Brill-PlatzDas „Temporary History Lab“ sucht Zeitzeugen zum Mitmachen

Brill-Platz / Das „Temporary History Lab“ sucht Zeitzeugen zum Mitmachen
Das „Temporary History Lab“ im Herzen der Stadt Esch auf dem Brill-Platz, im sogenannten „Annexe22“, einem der beiden Pavillons der Örtlichkeit Foto: Esch2022/Noëlle Schon

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Uni.lu geht auf die Menschen zu. Das „Temporary History Lab“ ihres Instituts für Zeit- und Digitalgeschichte wird sich in den kommenden Wochen Erinnerungen, Erfahrungen und Eindrücke der Menschen aus Esch und der Minetteregion anhören. Damit sollen sie zu aktiven Mitgestaltern der Geschichte der Region werden. Das Projekt ist Teil des Programms „Esch 2022“.

Geschichte, wie wir sie aus Büchern, Artikeln und Dokus kennen, wird in der Regel anhand von schriftlichen, fotografischen und digitalen Dokumenten erstellt. Historiker durchforsten dazu staatliche, private und Firmenarchive, Tagebücher und andere Quellen, aus denen Vergangenes beleuchtet werden könnte. Meist werden diese Quellen durch Aufzeichnungen von leitenden Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft, durch administrative und andere Dokumente gespeist. Nur selten jedoch wird Geschichte anhand von Zeugnissen von einfachen Menschen erstellt. Genau diesen Weg beschreitet das C2DH (Centre for Contemporary and Digital History) mit seiner Geschichtswerkstatt. Eingerichtet wurde das „Temporary History Lab“ im Herzen der Stadt Esch auf dem Brill-Platz (heute place de la Résistance), im „Annexe22“, einem der zwei Pavillons der Örtlichkeit.

Während vier Wochen wird das Team um Stefan Krebs, Dozent und Leiter der Abteilung Public History am C2DH, Augen und Ohren für Bürger und Einwohner der Minetteregion offen halten. Sie sollen durch ihre Erzählungen und ihre Erinnerungen aus ihrem Alltagsleben zur Geschichte des Landessüdens beitragen. Die Daten aus den Interviews werden in die wissenschaftlichen Arbeiten der Historiker einfließen.

Wer Minette sagt, denkt zuerst an rauchende Fabrikschlote der Eisenindustrie, noch Ältere an den Bergbau. Doch die Zeitzeugen, die man in der Geschichtswerkstatt empfangen möchte, sollen nicht nur über die industrielle Vergangenheit der Stadt erzählen. Angesprochen werden alle, die in der Region leben. Man wolle bei diesem Projekt nicht nur den Stahlarbeiter hören, sagt Dr. Stefan Krebs, sondern auch die Hausfrau, die aus den 1950er- und 1960er-Jahre erzählen kann, oder den Café-Besitzer. Willkommen seien auch Personen, die erst vor zwanzig Jahren in die Region kamen. Und so beschreiben die Organisatoren der Werkstatt ihre Erwartungen an die Gäste in der Einladung an die Öffentlichkeit: „Wir, Historikerinnen und Historiker des C2DH interessieren uns für Ihre Erinnerungen an die Zeit der Eisen- und Stahlindustrie, an Ihre damalige Arbeit, Freizeit und alltäglichen Lebensumstände, aber auch für Ihre Wahrnehmung der Veränderungen in Stadt und Region vom Zweiten Weltkrieg bis heute.“

Die Zeitzeugen sollen in Einzelgesprächen oder zusammen mit Familienangehörigen über ihr Leben erzählen. Das Treffen könnte gleich in der Werkstatt oder in den Räumlichkeiten der Uni stattfinden, so Dr. Krebs. Von größtem Interesse für die Forscher sind dabei auch Dokumente und Fotos, die mit dem Einverständnis der Besitzer digital erfasst würden. Es kann sich dabei auch um persönliche Dokumente wie Einschulungsfotos oder Arbeitsverträge handeln.

Während der vier Wochen Geschichtswerkstatt werden die Escher und Gäste der Stadt sich konkret mit der Geschichte der Minetteregion befassen können, was bei dem einen oder anderen selbst Erlebtes in Erinnerung rufen könnte.

Noch bis zum 23. Oktober ist ab 19.00 Uhr von Mittwoch bis Sonntag an zwei weiß gestrichenen Fenstern von „Annexe22“ eine Video-Installation mit Kurzgeschichten zur Vergangenheit und Gegenwart der Region zu sehen. Am vergangenen Wochenende konnten sich Interessierte anhand einer Analogkamera und Selbstauslöser allein oder mit Familie ablichten. Einige dieser klassischen Selfies werden vom 21. bis 23. Oktober vor Ort ausgestellt. Seine Stimme kann man am 10. und 11. Oktober auf eine bespielbare, mit Motiven aus der Vergangenheit bedruckte Tonpostkarte aufzeichnen. Eine in der Werkstatt aufgestellte Cartavox-Maschine aus dem Jahr 1957 wird die Textbotschaft in die Vinyl-Scheibe übertragen, die dann auf einem Plattenspieler aufgelegt werden kann. Ausgestellt und gespielt werden Audiopostkarten vom 10. bis 18. Oktober im „Annexe22“.

Am 10. und 11. Oktober laden die Autorinnen und Autoren des in Bälde erscheinenden „Guide historique et architectural Esch-sur-Alzette“ zu historischen Stadtrundgängen ein. Einzelne Beiträge dieses Sammelbands zum historischen und architektonischen Erbe der Stadt waren in den letzten Monaten im Tageblatt veröffentlicht worden. Videos sind auf der Webseite www.c2dh.uni.lu zu sehen.

Das „Temporary History Lab“ ist Teil des Programms für „Esch 2022“, die Europäische Kulturhauptstadt. Uni.lu sei nicht nur wichtiges Element, sondern auch ein Partner von „Esch 2022“, so Programmdirektorin Françoise Poos am Freitag anlässlich der Eröffnung der Geschichtswerkstatt. Sie betonte dabei insbesondere das partizipative Element des Projekts.

Die Geschichtswerktstatt ist von Mittwoch bis Sonntag von 10.00 bis 17.00 Uhr geöffnet.