Mittwoch12. November 2025

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Geschichten aus EschSieben Euro mit Wirkung:  Das große Missverständnis um ein Desinfektionsmittel 

Geschichten aus Esch / Sieben Euro mit Wirkung:  Das große Missverständnis um ein Desinfektionsmittel 
Der 7-Euro-Aufreger: Der Kassenbon des Anstoßes

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Es gibt Geschichten, die sind einfach zu schön, um nicht erzählt zu werden. Diese ist eine solche. Sie spielt sich unmittelbar nach Ende des Lockdowns im Grenzer Viertel von Esch ab. Es ist die Geschichte eines großen Missverständnisses in den hysterischen Zeiten des weltumspannenden Virus. Alles dreht sich um die mystische Ziffer 7.

Cafés und Restaurants sind seit wenigen Tagen wieder geöffnet. Nach den entbehrungsreichen Wochen, eingesperrt in den eigenen vier Wänden, kehrt ein wenig Normalität in den Alltag zurück. Also geht Pierre* auf dem Nachhauseweg an einem Montagabend noch einen trinken. Er hat Patricia* als Begleiterin im Schlepptau. Sie verbringen einen schönen Abend in der Wirtschaft, um kurz nach 23 Uhr beschließen sie, aufzubrechen.

Patricia fragt nach der Rechnung, während Pierre vor dem Heimweg noch kurz aufs Klo geht. Als er sein kleines Geschäft erledigt hat, begibt sich Pierre an den Tresen und übernimmt ganz Gentleman-Style die Rechnung. Den Kassenbon steckt er sich in die Jackentasche. Erst später denkt er über die Summe nach. 26,80 Euro für drei Bier, zwei Shots, ein Wasser und einen Cappuccino erscheinen ihm dann doch etwas viel. Zum Glück hat er die Rechnung noch. Groß ist die Überraschung darüber, was er dort liest: 3,50 Euro für „Gel  désinfectant“. Und das mal zwei, also 7 Euro insgesamt.

Ja, er hat sich die Hände sowohl beim Betreten als auch beim Verlassen des Lokals desinfiziert. Aber dafür  jetzt 3,50 Euro bezahlen? Das geht zu weit und Pierre zudem nicht aus dem Kopf. Natürlich tun ihm die 7 Euro nicht weh, aber es geht ums Prinzip. Also kontaktiert er am Dienstagmorgen das Tageblatt und legt den Kassenbon vor. Journalist Paul* sieht es schwarz auf weiß: 7 Euro extra für das Desinfizieren der Hände. Wenn das mal keine gute Story ist!

Die Geschichte

Pierre und Paul reden lange miteinander. Über die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Alltag der Menschen. Und wie schön es ist, dass die Gaststätten wieder geöffnet sind. Journalist Paul erzählt von seinem Stamm-Italiener auf der „Grenz“, dessen Gerichte nach dem Lockdown zwischen 1 und 2 Euro teurer wurden. Ist ja auch zu verstehen, denn Corona bedroht schließlich das Überleben des gesamten Horeca-Bereichs. Der treue Kunde versteht so etwas und ist sogar bereit, etwas mehr zu zahlen, wenn das seinen Lieblingslokalen hilft. Das meint auch Pierre. Was allerdings nicht geht, da sind sich die Männer einig, ist so etwas klammheimlich zu tun, ohne den Kunden zu informieren.

Noch schlimmer aber ist, 3,50 Euro für das Desinfizieren der Hände zu verlangen, auch wenn das nicht heimlich geschieht, da dieser Posten ja auf dem Kassenbon vermerkt war. Auf der anderen Seite: In welcher Kneipe gibt es überhaupt eine Rechnung und wer steckt die sich nach dem Bezahlen auch noch ein?

In seinem Kopf hat Paul die Geschichte schon geschrieben. Er ruft beim Konsumentenschutz an. Ob man dort schon von ähnlichen Fällen gehört hat? Nein, hat man nicht. Lediglich beim Friseur gibt es seit der Wiedereröffnung Aufschläge wegen der Investitionen in das Corona-Schutzmaterial. Ganz offiziell. Umso besser, denkt sich Paul. Er muss jetzt nur noch den Wirt anrufen und ihn mit seiner Ungeheuerlichkeit konfrontieren. Er soll sich erklären können, doch die Schlinge liegt schon eng an seinem Hals. 

Und dann löst sich die tolle Story in kürzester Zeit in Luft auf: Wirt Pascal* erklärt Paul, dass es eine plausible Erklärung für alles gibt, ob der Journalist denn keine Zeit habe, vorbeizukommen, um sich ein Video anzuschauen. Wenig später sitzen die beiden Männer an einem Tisch. Paul sieht sich das Video der Überwachungskamera an. Seine Geschichte ist im Eimer, denn Pascal ist nicht nur sympathisch, sondern auch glaubwürdig. Ein kleiner Restzweifel aber bleibt. Noch aus dem Café ruft er Pierre an und gibt ihn an Pascal weiter. Die beiden Männer unterhalten sich fünf Minuten, Paul beobachtet den Wirt. Kein Zweifel, dass er die Wahrheit sagt. Er zeigt Paul zudem die Desinfektionsmittel. Außerdem lädt er Pierre ein, sich das Video anschauen zu kommen. Spätestens dann gibt es Gewissheit. Noch am selben Abend geht Pierre wieder in das Café, das er am Morgen nie mehr betreten wollte. Und da wusste auch Pierre: Es ist alles nur ein großes Missverständnis.

Die Erklärung

Denn das war geschehen: Patricia ist Stammgast im Café. Offensichtlich nicht der allerbeste Kunde, den man sich vorstellen kann. Aber immerhin ein Gast, der regelmäßig kommt, der bezahlt und der auch ab und an Begleitung mit bringt. Am Sonntag war Patricia im Café zu Besuch. Auf dem Tresen stehen in einem kleinen Verkaufsständer ein Dutzend Fläschchen Desinfektionsmittel. Sie sind vom Physiotherapeuten ganz in der Nähe. Der kennt Wirt Pascal und bat ihn, das Zeug für ihn zu verkaufen. Denn er hatte zu viel davon geordert. 3,50 Euro sollte der Verkaufspreis pro Stück sein. Am Montagmorgen sind zwei Flakons weg. Die Serviererin des Vorabends aber erklärt, sie habe keine davon verkauft. Daraufhin schaut sich Pascal das Überwachungsvideo an. In einem Anflug geistiger Umnachtung, es war Vollmond, hatte Patricia zwei Stück in ihrer Tasche verschwinden lassen. Als Patricia am Montagabend mit Pierre die Gaststätte wieder betrat, wollte sie Pascal nicht vor ihrem Begleiter bloßstellen. Als Patricia aber die Rechnung verlangte, dachte der Wirt, sie würde auch bezahlen. Er fügte den Preis für die gestohlenen Flakons kurzerhand auf die Zeche hinzu. Doch Pierre bezahlte und dem Wirt war die Situation so peinlich, dass er ihn nicht darauf aufmerksam machte. Er wollte das beim nächsten Mal mit Patricia klären.

Pascal ist sich bewusst, dass er einen Fehler gemacht hat. Er gibt Pierre die 7 Euro zurück. Paul und Pierre tauschen sich seitdem regelmäßig aus. Beide haben Pascal versprochen, demnächst auf ein Bier vorbeizukommen. Vielleicht ist Patricia ja dann auch wieder da. Soll noch einer behaupten, die 7 wäre eine ganz normale Zahl.

* Namen von der Redaktion geändert