AfghanistanDas macht die Einschätzung der Taliban für den Westen so schwierig

Afghanistan / Das macht die Einschätzung der Taliban für den Westen so schwierig
Nie ohne Waffe im Bild: Spezialeinheiten der Taliban an einem Checkpoint in Kabul Foto: AFP/Aamir Qureshi

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Die Taliban sind weiterhin eine geheimnisumwobene Bewegung. Über ihre oberste Führungsriege ist nur wenig bekannt. Das macht es umso schwerer für den Westen, ihre Absichten richtig einzuschätzen.

Die Taliban waren und sind eine geheimnisumwobene Bewegung. Bislang halten sie es auch weiter so: Abgesehen vom Vizechef Mullah Abdul Ghani Baradar haben sich ihre wichtigsten Anführer trotz der Machtübernahme noch nicht öffentlich in Afghanistan blicken lassen. Weiter gibt es nur Erzählungen darüber, wo sie sich aufhalten – oder Audiobotschaften.

Über die oberste Führungsriege der Taliban ist nur wenig bekannt. Allerdings haben sich ihre Führung und Politik seit dem Sturz durch die USA 2001 merkbar entwickelt. Durch die Verhandlungen mit den USA unter US-Präsident Donald Trump über einen US-Truppenabzug hat sich die einst international isolierte Bewegung jedoch zum diplomatisch anerkannten Verhandlungspartner gemausert. Und seit ihrer Machtübernahme in Kabul am Sonntag vor zwei Wochen schlagen sie eine weichere Linie ein – zumindest bis jetzt.

„Netzwerk von Netzwerken“

Organisatorisch sind die Taliban laut dem Afghanistan-Experten Thomas Ruttig von der Kabuler Denkfabrik Afghanistan Analysts Network ein „Netzwerk von Netzwerken“. Nichtsdestotrotz seien sie stark hierarchisch organisiert. Der Taliban-Chef Haibatullah Achundsada trägt den Titel „Amir ul-Momenin“, Oberhaupt der Gläubigen. Er entscheidet alleine und ist nicht absetzbar. Am Sonntag wurde nun bekannt, dass sich Achundsada in der Islamisten-Hochburg Kandahar befindet. Achundsada werde sich bald öffentlich zeigen, kündigte ein Taliban-Sprecher an.

Nie ohne Waffe im Bild: Ein Taliban-Kämpfer bei einer Ansprache des Hochschulministers
Nie ohne Waffe im Bild: Ein Taliban-Kämpfer bei einer Ansprache des Hochschulministers Foto: AFP/Aamir Qureshi

Beraten wird Achundsada von dem sogenannten Führungsrat, in dem alle politischen Diskussionen geführt werden. Der Führungsrat hatte unter Mullah Omar, als dieser die Taliban Mitte der 1990er Jahre gründete, ursprünglich zehn Mitglieder. Heute soll er auf geschätzt 30 oder mehr Mitglieder angewachsen sein, deren Autorität auch religiös legitimiert ist.

Auch wenn die Taliban sich entwickelt hätten, so seien die personellen und politischen Veränderungen nur graduell, sagt Ruttig weiter. Führer der ersten Generation seien mittlerweile gestorben oder im Kampf getötet worden, doch im Führungsrat herrsche mehr Kontinuität als Wandel. Innerhalb der Bewegung dominierten ältere Geistliche, Paschtunen aus der Provinz Kandahar. Seit mehreren Jahren allerdings rückten zunehmend Nicht-Paschtunen in die mittlere Führungsebene auf.

In den vergangenen Jahren blieb die Bewegung ungeachtet vieler Versuche, sie zu spalten, überraschend geschlossen. Der Afghanistan-Experte Ibraheem Bahiss der Denkfabrik International Crisis Group sagte jüngst in einem Podcast, das liege einerseits an der historischen Entwicklung der Bewegung. Sie sei nach dem Modell eines Emirats aufgebaut und man habe von Tag eins an versucht, ihren Reihen religiöse Gehorsamspflicht zu vermitteln, also praktisch blinden Gehorsam gegenüber der Führung.

Oft sind sie mehrdeutig geblieben

Andererseits habe sie sich als eine Aufstandsbewegung nicht mit grundsätzlichen Fragen der Regierungsführung beschäftigen müssen, so Bahiss. Sie seien in der Lage gewesen – etwa in der Frage, wie lange Mädchen die Schule besuchen dürfen – mehrdeutig zu sein und lokalen Kommandeuren jene Politik zu erlauben, die sie für richtig hielten.

Nie ohne Waffe im Bild: Taliban-Kämpfer warten in einem Kabuler Restaurant auf ihr Essen
Nie ohne Waffe im Bild: Taliban-Kämpfer warten in einem Kabuler Restaurant auf ihr Essen Foto: AFP/Wakil Kohsar

Ruttig erklärt, eine Unterteilung der Taliban in Moderate versus Radikale sei künstlich und vielmehr eine westliche Projektion. Zurzeit ordneten sich alle dem einigenden politischen Ziel der Machterringung und Machtkonsolidierung unter. Allerdings könnten sich sehr wohl Differenzen in der praktischen Politik entwickeln – etwa bei Fragen, wie man sich gegenüber der eigenen Bevölkerung verhalten wolle oder mit der internationalen Gemeinschaft umgehe.

Nun, nach ihrem militärischen Sieg, stehen die Islamisten vor einer großen Herausforderung: Sie müssen das gesamte Land – ein Land, das sich in den vergangenen 20 Jahren stark verändert hat – regieren und diese grundlegenden Fragen für das ganze Land beantworten. Allerdings bezweifeln weiter viele Afghanen, dass sich die Islamisten wirklich geändert haben. (AFP, dpa, Red.)

Wieder Mann
30. August 2021 - 16.05

Der Westen hat verspielt.Den Trumpf in der Hand hält die Türkei und wird so ihr Einflussreich ausbauen. Die Türkei wird in Zukunft ein gefährlicher Kontrahent für den Westen sein. Nach Kurdistan, Libyen, der Ägäis, Nordzypern streckt die Türkei ihre Tentakel nach Afghanistan aus .