AnalyseClaude Meisch und die Privatisierungspolitik in den Schulen – Sind die Vorwürfe berechtigt?

Analyse / Claude Meisch und die Privatisierungspolitik in den Schulen – Sind die Vorwürfe berechtigt?
Die Art und Weise, wie Claude Meisch in manchen Bereichen vorgeht, lässt den Verdacht aufkommen, dass er die öffentliche Schulen in Richtung Privatisierung stoßen wolle. Doch es gibt auch Gegenbeispiele. Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Der Vorwurf, er wolle eine schleichende Privatisierung der öffentlichen Schule vorantreiben, lastet schwer auf Claude Meisch. Sind die Vorwürfe eigentlich berechtigt? Wie sieht der Bildungsminister sein Vorgehen? Eine Analyse.

Das Ausarbeiten von zwei Gesetzesprojekten im stillen Kämmerlein erweckte bei so manchem den Verdacht, Claude Meisch wolle im Schatten von Corona die Privatisierung der öffentlichen Schulen vorantreiben. Beim Aufsetzen der Texte 7662 und 7658 hat Meisch auf den Austausch mit den Sozialpartnern und den Akteuren „um Terrain“ verzichtet, sagen die Gewerkschaften. Erst als die Texte bereits auf dem Instanzenweg waren, konnte die CGFP als größte Staatsbeamtengewerkschaft einen „Avis“ dazu abgeben.

Hier stellt sich die berechtigte Frage, wieso Meisch auf diese Weise vorgeht. Ist dieses Vorgehen überhaupt noch demokratisch? Ist es sozialpolitisch? Der Bildungsminister hat demnach über die Köpfe aller Akteure hinweg Gesetzesprojekte, die diese Menschen betreffen, aufgesetzt und eingereicht. Zusätzlich sollte der Instanzenweg schnell abgehakt werden, wie Gewerkschaftler sagen.

In den vergangenen Monaten hat man eine Debatte geführt und nun ist klar, dass man sich in den wesentlichen Punkten einig ist. Das war eine der Schlussfolgerungen Meischs auf die öffentliche Debatte der Petitionskomission am Mittwoch. Dass eine Debatte in den letzten Monaten stattgefunden hat, ist aber nicht der Verdienst des Bildungsministers. Es ist vielmehr eine Konsequenz, die sich aus seinem einseitigen Handeln ergeben hat. Die Texte befanden sich ja bereits auf dem Instanzenweg. Nein, die Debatte wurde geführt, weil Gewerkschaften, Lehrer und Eltern sich gewehrt haben und die beiden Projekte in der Öffentlichkeit anprangert haben. Und genau dies führte am Ende dazu, dass Meisch resignieren musste.

Ich werfe die Frage auf, ob eine Schule alleine mit der Einstellung eines Agenten aus dem Privatsektor schon privatisiert wäre. Meine Antwort ist nein.

Claude Meisch, Bildungsminister

Wie kann es sein, dass beide Lager nun in wesentlichen Punkten übereinstimmen? Wieso mussten dann überhaupt die Fetzen fliegen? Meisch sagte am Mittwoch, dass er alles unterschreiben könne, was die verschiedenen Lager über den Wert der öffentlichen Schule gesagt haben. Musste Meisch also nur weit genug in die Ecke gedrängt werden, damit er seine Meinung ändert? Ganz geändert hat er seine Meinung allerdings nicht. So sagte der Bildungsminister am Mittwoch in der Chamber: „Ich werfe die Frage auf, ob eine Schule alleine mit der Einstellung eines Agenten aus dem Privatsektor schon privatisiert wäre. Meine Antwort ist nein.“

Für Meisch ist das keine Privatisierung

Genau hier befindet sich der springende Punkt. In Meischs Augen hat die Einstellung von Personen aus dem Privatsektor auf Schlüsselpositionen im Bildungswesen nichts mit Privatisierung zu tun. Meisch hat demnach eine andere Sicht als das „gegnerische Lager“, was Privatisierung bedeutet. Und genau diese Besetzung von Schlüsselposten haben Gewerkschaften, Lehrer und Eltern auf den Plan gerufen. Viele von ihnen waren der Meinung, dass das so nicht geht.

Nach dem ganzen Aufstand hat Meisch also nun versprochen, die CGFP aktiv in das neue Gesetzesprojekt einzubinden. Auch Fragestellungen aus der Debatte am Mittwoch sollen in den neuen Text einfließen. Dazu gehören: Welche Kompetenzen sollte ein Direktor eigentlich haben? Sind Fortbildungen notwendig, damit er seiner Aufgabe gerecht werden kann? Wie kann man diese Funktion aufwerten, um Lehrer mehr dafür zu motivieren, eine solche Stellung anzunehmen? Letztere Frage bezeichnet Meisch als Grund, wieso die beiden umstrittenen Gesetzesprojekte überhaupt aufgesetzt wurden. Es gäbe nämlich ein Mangel an Interessierten, einen solchen Posten anzunehmen. Schwebte Meisch etwa eine bestimmte Person aus dem Privatsektor vor, die auf einen dieser Posten gehievt werden sollte? Seine Vorgehensweise kann zumindest einen solchen Verdacht nicht gänzlich ausschließen.

Einsicht zeigte Meisch dadurch, dass dies nach einer Überarbeitung des Textes nicht mehr unbedingt Kandidaten aus der Privatwirtschaft sein sollten. In Text 7658, wo es um die Besetzung von Direktionsposten in den Verwaltungen Script („Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques“), IFEN („Institut de formation de l’éducation nationale“) und CGIE („Centre de gestion informatique de l’éducation“) geht, wurde nun die Bedingung von mindestens fünf Jahren im Staatsdienst als Voraussetzung festgelegt. Der Kreis der Bewerber wird demnach ausgedehnt auf andere Agenten des öffentlichen Dienstes, nicht aber auf jene aus dem Privatsektor.

Script (Innovation und Recherche), IFEN (Weiterbildung) und CGIE (Informatik) sind drei bedeutende Abteilungen, die dem Bildungsministerium ihre Dienste zuspielen. Laut Wort findet im IFEN seit geraumer Zeit ein größerer Umbruch statt. Mehrere Personalien seien in den Chefetagen ausgetauscht worden. Nun stehe zudem der Rücktritt des Direktors Camille Peping an. In Zwischenzeit, so das Wort, sei nun ein neuer Generalsekretär aus der Privatwirtschaft eingestellt worden, der nur bedingt die Zulassungsbedingungen erfülle. Dieser habe unter anderem beim Unternehmen „Ernst and Young“ gearbeitet und sei der luxemburgischen Sprache nicht mächtig.

Bildungsminister dreht den Spieß um

Vermehrten Vorwürfen, das Ministerium würde in diesen drei Bereichen viel outsourcen, erteilte Meisch eine klare Absage. Am Mittwoch drehte er den Spieß um und zählte einige Beispiele auf, bei denen der staatliche Auftrag des Bildungsministeriums ausgedehnt wurde. Seit 2015 habe man die Personaldecke in den drei Diensten Script, IFEN und CGIE um 150 Prozent hochgesetzt. Ziel sei es, die Schulen auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Dazu sei viel didaktisches Material, auch im informatischen Bereich sowie in der Weiterbildung entwickelt worden. „Wir versuchen diese Aufgabe selber zu erfüllen, soweit es geht“, sagte Meisch. Demnach könnten sämtliche Fächer in der Grundschule mit selbst entwickelten Lernmaterialien vom Script versorgt werden. „Wir sind hier also nicht auf den Privatsektor angewiesen.“ Eine Erklärung, wie es um die Neuausrichtung des IFEN steht, blieb Meisch den Zuhörern am Mittwoch schuldig.

In seiner Stellungnahme am Ende der Debatte erwähnte Claude Meisch ein neues Gesetzesprojekt, das vorsehe, dass der Staat die Privatschule „Ecole Grandjean“ (EPG) übernimmt. Es handelt sich dabei laut Aussage des Ministers um eine kleine Schule, die zehn Lehrer und 140 Schüler zählt. „Wir wollen nicht, dass ein anderer privater Akteur die Schule übernimmt, sondern dass der Staat dies tut“, erklärt Meisch. Im Sinne der Diversität des Schulangebots und um allen Kindern die gleiche Chance zu geben, solle verhindert werden, so Meisch, dass Eltern teure Gebühren für Privatschulen bezahlen müssten. Deshalb seien die internationalen Klassen heute ein fester Bestandteil der öffentlichen Schulen. Seitdem würden die Zahlen der Einschreibungen an privaten Schulen stagnieren, während jene an den öffentlichen explodieren, so Meisch.

Zudem wolle er ein weiteres Gesetzesprojekt, das im Regierungsprogramm steht, auf den Weg bringen. Es handelt sich dabei um die Überarbeitung des Privatschulgesetzes. Laut Meisch habe man vor, eine Textstelle hinzuzufügen, die besagt, dass nur der Staat darüber entscheiden dürfe, ob ein zusätzliches Angebot einer privaten Schule sinnvoll ist oder nicht. Die Debatte am Mittwoch habe ihm nun gezeigt, dass er mit einem gewissen Rückhalt für dieses Projekt rechnen kann. Dies ermutige ihn, es nun auf den Instanzenweg zu bringen. Es gebe demnach kaum ein Beispiel für Privatisierungstendenzen in der öffentlichen Schule, schlussfolgert der Minister.

Ein gutes Beispiel einer Privatisierung ist allerdings der Einkauf von Programmen bei dem multinationalen Medienkonzern Pearson, der im Bildungsbereich operiert. Diese Programme wurden bislang im „Lycée Michel Lucius“ eingesetzt und sehen eine Auslagerung der Korrektur von Examen vor. Als man damals dort eingestiegen sei, habe es keine Alternative gegeben, erklärt Meisch. Man sei nicht unsensibel gegenüber den Kritikern, die das ankreiden. Deshalb sei man in den vergangenen vier Jahren schrittweise dort ausgestiegen. Das letzte ausgelagerte Examen soll laut Meisch im Juli 2020 stattgefunden haben. Nun habe man stattdessen eine Kooperation mit einer Non-Profit-Organisation aus Cambridge ins Leben gerufen. Auch hier ist Meisch nach dem bekannten Schema verfahren. Er schließt Verträge ab und sobald er merkt, dass diese nach außen nicht mehr tragbar sind, steigt er wieder aus. Aus dem Einkauf von Programmen bei Pearson könne man längst nicht auf eine komplette Privatisierung der öffentlichen Schule schließen, rechtfertigte sich der Minister.

Hary
7. Februar 2021 - 19.40

Nein! Betteridge's Gesetz der Überschriften besagt, dass solche Fragen mit 'Nein' zu beantworten sind.

Nomi
7. Februar 2021 - 13.33

@ Sara : Eng Lei'sung wiir fir d'Edukatio'un ze Entpoilitisei'eren ! Den Edukatio'unsministaer oofschaafen an durch eng kompetent Expertenverwaltung ersetzen ! POLITIK aus der Scho'ul. Nemmen professionell pedagogesch Erkenntnisser emsetzen !

Sara Niméiblo
7. Februar 2021 - 7.00

Herr Meischs (DP) Bildungspolitik mit der Einstellung von vielen Lehrern ohne pädagogische Grundausbildung, schlechte Kommunikation, wenig Dialogbereitschaft usw... stößt bei vielen Professoren und Lehrern auf heftige Kritik. Berechtigt oder unberechtigt sei mal dahingestellt. Viele sind der Meinung, dass falsche Entscheidungen getroffen werden und Bevölkerung und Presse mit Halbwahrheiten und Rhetorik abgespeist werden. Reformen werden schöngeredet; werden aber selten evaluiert und bringen in der Praxis eigentlich nicht die gewünschten Resultate. Jetzt spielen viele nicht mehr mit und sagen: „Dann unterrichte ich lieber weiter als Prof, als eine falsche Politik vertreten zu müssen und melden sich nicht mehr auf solche Posten. Findet der Unterrichtsminister deshalb nur schwer Leute? Es wären viele gute Leute da. Will er nicht deshalb jetzt im Privatsektor rekrutieren? Ist es dort nicht einfacher Menschen zu finden, die die Augen schliessen und blind das tun, was ein Minister will? Dieses veraltete liberale Führungsmodell aus der Wirtschaft ist aber meiner Meinung nach ungeeignet und sogar gefährlich für die Qualität einer öffentlichen Schule. Es geht eben um Kinder, um Menschen und nicht darum Produkte zu vermarkten. Wenn wir Schule verbessern wollen, müssen wir es im Dialog mit den Lehrern, den Schüler und den Eltern tun. Und nicht mit neoliberalen Tricks einer DP. Das wird eh scheitern. Auch mit einem Direktor aus Metz, Nancy oder Trier. ;-)