EU-Institutionen Das Drama um die Chafea geht weiter

EU-Institutionen  / Das Drama um die Chafea geht weiter
 Foto: Editpress/Julien Garroy

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Das Ende der Exekutivagentur für Verbraucher, Gesundheit und Lebensmittel (Chafea) artet in ein politisches Tauziehen um die Zukunft Luxemburgs als EU-Standort aus. Brüssel schweigt auffällig laut, Angebote für Ersatz stehen aus und Antworten auf parlamentarische Anfragen lassen auf sich warten.

Zuletzt hat sich Charles Goerens (68), DP-Politurgestein mit Ministervergangenheit in Luxemburg und EU-Parlamentarier, mit der Chafea-Frage befasst. Seine parlamentarische Anfrage an die EU-Kommission vom 16. Dezember des vergangenen Jahres enthält jede Menge Zündstoff.

Er wirft darin unter anderem die Frage nach dem Vorteil der Schließung einer Agentur mit dem Schwerpunkt Gesundheit mitten in einer Pandemie auf. Die Chafea kümmert sich europaweit um Gesundheitssicherheit und -prävention und verteilt Gelder für entsprechende Programme an die Mitgliedsländer. Der Etat dafür wurde im Sommer 2020 erheblich und in Milliardenhöhe aufgestockt.

Eine nachvollziehbare, transparente Begründung des Dienstherren, der EU-Kommission, für das Ende der Chafea gab es nie. Goerens fragt denn auch nach den „haushaltspolitischen Überlegungen“ dafür, eine Agentur mit 79 Vollzeitstellen zu schließen und eine andere mit 400 Vollzeitstellen zu eröffnen, obwohl die Chafea seit 16 Jahren reibungslos in Luxemburg funktioniert.

Hochspezialisierte Gesundheitsexperten gehen verloren 

Der EU-Politiker wundert sich, dass Brüssel offenbar den Verlust von 30 hochspezialisierten Gesundheitsexperten mitten in einer Pandemie in Kauf nimmt. Das sind die Chafea-Mitarbeiter, die nicht nach Brüssel umziehen wollen oder können. Ein konkretes Stellenangebot im EU-Umfeld haben sie bislang nicht bekommen – ganz davon abgesehen, dass es nie einen Sozialplan gab.

Außerdem hätte der DP-Politiker gerne eine Erklärung dafür, wieso in Brüssel eine neue Agentur mit Schwerpunkt Gesundheit und Digitales entstehen soll, wo doch Digitales einer der drei Pole des Luxemburger Hauptsitzes ist. Dabei geht es um die heikle Frage eines Ausgleichs für den Abzug der Chafea aus Luxemburg, die bislang ungelöst ist.

Antworten hat er bislang keine bekommen. „Ich weiß, dass sich der zuständige EU-Kommissar vor den Antworten drückt“, sagt Goerens, der in Brüssel sehr gut vernetzt ist. „Sie werden aber kommen, sonst mahne ich das an.“

Zuständig für Haushalt und Verwaltung ist in Brüssel der Österreicher Johannes Hahn. Der ÖVP-Politiker hat im Oktober erst Außenminister Jean Asselborn (LSAP) und Premier Xavier Bettel (DP) in der Sache empfangen. Die Repräsentanz von EU-Institutionen in Luxemburg gehört zur DNA des Großherzogtums.

„Da hat es in den letzten Jahren schon viel Veränderungen nach unten gegeben“, sagt Goerens, der in der Chafea-Sache vor allem die Verletzung der Asselborn-Georgieva-Vereinbarung bemängelt. „Das Papier wird von allen, die es betrifft, anders gelesen“, sagt er. Außerdem ist es nicht rechtsverbindlich. Das bringt Goerens dazu, für die Zukunft rechtlich verbindliche und einforderbare Abkommen bezüglich des Standorts Luxemburg zu fordern.

Fakt der Vereinbarung aus dem Jahr 2015 ist, dass die Finanz-, Rechts- und Digitalzentren der EU in Luxemburg gestärkt werden sollen, was mit dem Transfer von Kommissionspersonal und zusätzlichen neuen Stellen im Großherzogtum verbunden ist. Darin bekräftigt die EU-Kommission die Absicht, die Chafea im Zuge der Gesundheitsprogramme personell aufzustocken. Überdies sollen 12,5 Prozent der EU-Mitarbeiter in Luxemburg stationiert sein.

Außenministerium bleibt vage 

Nach Goerens’ Einschätzung sind es schon jetzt weniger und momentan werden mit der Chafea weitere Stellen abgebaut. Das Außenministerium verweist in diesem Zusammenhang gerne darauf, dass die Europäische Staatsanwaltschaft und das „Gemeinsame Unternehmen für europäisches Hochleistungsrechnen“ (EuroHPC) in Luxemburg angesiedelt werden sollen und das Land sich für das Zentrum für Cybersicherheit bewerben will.

Das darf nicht davon ablenken, dass Beobachter der Entwicklungen wie Goerens oder die Gewerkschaft der EU-Mitarbeiter in Luxemburg (USL) im Zuge des Chafea-Abzugs den Verlust der Generaldirektion „Gesundheit“ befürchten. Dort arbeiten nach Angaben des Außenministeriums 60-70 Mitarbeiter. „Das muss man sehr genau im Auge behalten“, sagt Goerens. Das Außenministerium teilt Ängste wie diese nicht.

Dort verweist ein Sprecher auf das Protokoll Nr. 6 der EU-Verträge, das den Sitz der EU-Organe und ihrer Einrichtungen in der EU regelt. Es regele klar, dass der Sitz der Direktion C „Öffentliche Gesundheit“ in Luxemburg sei. Weniger klar äußert sich das Ministerium hingegen zur Zukunft der Chafea.

Wie schon in vorangegangenen Anfragen bleibt es auch auf die jüngste Tageblatt-Anfrage vage, was deren Zukunft angeht. „Falls die Auflösung der Exekutivagentur (…) definitiv beschlossen wird“, gilt der 1. Februar, heißt es von dort. „Für den Fall, dass die Auflösung der Chafea definitiv beschlossen wird (…)“, sollen die 30 in Luxemburg bleibenden Gesundheitsexperten „von der Kommission selbst übernommen werden“, heißt es zum Verbleib der 30 Mitarbeiter, die nicht nach Brüssel gehen. 

Das Lavieren erklärt sich damit, dass der luxemburgischen Regierung in Brüssel harte Verhandlungen bevorstehen – vor allem in Fragen der Kompensation. Einen einfachen Stand hat sie nicht. „Luxemburg ist für EU-Mitarbeiter nicht mehr so attraktiv“, sagt Goerens und verweist auf die hohen Wohnkosten im Land bei fehlendem Lohnzulagen, wie sie EU-Mitarbeiter in anderen Ländern erhalten.

Für EU-Mitarbeiter in Stockholm gibt es einen Zuschlag von 28 Prozent auf das Gehalt wegen der hohen Lebenshaltungskosten, in Kopenhagen sogar 32 Prozent. Bei der „Union syndicale Luxembourg“ (USL) ist diese Problematik schon länger bekannt. Sie setzt sich für eine solche Zulage ein, bislang erfolglos. Von daher kann einer der offiziellen Gründe für den Abzug der Chafea getrost als vorgeschoben entlarvt werden: „Zu hohe Lohnkosten.“

Das ist die luxemburgische Seite. Die Affäre Chafea wirft darüber hinaus ein ungünstiges Licht auf die EU selbst. „Da halten am angelsächsischen ,Hire and Fire‘-Modell orientierte Praktiken mehr und mehr Einzug“, sagt Goerens. „Das stört mich immens.“ Als Fazit steht am Schluss, dass die Affäre noch andauert und die Kommission sich in der Angelegenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Transparent und sozial geht anders und wird von EU-Seite so gerne vehement anderswo eingefordert.

Direktion C „Öffentliche Gesundheit“

Die Aufgaben dieser Direktion umfassen unter anderem die Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention, Finanzierungsinstrumente, internationale Beziehungen sowie Gesundheitssicherheit und Impfschutz. Unter anderem als Vorsitz des EU-Gesundheitssicherheitsausschusses (Health and Security Committee) spielt diese Direktion eine zentrale Koordinationsrolle im Zuge der Covid-Pandemie.
(Quelle: Außenministerium)