StandpunktDas Versagen des Pandemievorbereitungstests

Standpunkt / Das Versagen des Pandemievorbereitungstests
Eine Passantin trägt eine FFP2-Maske in der Hand Foto: dpa/Marijan Murat

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Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Auch wenn der Sommer 2022 ganz anders aussieht als der Sommer 2020, weil wir jetzt über Impfstoffe, Behandlungsmöglichkeiten und ein besseres Verständnis des Virus verfügen, reicht das nicht aus. Jede Woche sterben immer noch 15.000 Menschen an Covid-19. Ärmere Länder haben weiterhin Schwierigkeiten, Impfstoffe, Tests, Diagnostika und andere Hilfsmittel einzusetzen. Und Länder aller Einkommensschichten sind nach wie vor kaum auf die nächste Pandemie vorbereitet, obwohl Experten davor warnen, dass es nur eine Frage des „Wann“ und nicht des „Ob“ ist.

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie haben die Staats- und Regierungschefs der Welt die Notwendigkeit einer stärkeren Koordinierung, Zusammenarbeit und kollektiven Finanzierung zur Unterstützung einer verbesserten Bereitschaft und Reaktion auf die Pandemie (Pandemic Preparedness and Response, PPR) anerkannt. Auf Empfehlung eines hochrangigen unabhängigen Gremiums einigten sich die G20-Staaten im Juni letzten Jahres auf die Einrichtung eines neuen Fonds für Finanzintermediäre (FIF), der von der Weltbank in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation verwaltet wird und dazu beitragen soll, die jährliche Finanzierungslücke bei der PPR von 10,5 Milliarden US-Dollar zu schließen.

Viele sehen im FIF eine längst überfällige Gelegenheit, die Art und Weise, wie wir gemeinsam mit globalen Gemeinschaftsgütern wie Gesundheit (oder Klima) umgehen, zu ändern. Im Rahmen eines stärker inklusiv ausgerichteten globalen PPR-Unterstützungssystems würden sich alle Länder an der Entscheidungsfindung und Lastenteilung beteiligen, und alle würden von den gleichen kollektiven Vorteilen profitieren. Dies würde bedeuten, dass man sich vom veralteten und ineffektiven Status quo der Geber-Nehmer-Beziehung lösen müsste, bei dem die PPR-Strategie lediglich als ein weiteres „Entwicklungsprojekt“ betrachtet wird. Stattdessen würden alle anerkennen, dass bei der Abwendung globaler Gesundheitskrisen die Bedürfnisse, Defizite, Vorteile und Verantwortlichkeiten kollektiv und universell sind, auch wenn sie weltweit ungleich verteilt sind.

Ausgewogeneres Governance-Modell

Nachdem sich die ärmeren Länder und die Zivilgesellschaft stark dafür eingesetzt haben, wurde der FIF so konzipiert, dass er ein gerechteres und ausgewogeneres Governance-Modell verkörpert, bei dem die Entscheidungsfindung gleichmäßig zwischen reichen Gebern und teilnehmenden Ländern aufgeteilt ist. Es stellt sich jedoch die Frage, ob dieser formale Interessenausgleich in die Praxis umgesetzt werden kann. Wenn die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen nicht das Gefühl haben, dass sie ihre eigenen nationalen PPR-Strategien selbst in die Hand nehmen können, wird der FIF schnell zu einer unerwünschten und lästigen Ablenkung.

Dieses Ergebnis ist umso wahrscheinlicher, wenn nur wenig Geld zur Verfügung steht. Leider belaufen sich die FIF-Zusagen bisher auf insgesamt nur 1,4 Milliarden Dollar, was nach Angaben der Weltbank etwa einem Zehntel des jährlichen weltweiten PPR-Finanzierungsbedarfs entspricht.

Schlimmer noch: Es gibt keine Garantie dafür, dass diese Mittel langfristig zur Verfügung stehen, wie die derzeitigen Schwierigkeiten des Globalen Fonds, der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) und anderer Institutionen bei der Aufstockung ihrer Mittel zeigen. Der Access to Covid-19 Tools-Accelerator (ACT-A) – der die globale Covax-Impfstelle beherbergt – weist für das Haushaltsjahr 2022-23 immer noch eine Finanzierungslücke von 15,2 Mrd. Dollar auf. Die verhaltene globale Reaktion auf die erste Finanzierungsinitiative des FIF – von der ein Großteil aus anderen wichtigen globalen Gesundheitsfonds zu kommen scheint – verheißt nichts Gutes für die Zukunft.

Nationale Gesundheitssysteme

Und selbst wenn die Mittelbeschaffung durch kurzsichtige reiche Länder kein Problem wäre, so ist der FIF doch nur auf einen kleinen Teil des weltweiten Finanzierungsbedarfs für die PPR-Strategie ausgerichtet. Ein wichtiger Bereich, der nicht berücksichtigt wird, sind die nationalen Gesundheitssysteme. Diese sind für die Durchführung wirksamer Pandemiebekämpfungsmaßnahmen von entscheidender Bedeutung, aber selbst die fortschrittlichsten Gesundheitssysteme haben jetzt nach Covid-19 Schwierigkeiten, mit der Situation Schritt zu halten.

So weisen beispielsweise die langjährigen weltweiten Impfprogramme jetzt Defizite auf, wodurch Millionen von Kindern noch anfälliger für Infektionskrankheiten werden. Und dass zur Bekämpfung von Covid-19 Gelder von wichtigen Prioritäten im Bereich der öffentlichen Gesundheit wie der Bekämpfung von HIV/AIDS abgezogen wurden, ist eine enorme Herausforderung, die auch die Anfälligkeit für Covid-19 und andere Krankheiten erhöht.

Der Erfolg der PPR-Bemühungen des FIF erfordert eine massive Aufstockung der Finanzmittel für die Gesundheitssysteme in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, die weit über die relativ mageren und knapp bemessenen 1,4 Mrd. Dollar hinausgehen, sowie umfassendere und kreativere Ansätze zur Erweiterung des fiskalischen Spielraums der ärmeren Länder für Investitionen in die Gesundheit. Unter der dynamischen Führung von Premierministerin Mia Mottley ist Barbados beispielsweise dabei, als erstes Land eine „Pandemieklausel“ in seine Staatsanleihen aufzunehmen, die es ermöglicht, die Rückzahlung seiner Schulden im Falle einer Pandemie auszusetzen. Diese Neuerung spiegelt die Naturkatastrophenklausel wider, die das Land nach einer Reihe verheerender Wirbelstürme bei seiner jüngsten Umschuldung eingeführt hat.

Angesichts der heutigen beispiellosen Verschuldung, die durch Inflation, Ernährungsunsicherheit und Klimakatastrophen noch verschärft wurde, sind solche Klauseln ein einfach lösbares Problem. Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sollten damit beginnen, sie massenhaft zu übernehmen.

Der Internationale Währungsfonds muss seinerseits die Führung bei der Entwicklung eines ehrgeizigeren „Debt-to-health swaps“-Mechanismus übernehmen, damit die Länder nicht zwischen dem Kauf lebenswichtiger Medikamente und der Rückzahlung an US-amerikanische und europäische Hedgefonds wählen müssen. Und es sollte selbstverständlich sein, dass der IWF von seinen willkürlichen und verheerenden Sparprogrammen abrückt, die die Länder immer wieder dazu zwingen, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen und Geld in den Reserven zu halten, selbst wenn sie mit völlig destabilisierenden Klima-, Gesundheits- und sozioökonomischen Krisen konfrontiert sind.

Ein inklusiv geführtes und finanziell gut ausgestatteter FIF könnte einen entscheidenden Beitrag zur Vorbereitung der Welt auf die nächste Pandemie leisten, aber nur, wenn es von umfassenden Reformen des Rahmens für die Finanzierung globaler Gesundheitsinitiativen begleitet wird. Ohne umfassendere und sofortige Mittel und Hilfsmaßnahmen zur Stabilisierung der Volkswirtschaften der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen droht der FIF zu einem Pflaster auf einer Schusswunde zu werden.

* Mariana Mazzucato ist Gründungsdirektorin des UCL Institute for Innovation and Public Purpose und Vorsitzende des Council on the Economics of Health for All bei der Weltgesundheitsorganisation.

Übersetzung: Andreas Hubig

Copyright: Project Syndicate, 2022. www.project-syndicate.org