Damit musste man erst einmal klarkommen, denn psychologische Hilfe gab es damals noch keine …


1445 Tote

Die Namen der Verunglückten sind auf den Tafeln des Bergarbeiter-Denkmals in Kayl verewigt. Zwischen 1845 und 1981 fanden 1.445 Bergleute den Tod in den Luxemburger „Galerien“. Der Älteste war 78 Jahre alt und der Jüngste knapp 13. Allein zwischen 1875 und 1914 verloren 60 Bergleute ihr Leben in den Differdinger Gruben. Zwei Abgeordnete starben ebenfalls: Jean Schortgen und J.-P. Bausch. Unfälle mit zum Teil Schwerverletzten vermeldeten die Zeitungen fast monatlich.