ReportageCorona hat die Existenznöte der Roma in Südosteuropa noch verschärft

Reportage / Corona hat die Existenznöte der Roma in Südosteuropa noch verschärft
Leben im Dauerprovisorium: Von Menschen bewohnte Viehställe in der Roma-Siedlung „Banglades“ bei Novi Sad in Serbien Foto: Thomas Roser

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Auch am gestrigen Welt-Roma-Tag gibt es für die größte Minderheit auf dem Balkan zum Feiern kaum einen Grund. Grenzüberschreitend hat die Epidemie die Existenznöte der Roma verschärft – und ihre Ausgrenzung verstärkt.

Banglades ist nicht weit. Doch kaum jemand der 340.000 Einwohner von Novi Sad hat sich jemals in die nur acht Kilometer vom Zentrum entfernte Siedlung verirrt. Hinter dem Zollamt führt ein mit Schlaglöchern übersäter Feldweg an das vergessene Ende der serbischen Stadt. Die gedrungenen Backsteinbauten seien „nicht für Menschen, sondern für Rinder und Schweine“ errichtet worden, berichtet der Familienvater Fadil Grekoli, während er über die Pfützen in den nicht asphaltierten Gassen von Banglades stakt: „Wir lebten hier fast 40 Jahre lang ohne Strom- und Wasseranschluss.“

Ein fernes Hämmern ertönt über den grauen Dächern von Banglades. Nach dem Brand in einem Roma-Viertel wurden dessen Bewohner 1971 vorübergehend in den Ställen der früheren Kooperative untergebracht. Später seien Roma „aus allen Ecken Serbiens“ in die Siedlung gekommen, berichtet der stoppelbärtige Fadil. Während offiziell von 255 Bewohnern die Rede ist, beziffert der Mann in der blaukarierten Windjacke deren Zahl auf rund 500: „Die Armut ist groß. Und mit Corona ist alles noch schwieriger geworden.“

Auf zehn bis zwölf Millionen Menschen wird die Zahl der Roma in Südosteuropa geschätzt. Doch für die größte Minderheit auf dem Balkan gibt es am gestrigen Welt-Roma-Tag kaum einen Grund zum Feiern. Die Epidemie hat die Existenznöte der Roma verschärft – und ihre Ausgrenzung verstärkt: Die Corona-Krise trifft die Ärmsten der Armen besonders hart.

Neugierig schnüffeln zwei herrenlose Hunde im Müll. Lachend klackern Kinder mit ihren Murmeln im Straßenstaub. „Die meisten von uns leben vom Müll, vom Recycling“, erzählt Fadil: „Die Leute sammeln und sortieren Alteisen, Flaschen, Papier – und ernähren so ihre Kinder.“ Ein Problem sei, dass die Stadt im letzten Corona-Jahr zeitweise das Sammeln von Müll verboten und die Polizei gegen Roma hohe Strafen verhängt habe: „Zu der ganzen Mühe, die Kinder über die Runden zu bringen, kamen auch noch die Bußgelder hinzu.“

Kaum mehr Arbeit wegen der Pandemie

Wegen Corona stoßen die Müllsammler aus Banglades ohnehin auf noch mehr Vorbehalte als sonst: „Die Leute haben Angst, dass wir uns bei unserer Arbeit an dem Müll infiziert haben könnten. Und reagieren noch reservierter auf uns.“ Geld für Schutzmasken hätten nur die wenigsten: „Die meisten sind zu arm und gehen ohne Handschuhe zur Arbeit.“

Das Virus hat unsere Lage verschlimmert und die Probleme bloß gelegt, mit denen wir Roma uns alltäglich konfrontiert sehen

Stevica Nikolic, Aktivist der Selbsthilfeorganisation „Roma Opre“ in Novi Sad

Auch Tagelöhnerjobs auf den Baustellen und in den Fabriken der Umgebung seien für Roma rar geworden, so Fadil. Manchen Arbeitgebern sei es zwar egal, „wer du bist und woher du kommst. Aber andere nehmen dich nicht, weil du aus Banglades kommst und Rom bist. Das ist mit Corona noch schlimmer geworden. Weil es ohnehin für alle weniger Arbeit und Geld gibt.“

Schon ohne Covid hätten Serbiens Roma als „Kollateralschäden“ der Kriege und der endlosen Wirtschaftstransformation in einer „permanenten Krise“ gelebt, berichtet Stevica Nikolic, Aktivist der Selbsthilfeorganisation „Roma Opre“ in Novi Sad: „Das Virus hat unsere Lage verschlimmert und die Probleme bloß gelegt, mit denen wir Roma uns alltäglich konfrontiert sehen.“

Ein mächtiges Schwein döst grunzend im übelriechenden Schlamm neben den Fäkaliengruben. 70 Prozent der Roma-Siedlungen sind nicht kanalisiert. 38 Prozent der Häuser verfügen über keinen Wasseranschluss. „Wenn es regnet, haben wir ein größeres Problem als Corona“, ätzt Fadil Grekoli: „Dann laufen die Gruben über und stehen wir in den Häusern in unserer eigenen Jauche.“

Politiker und Medien schürten Hass

Selbst einfache Präventivregeln wie Händewaschen und Distanz können in Roma-Siedlungen wie in Banglades nur mit Mühe befolgt werden. Den meisten fehle es nicht nur am Internetanschluss, um die Kinder den Unterricht verfolgen oder sich für eine Impfung registrieren lassen zu können, berichtet Fadil: „Manche haben nicht einmal ein Badezimmer. Sie kochen Wasser in einem Kessel und waschen sich in einer Wanne.“ Nicht alle könnten sich Brennholz kaufen: „Manche heizen auch mit alten Sportschuhen oder Autoreifen.“

In den Nachbarländern sieht es kaum besser aus. Viele bulgarische Roma hätten im letzten Jahr ihre Jobs oder ihren Lebensunterhalt verloren, berichtet am Telefon der Roma-Aktivist Emil Metodiew in Sofia. Gleichzeitig habe sich der von Medien und Politikern geschürte „Hass und die Demagogie“ im ärmsten EU-Staat gegenüber der Minderheit noch verstärkt: „Monatelang wurde behauptet, dass wir Roma das Virus verbreiten und gefordert, dass wir isoliert werden.“

Manche haben nicht einmal ein Badezimmer. Sie kochen Wasser in einem Kessel und waschen sich in einer Wanne.

Fadil Grekoli, Familienvater

Dabei leben die Roma auf dem Balkan ohnehin oft in abgelegenen Siedlungen. Auch in Bulgarien würden Roma meist getrennt von den Stadtzentren „hinter Schienen, Brücken, Flüssen und Mauern“ leben, so der Aktivist der „Ständigen Roma Konferenz“: „Es ist leicht, uns beim Lockdown abzuschließen. Es genügt oft nur ein Streifenwagen am Eingang der Siedlung.“

Mit einer Impfrate von nur 5,9 Prozent liegt das rückständigste EU-Mitglied weit unter dem EU-Mittel von 13,3 Prozent. Obwohl Roma eine zehn Jahre kürzere Lebenserwartung als ihre Landsleute hätten und wegen ihrer schlechten Gesundheitsversorgung und fehlender Krankenversicherungen „besonders gefährdet“ seien, sei für sie die Impfung erst „in der allerletzten Phase“ vorgesehen, klagt Metodiew: „Die Roma haben keinerlei Priorität.“

Nicht eingehaltene Versprechen

Impfstoff gibt es in Serbien eigentlich genug. Aber dennoch sind in Banglades bisher nur zwei Bewohner geimpft. Nicht nur das Misstrauen in staatliche Institutionen, sondern auch die über die Boulevardmedien verbreitete Impfskepsis sowie den begrenzten Internet- und Informationszugang macht Nikolic für die bisher nur sehr geringe Zahl von geimpften Roma verantwortlich. Eine bisher einmalige Impfaktion in einer Roma-Siedlung in Nis bezeichnet er als „reine PR-Aktion“: „Die Politik wird bei uns meist nur aktiv, wenn sie eigene Interessen wittert.“

Zumindest im Stimmenstreit finden auch die Würdenträger den Weg nach Banglades. Vor der letzten Wahl sei den Bewohnern der Abriss der Ställe und der Bau einer neuen Fertighaussiedlung gelobt worden, berichtet Fadil. Bis auf eine Bodenuntersuchung sei bisher allerdings nichts geschehen: „Ich glaube erst an die neue Siedlung, wenn hier tatsächlich die Bagger anrollen.“

Bisher sind nur die Bewohner von Banglades unfreiwillig aus der Einwohnerstatistik getilgt. Weil sich Novi Sad mit den Nachbargemeinden nicht einigen könne, zu wem die Siedlung gehöre, könnten sich die Bewohner mittlerweile weder selbst noch ihre neugeborenen Kinder anmelden, klagt Fadil: „Wenn du nicht registriert bist, kannst du auch nichts beantragen. Das Einzige, was uns immer erreicht, sind die Rechnungen.“