Gespräch mit Tageseltern„Das Ministerium ist schuld an meiner schrecklichen Situation“

Gespräch mit Tageseltern / „Das Ministerium ist schuld an meiner schrecklichen Situation“
Die Tageseltern in Luxemburg beklagen sich über ihre Situation. Vor allem kommen sie mit dem Gehalt kaum über die Runden. Symbolfoto: dpa/Oliver Berg

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Tageseltern, auch „assistants parentaux“ genannt, sind verärgert über ihre Situation. Eine Reform steht an, doch manche können nicht so lange warten. Sie wissen nicht, wie sie bis nächstes Jahr über die Runden kommen sollen.

Nicole* ist seit über zehn Jahren Tagesmutter im Süden des Landes und hatte bislang stets fünf Kinder in der Betreuung bei sich zu Hause. Doch seit Dezember sind es nur noch drei Kinder. Die Eltern der zwei anderen, die sie bereits seit rund drei Jahren bei sich betreut, entschieden sich für die Einschreibung in einer „Maison relais“. Der Grund: Dort ist die Betreuung seit September völlig gratis. Die Tagesmutter ist für sie überflüssig geworden.

Nicole fragt zurzeit nicht mehr als den Basistarif von 3,75 Euro pro Stunde, obwohl sie rein theoretisch mehr verlangen dürfte. „Würde ich das tun, dann kämen gar keine Kinder mehr zu mir“, sagt sie im Tageblatt-Gespräch. Denn jeden Cent, den sie mehr fragt, müssen die Eltern aus ihrer eigenen Tasche bezahlen. Insbesondere jetzt, wo die „Maisons relais“ gratis sind, werden Eltern dies nicht mehr hinnehmen wollen. Nicole spricht von einer unfairen Konkurrenz. Bei den 3,75 Euro handelt es sich um den Anteil, der vom „Chèque-service accueil“ vom Staat übernommen wird. Nach 19 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen steigt dieser Tarif auf 4,25 Euro. Seit September bekommen Tageseltern pro Mahlzeit, die sie einem Kind zubereiten, 4,50 Euro vom Staat zurückerstattet. Maximal dürfen die „assistants parentaux“ fünf Kinder gleichzeitig betreuen.

Der Verdienst ist zu niedrig und rechtfertigt den Arbeitsaufwand nicht

Tamara*, Tagesmutter

Tamara* ist ebenfalls Tagesmutter, aber im Zentrum. Im Tageblatt-Gespräch erzählt sie, dass sie 6 Euro pro Stunde fragt. Die Eltern müssen demnach 2,25 Euro aus ihrer eigenen Tasche dazulegen. Dennoch greifen diese weiter auf ihre Dienste zurück. Dort, wo sie wohnt, gibt es offenbar weniger Tagesmütter und weniger Plätze in den „Maisons relais“, sodass immer noch Eltern sich für Tamara entscheiden. Dennoch wird sie demnächst ihren Job als Tagesmutter an den Nagel hängen. „Der Verdienst ist zu niedrig und rechtfertigt den Arbeitsaufwand nicht“, erklärt sie. Sie ist dabei, sich nach anderen beruflichen Zweigen umzusehen.

Der Bildungsrahmenplan 

Nicole würde dies am liebsten ebenfalls tun. Doch sie hat Angst vor dem Schritt und weiß nicht recht, wie sie vorgehen sollte. Sie stellt sich viele Fragen: Bekommt sie überhaupt Arbeitslosengeld ausbezahlt, darf sie die restlichen Verträge mit den Eltern kündigen oder muss der Schritt von diesen ausgehen? Nicole ist im Gegensatz zu Tamara nicht verheiratet und hat zudem mehrere eigene Kinder. Demnach könne sie sich nicht, wie Tamara, auf das Gehalt ihres Mannes verlassen. Nicoles Dilemma: Macht sie weiter, dann wird sie mit bloß drei Kindern in der Betreuung wahrscheinlich nicht mehr über die Runden kommen. Hängt sie den Job an den Nagel, hat sie keine Alternative. „Wie soll ich den Kredit für meine Wohnung bezahlen?“, fragt sie.

Jene, die dabeiblieben, mussten vieles in Kauf nehmen. […] Manche gaben es auf und orientierten sich um.

Nicole*, Tagesmutter

Mit der Einführung des Bildungsrahmenplans im Jahr 2017 kamen viele Änderungen auf die Arbeit der Tageseltern zu. Unter anderem änderte sich ihr Statut und sie wurden freiberuflich. Dennoch mussten sie etliche Verpflichtungen, die ihnen das Bildungsministerium vorschrieb, erfüllen. Diesen Moment bezeichnen die Tageseltern als Wendepunkt. „Jene, die dabeiblieben, mussten vieles in Kauf nehmen“, sagt Nicole. „Das war nicht einfach. Manche gaben es auf und orientierten sich um.“ Seit dieser Reform werden beispielsweise die Ferien nicht mehr bezahlt, wenn die Kinder nicht zu ihnen kommen. „Dann verdienen wir gar nichts“, sagt Tamara. In der Zeit vor dem Rahmenplan habe man zusammengerechnet zwölf Monate gehabt, an denen man Geld bekam. „2017 bekamen wir auf der einen Seite einen Zuschlag von 25 Cent pro Stunde und auf der anderen Seite viele Rechte abgenommen und Pflichten aufgebürdet“, moniert Nicole. „Früher hatten wir auch in der Ferienzeit Geld, auch wenn es eigentlich nur auf die zwölf Monate verteilt war.“

Seit 2017 nahm die Zahl der Tageseltern langsam, aber stetig ab. Zurzeit gibt es 448 Tageseltern (Stand: 31.12.21). Das sind 38 weniger als vor einem Jahr und 84 weniger als im Dezember 2019. Auf Nachfrage des Tageblatt bestätigt das Bildungsministerium, aktuell an einer Reform der „assistance partentale“ zu arbeiten. Diese sehe unter anderem eine Tariferhöhung bei den Tageseltern vor. Mehr dazu wollte die Pressesprecherin des Ministeriums, Myriam Bamberg, nicht verraten, da man dabei sei, die Details auszuarbeiten. Bamberg betonte allerdings, dass die entsprechenden Gesetzesprojekte in den nächsten Wochen zum Abschluss gebracht und auf den Instanzenweg geschickt würden.

Selbstständig und doch nicht

„Der Staat zwingt uns Sachen auf, befiehlt uns, was wir zu tun haben und dann sollen wir selbstständig sein“, schimpft Nicole. Wenn nun zwei ihrer fünf Kinder nicht mehr kommen werden, breche ein großer Teil ihres Gehaltes weg, das bislang eh nur sehr knapp zum Leben reichte. Die Schuld dafür gibt sie der Einführung der Gratis-Betreuung in den „Maisons relais“. „Das Bildungsministerium ist schuld an meiner schrecklichen Situation“, sagt sie. Nicole sieht auch keine Möglichkeit, dass andere Kinder die zwei freigewordenen Plätze ersetzen könnten. Das Schuljahr habe bereits angefangen und alle Kinder seien irgendwo angemeldet. Niemand brauche einen Platz bei ihr.

Die Tagesmutter hat bereits an verschiedene Stellen um Hilfe gebeten. Dem Tageblatt zeigt sie eine Liste: Bildungsministerium, Gewerkschaften, den Konsumentenschutz und andere Organisationen. „Niemand kann mir weiterhelfen“, sagt sie. Sie zeigt einen Brief, den sie an das Bildungsministerium gesendet hat und die Antwort, die sie bekommen hat. Der Absender zeigt darin Bedauern für ihre Situation und schlägt einige Lösungen vor. Sie könne sich umorientieren und einer anderen Beschäftigung nachgehen; sie könne sich arbeitslos melden und ihre Zulassung abgeben; sie könne sich in einer „Maison relais“ als Hilfserzieherin melden. Letzterer Punkt sei definitiv keine Option für sie, da es für eine solche Stelle Voraussetzung ist, die luxemburgische Sprache zu beherrschen. Das tue sie nicht.

Im Tageblatt-Gespräch waren sich alle Tageseltern einig, dass die 3,75 Euro nicht ausreichend sind und dieser Basistarif dringend erhöht werden müsse. Dies nicht zuletzt auch wegen der aktuellen Preisteuerung. Auch stören sie sich an dem Status der Freiberuflichkeit, der nur Nachteile mit sich bringe. Zudem wünschen sich die Tageseltern ein festes Minimalgehalt als Absicherung.

Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt und wurden umgeändert, da die Tageseltern anonym bleiben wollen. Sie befürchten Konsequenzen bezüglich ihrer Arbeit und Person.

Neue Reform

Das Bildungsministerium wollte noch keine Details zur neuen Reform der „assistance parentale“ bekannt geben. Einiges hatte Bildungsminister Claude Meisch allerdings schon in der Antwort auf eine parlamentarische Frage Anfang September erläutert. Was nun davon zurückbehalten wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar. 1.: Eventuelle Erhöhung des Tarifs vom „Chèque-service accueil“. 2.: Möglichkeit, eine „indeminité de démarrage“ einzuführen. 3.: Abstimmung über die eventuelle Einführung eines Programms zur Mehrsprachigkeit bei den Tageseltern. 4.: mögliche Änderung des Statuts als Freiberufler („Indépendant“).