ÖsterreichCorona und Skandale egal: Nehammer einstimmig zum ÖVP-Parteichef gekürt

Österreich / Corona und Skandale egal: Nehammer einstimmig zum ÖVP-Parteichef gekürt
Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer wurde mit 100 Prozent zum neuen ÖVP-Parteivorsitzenden gewählt Foto: APA/dpa/Erwin Scheriau

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Österreichs von Affären erschütterten Christdemokraten verbarrikadieren sich in der Wagenburg und küren Bundeskanzler Karl Nehammer einstimmig zum Parteichef.

„So viele in so einem kleinen Raum heißt auch, so viele Viren, aber jetzt kümmert es uns nicht mehr – schön, dass ihr da seid!“ – dieser Spruch könnte Karl Nehammer noch auf den Kopf fallen, wenn die nächste Pandemiewelle kommt. Aber an diesem Samstag gibt es in der Grazer Helmut-List-Halle niemanden, dem ein kritisches Wort über des Kanzlers Begrüßungsworte zu entlocken wäre. Nehammer hat zwar nichts von dem Charisma, das Vorgänger Kurz in lichte Höhen gehievt hatte, aber die ÖVP hat auch nichts außer Nehammer. Sie ist ihm dankbar, dass er den Laden zusammenhält. Da wird viel verziehen. Sein Vorstoß für eine Gewinnabschöpfung bei börsennotierten Energiekonzernen hat zwar den Wirtschaftsflügel verärgert, beim Parteitag ist davon aber nichts zu spüren.

Nach dem mit einem schweren Kater endenden Kurz-Rausch ist den Türkisen nicht nur die Virenlast im Saal egal. Auch Korruptionitis scheint die ÖVP nicht sonderlich zu kümmern. Dem schon im Oktober wegen Korruptionsermittlungen gegen ihn zurückgetretenen Ex-Messias Kurz wird in Graz ein ehrenvoller Abgang ermöglicht, den er für offensives Werben um möglichst breite Unterstützung für seinen schon seit Dezember geschäftsführend amtierenden Nachfolger nützt.

Türkise Wagenburg

Gezielt schaffen die Parteigranden eine Wagenburg-Mentalität, die den Delegierten das Gefühl geben soll, Teil einer verfolgten Gruppe zu sein. Fast ein bisschen wie die Ukrainer, nur mit dem Unterschied, dass die ÖVP kein staatlicher Aggressor quält, sondern böse Staatsanwälte, Journalisten und Oppositionelle. Man betrachtet sich als Opfer und will niemals Täter gewesen sein. „Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem“, hatte Nehammer schon vor Monaten alle Verdächtigungen weggewischt. Dabei erstrecken sich die Vorwürfe gegen ein gutes Dutzend ehemaliger oder noch aktiver ÖVP-Granden von Korruption über Postenschacher, wirtschaftliche Untreue bis hin zum Amtsmissbrauch. Gerade ist der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner ins Visier der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) geraten. Er wird verdächtigt, Unternehmern fürs Inserieren in einem ÖVP-Medium Vorteile angeboten zu haben. Der Verdacht befeuerte die Tatsache, dass er nach Bekanntwerden der Ermittlungen Dienst-Handy und -Laptop austauschen ließ.

Das weckt unweigerlich Erinnerungen an die Chat-Flut aus dem Handy des Kurz-Vertrauten Thomas Schmid, die den ÖVP-Jungstar letztlich aus dem Kanzleramt gespült hatte. Schmid hatte im ÖVP-geführten Finanzministerium einen Kabinettsmitarbeiter, der Bedenken gegen einen Steuerrabatt für einen Austro-Oligarchen hatte, belehrt: „Du bist die Hure für die Reichen!“

Karl Nehammer bemüht beim Parteitag ein gegenteiliges Bild. Er vergleicht die ÖVP mit dem Heiligen Martin, Schutzpatron der Armen. Der hatte seinen Mantel mit einem Bettler geteilt. Aber, betont Nehammer, „er hat seinen Mantel geteilt, nicht den eines anderen“. Denn das wäre Sozialismus.

Keine Gegenstimme

Ob Nehammers Gewinnabschöpfungsvorstoß, mit dem durch Öl- und Gaspreisexplosion erzielte „Zufallsgewinne“ von Energiekonzernen mit den inflationsgeplagten Steuerzahlern geteilt werden sollen, nun unter sozialistisch oder christsozial im Sinne des Heiligen Martin fällt, wurde in Graz nicht diskutiert. Zweifler und Kritiker hatten dort Pause. Es ging nur um ein Signal der Geschlossenheit aus der Wagenburg. Und das gelang eindrucksvoll: Mit 524 der 524 abgegebenen Stimmen wird Nehammer zum Parteichef gekürt. 100 Prozent Zustimmung ohne auch nur eine Gegenstimme, das hatte in der ÖVP-Geschichte noch kein neuer Obmann geschafft.

Doch letztlich wird Nehammer nicht an seinem Parteitagsergebnis gemessen, sondern an Wahlergebnissen. Und da schaut es derzeit eher schlecht aus für die in Umfragen hinter die SPÖ auf Vor-Kurz-Niveau zurückgefallene ÖVP.