Das Europaparlament schimpft, von der Leyen wirbt

Das Europaparlament schimpft, von der Leyen wirbt

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Es sollte der große Tag der europäischen Demokratie werden. Etwas mehr als einen Monat nach der Europawahl wählte das frisch konstituierte Europaparlament am Mittwoch in Straßburg seinen neuen Präsidenten. Der italienische Sozialdemokrat David-Maria Sassoli wird das Abgeordnetenhaus für die nächsten zwei Jahre führen.

Von unserem Korrespondenten Eric Bonse, Straßburg

Sassoli wurde im zweiten Wahlgang mit 345 der 667 gültigen Stimmen gewählt. Der ehemalige Journalist versprach, „den Integrationsprozess wieder in Gang zu setzen“ und stärker auf die Bedürfnisse der Bürger einzugehen. Als Schwerpunkte seiner Arbeit nannte er Jugendarbeitslosigkeit, Migration und den Klimawandel. Doch die Wahl stand im Schatten einer ganz anderen Entscheidung, die am Vortag in Brüsseler Hinterzimmern gefallen war: Die deutsche CDU-Politikerin Ursula von der Leyen soll nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs zur nächsten EU-Kommissionschefin aufsteigen. Und das Europaparlament soll diesen Vorschlag absegnen.

Frust und Widerstand

Schon in zwei Wochen soll es so weit sein. Dann wählt das Parlament den oder die nächste Kommissionsspitze. Während der Europawahl hatten die Abgeordneten versprochen, dass dafür nur ein Spitzenkandidat infrage käme. Von der Leyen hat allerdings nicht einmal am Wahlkampf teilgenommen. Ihre Kandidatur wurde erst am Dienstag verkündet – von den 28 EU-Chefs. Das führt zu Frust – und Widerstand. Manche träumen sogar von einem Aufstand. Doch wird es das Europaparlament tatsächlich wagen, von der Leyen abzulehnen und so in einen Machtkampf mit den Regierungschefs einzusteigen?

Am Mittwoch ging es zunächst darum, die Muskeln spielen zu lassen. „Sassoli hat 345 Stimmen bekommen, EVP, S&D & Liberale haben aber 444 Sitze im Parlament. Es gibt keine Von-der-Leyen-Koalition im Parlament!“ twitterte der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold. „Frau von der Leyen als Chefin der Kommission ist untragbar. Sie ist keine Spitzenkandidatin und steht in keinem Verhältnis zum Europäischen Parlament“, sagte Jens Geier, Chef der Europa-SPD.

Ähnlich äußerte sich die grüne Spitzenkandidatin Ska Keller. „Dieser Hinterzimmer-Deal ist grotesk, er stellt niemanden zufrieden“, sagte sie. Özlem Alev Demirel, friedenspolitische Sprecherin der Linken, sprach von einem „bösen Omen“. Von der Leyen stehe für das Ziel, „die EU unweigerlich zu einer Rüstungsunion umzubauen.“

„Viel zuhören“

Allerdings ist fraglich, ob der Protest am Ende stark genug sein wird, um von der Leyen noch zu verhindern. Merkels einstiger Günstling Manfred Weber ist schon eingeknickt. Er ziehe seine Kandidatur zurück und beuge sich der Meinung seiner Partei, erklärte der gescheiterte Spitzenkandidat bereits am Dienstagabend in Straßburg. Damit dürfte die konservative Europäische Volkspartei (EVP), dem Deal zustimmen, wenn auch zähneknirschend.

Um die letzten Widerstände bei ihren Parteifreunden zu überwinden, reiste von der Leyen am Mittwoch nach Straßburg, wo sie sich am Nachmittag mit der EVP und den deutschen Europaabgeordneten traf. Sie wolle „viel zuhören“ und dem Parlament dann in zwei Wochen ihre Vision für die EU darlegen, sagte sie. In der kommenden Woche will die CDU-Politikerin auch mit den Grünen sprechen. Der härteste Brocken dürften aber die Sozialdemokraten sein. Sie drohen weiter damit, mit Nein zu stimmen. „Für die Europa-SPD ist klar: Frau von der Leyen bekommt unsere Stimmen für ihre Wahl als Präsidentin der Kommission nicht“, erklärte SPD-Mann Geier nach der Wahl des neuen Parlamentspräsidenten.

Die Genossen streben nun eine „progressive Allianz“ an, die die Pläne der Kanzlerin durchkreuzen soll. Ein solches Bündnis hatten die Sozialdemokraten allerdings auch schon nach der Europawahl angekündigt. Es ist bisher nicht zustande gekommen.

den Idealist
4. Juli 2019 - 22.55

Welche Befugnisse hat überhaupt noch das EU Parlament?