Reform der PflegediensteCCDH kritisiert Regierung: „Gutachten werden kaum beachtet“

Reform der Pflegedienste / CCDH kritisiert Regierung: „Gutachten werden kaum beachtet“
Die sanitäre Krise hat viele Senioren hart getroffen: Psychische Folgen waren mitunter schwerer als die gesundheitlichen Schäden, die das Virus hätte anrichten können Foto: dpa/Jonas Güttler

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In ihrem jüngsten Gutachten zieht die Luxemburger Menschenrechtskommission mit der Politik hart ins Gericht. Als oberster Hüter der Menschenrechte hat es sich die „Commission consultative des droits de l’homme“ (CCDH) während der sanitären Krise zur Regel gemacht, Gesetzesvorlagen auf ihre Konsequenzen für die Bevölkerung zu analysieren. Die daraus resultierenden Empfehlungen aber finden bei Parlament und Regierung wenig bis kaum Beachtung, wie CCDH-Präsident Gilbert Pregno feststellt.

Legislative und Exekutive seien verpflichtet, aus der Vergangenheit zu lernen, um die Zukunft vorzubereiten. Angesichts der Ereignisse des vergangenen Jahres aber sei auch die Zukunft kräftig durcheinandergewirbelt worden. Umso wichtiger erscheint es den Verantwortlichen der Menschenrechtskommission, sämtliche Gesetzentwürfe genauestens durchzunehmen, um sicherzugehen, dass sie den Auswirkungen der Pandemie auf die in Luxemburg lebenden Menschen tatsächlich Rechnung tragen.

So seien es vor allem die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft, die am stärksten unter den Folgen der sanitären Krise zu leiden hätten. Aus Sorge um die Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung seien mitunter auch Maßnahmen ergriffen worden, die einen besonders ernsten Eingriff in die Grundrechte darstellen, so Pregno. Die Regierung habe Gesetze entworfen, die gewisse Freiheiten stark beschneiden. Teils chaotische Entwürfe, die juristisch auf wackligen Beinen stünden.

„Wie der Staatsrat hat auch die Menschenrechtskommission es nicht versäumt, diesen Aspekt in zahlreichen Gutachten hervorzuheben“, betont der Präsident der CCDH. Leider vergebens: „Konsequenzen gab es keine!“ Regierung und Parlament hätten kaum Interesse an den Empfehlungen gezeigt. „Mit dem Resultat, dass nicht nur einschneidende Eingriffe in die Freiheiten der Bürger vorgenommen wurden. Auch hat sich eine fragwürdige Entscheidungskultur durchgesetzt, die kaum mit dem demokratischen Geist zu vereinbaren ist“, schlussfolgert Pregno.

Ein Dialog finde kaum noch statt, während die Gesetzentwürfe teils unbeanstandet durch das Parlament geschleust werden. Diese Vorgehensweise sei genauso erschütternd wie verschiedene Maßnahmen, die in den letzten Wochen und Monaten ergriffen wurden. „Zu Beginn der Krise hätte man es noch nachvollziehen können. Inzwischen aber können wir es nicht mehr hinnehmen“, betont Pregno, der vor diesem Hintergrund von einer „gefährlichen Ignoranz“ spricht.

Qualität, Transparenz und Flexibilität

Anlass für die Rüge der Menschenrechtshüter war eigentlich der Gesetzentwurf zur Verbesserung der Qualität der Pflegedienste. In ihrem diesbezüglichen Gutachten stellt die CCDH fest, dass Senioren ganz besonders unter den Folgen der Pandemie und der damit einhergehenden Maßnahmen gelitten haben. Grund war nicht allein nur das Virus, sondern auch die Konsequenzen der gesellschaftlichen Isolierung für Geist und Körper. Die Menschenrechtskommission habe daher schon früh versucht, die Aufmerksamkeit der Regierungsmitglieder und Pflegedienstleister auf dieses Phänomen zu lenken, so Pregno.

Statt einer angemessenen Reaktion habe man vielmehr eine Art Banalisierung des Todes älterer Mitmenschen feststellen müssen. Auch sei die „Zwangshaft“ vieler Senioren in den Alters- und Pflegeheimen von vielen Akteuren heruntergespielt worden. „Die Folgen der psychischen Not waren mitunter schwerer als die gesundheitlichen Schäden, die das Virus hätte anrichten können“, stellt der Psychologe fest. Er wisse von Betroffenen, die jegliche Lust am Leben verloren hätten. „Auch höre ich heute immer wieder von älteren Menschen, dass sie sich weigern, zum gegebenen Zeitpunkt in ein Seniorenheim zu ziehen“, sagt Pregno.

Demzufolge wird der entsprechende Gesetzentwurf von der Luxemburger Menschenrechtskommission allgemein begrüßt, wie auch CCDH-Jurist Max Mousel festhält. Tatsächlich verfolgt die Regierung gleich drei Ziele: die Verbesserung der Qualität in den Einrichtungen und Diensten für ältere Mitmenschen, mehr Transparenz und mehr Flexibilität. So sieht die Gesetzesvorlage etwa minimale Kriterien vor, die Einrichtungen und Dienstleister befolgen müssen, um eine Konvention mit dem Staat abschließen zu können. Auch sollen die Empfänger der Pflegedienste anhand eines Registers Angebote, Preise und Charakteristiken einfacher miteinander vergleichen können.

„Die Idee hinter dem Gesetzentwurf ist absolut begrüßenswert, ein solider gesetzlicher Rahmen auch unbedingt nötig“, so Mousel. Vereinzelt seien auch „gute Pisten“ vorhanden, jedoch liefere das Gesetzesprojekt im Allgemeinen keine Antwort auf sämtliche Probleme und Bedürfnisse älterer Mitmenschen, die von der Krise noch verstärkt wurden. „In ihrer aktuellen Form wird die Gesetzesvorlage die Einrichtungen auch weiter gewähren lassen, so wie das in der sanitären Krise bisher der Fall war“, schlussfolgert der Jurist.

CCDH fordert Umdenken

Sowohl die menschlichen als auch die ethischen Aspekte seien bis heute nicht berücksichtigt worden. Zeitweise sei es sogar möglich gewesen, Menschen einfach wegzusperren und Besuche vollständig zu verbieten, und das ohne Schutzvorrichtungen oder minimale Regeln, an die sich die Dienstleister halten müssten. „Daran wird der vorliegende Gesetzentwurf auch nichts ändern“, stellt Mousel fest. „Wer allerdings von Qualität, Transparenz und Flexibilität spricht, sollte auch die Menschenrechte in den Mittelpunkt rücken.“

Betroffene, deren Angehörige und Freunde sowie auch Angestellte, die regelmäßig auf Missstände in den verschiedenen Einrichtungen hinweisen, finden auch heute kaum Gehör. Stattdessen versuche man mit fadenscheinigen Argumenten der „Subsidiarität“, die Verantwortung von sich zu weisen. „Menschenrechte müssen respektiert werden. Und der Staat muss dafür sorgen, dass dem auch Folge geleistet wird“, so der Jurist der CCDH. So sollten Entscheidungen, die die Freiheiten der Senioren beschneiden, strenger reguliert werden.

Des Weiteren fordert die CCDH eine unabhängige Instanz, die ein wachsames Auge auf die Befolgung der Menschenrechte wirft. Diese Aufgabe könnte von einem Ombudsmann übernommen werden. Ziel sei es nicht, mit dem Finger auf Pflegeeinrichtungen zu zeigen, so Mousel. Vielmehr gehe es darum, möglichen Problemen vorzubeugen. Auch sei die Qualität der Dienstleistungen eng mit der Ausbildung des Personals verknüpft. Die Pflegeberufe müssten unbedingt aufgewertet werden. Gleichzeitig sollen Angestellte mehr Mittel und Möglichkeiten erhalten, an Weiterbildungen teilnehmen zu können.

„Jeder Mensch hat die gleichen Rechte“, stellt Max Mousel fest. „Sollte die Regierung dieses Gesetz anpassen und dabei die Lehren aus den letzten Wochen und Monaten berücksichtigen, besteht die einmalige Gelegenheit, einen nachhaltigen Rahmen zu schaffen, den die Menschen und ihre Rechte in den Mittelpunkt rückt.“