NiederanvenBürgermeister Raymond Weydert tritt nicht mehr an – nicht ganz freiwillig – ein Jüngerer will an die Macht

Niederanven / Bürgermeister Raymond Weydert tritt nicht mehr an – nicht ganz freiwillig – ein Jüngerer will an die Macht
Ziemlich beste Freunde seit langem: CSV-Bürgermeister Raymond Weydert (links) und der Erste Schöffe der Gemeinde Niederanven, Jean Schiltz (LSAP) Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Auf den Wahlplakaten, die den Weg durch Niederanven bis hin zum Rathaus säumen, fehlt ein Kopf. Nämlich der von Bürgermeister Raymond Weydert. Seit 2001 prägt der CSV-Politiker die Politik der Gemeinde. Nun tritt er nicht mehr an. Nicht wirklich freiwillig. Bericht über eine sehr menschliche Seite in der Politik.

Bei den Wahlen am kommenden Sonntag tritt der joviale 75-Jährige nicht mehr an. Ganz freiwillig tut Raymond Weydert das nicht. Grund dafür dürfte Fréd Ternes sein. Der Mitte Dreißigjährige ist seit zwölf Jahren Schöffe in Niederanven und nun Spitzenkandidat der CSV sowie Anwärter auf den Bürgermeisterstuhl.

„Ich habe lange überlegt, was ich machen soll. Ich habe nichts dagegen, dass junge Menschen zum Zuge kommen. Fréd Ternes will den Posten übernehmen und er gibt sich auch Mühe, sein Ziel zu erreichen. Da habe ich gesagt, ich würde mich zurückziehen. Ich möchte aber betonen, dass ich mit zwei Tränen im Auge von der politischen Bühne abtrete, weil ich das gerne gemacht habe und weil es mir viel Freude bereitet hat. Meine Familie hat mich stets dabei unterstützt und ich meine, mit den Kollegen aus dem Gemeinde- und Schöffenrat immer ein gutes Verhältnis gehabt zu haben. Wir hatten nie große Divergenzen, wir haben unsere Projekte für die Zukunft der Gemeinde gut vorbereitet und diskutiert. ,Et deet mir e bëssen déck‘, das jetzt nicht mehr zu haben.“

„Man spürt das ja, wenn ein junger Mensch gerne den Posten des Bürgermeisters übernehmen möchte und ein wenig Druck macht, um sein Ziel zu erreichen. Dann sagt man sich, das macht keinen Sinn mehr, dabei zu bleiben, weil, wie soll ich sagen, dann stimmt die Chemie nicht mehr. Die Jungen haben oft ganz andere Vorstellungen, andere Ideen und Visionen über das Gemeindewesen als jene, die wie ich seit über 30 Jahren dabei sind und die Gemeinde aus dem Effeff kennen. Wir Älteren sind da anscheinend nicht mehr auf ihrer Linie.“

Von Streit will Raymond Weydert nicht reden, aber wohl, dass es keine konstruktive Zusammenarbeit mehr habe geben können. Der Altersunterschied sei groß, die Jungen hätten ihre Vorstellungen, Ternes habe ja auch eine junge Mannschaft zusammengebracht. Die müssen sich nun beweisen in den Wahlen und zeigen, was sie können. „Das ist eine Herausforderung. Ob der Wähler da so mitspielt, wird man sehen.“

Raymond Weydert sagt, er habe keine Glaskugel, um das Resultat vom 11. Juni vorauszusehen. Er selbst habe, seitdem er Bürgermeister ist, immer ein Gespür dafür gehabt, für das, was die Menschen denken. Und er habe immer auch ein gutes Gefühl gehabt, dass es gut enden würde. „Ob Fréd Ternes das jetzt so hinbekommt, muss sich zeigen.“

Politik als Familientradition

„Die Politik wurde mir eigentlich in die Wiege gelegt. Mein Großvater war 36 Jahre lang Bürgermeister von Mompach. Dann übernahm mein Vater und heute ist meine Nichte Stéphanie Weydert Bürgermeisterin der Fusionsgemeinde Rosport-Mompach. Mich hat Politik immer gereizt“, so Raymond Weydert, der seit dem Abiturjahr in Echternach Mitglied der CSV ist.

Jean Dupont, der damalige Unterrichtsminister, habe ihn bei einer Versammlung im Abteistädtchen quasi rekrutiert. „Ich bin aber kein fanatischer CSV-Anhänger“, sagt er. Und nein, er habe nicht zu jenen CSV-Politikern gehört, die damals, 2001, den Rücktritt von Kulturministerin Erna Hennicot-Schoepges (CSV) gefordert haben, wegen der schwangeren „Gëlle Fra“-Kopie.

Trotz politischem Stallgeruch und CSV-Mitgliedschaft ist Raymond Weydert erst 1993 in die aktive Politik eingetreten. Damals war er 45. An positiven Erlebnissen mangelt es ihm seither nicht. Er könnte, würde man ihn lassen, womöglich tagelang über Projekte reden, für die er mitverantwortlich ist und über die er, nicht ohne eine gewisse Freude, Zahlen, Daten und Anekdoten vorträgt. Ein Beispiel ist das Altersheim in Niederanven. „Ein lang gehegter Traum.“  Besonders aber auch das Rathaus. „Eine Notwendigkeit.“ Zu den wenigen unschönen Erinnerungen gehört der Absturz der Luxair-Maschine 2002. „Da war viel Schmerz und Trauer.“

Was würde Raymond Weydert jenen mit auf den Weg geben, die heute Politik machen wollen? „Sie müssen Freude daran haben, Politik zu machen, die Familie muss mitspielen und die Politik muss mit dem Beruf in Einklang zu bringen sein. Wer beim Staat arbeitet, hat es einfacher“, sagt Weydert, der Direktor des Weinbauinstitutes in Remich und auch mal Abgeordneter war. Die Anforderungen an die Gemeindeverantwortlichen würden wachsen. Klimawandel, Wohnungsnot und zunehmender Verkehr sind einige der Stichwörter, die er nennt. „Parteizugehörigkeit ist nicht das Wichtigste.“

Seine Nichte Stéphanie Weydert frage ihn oft um Rat. Fréd Ternes nicht. „Der braucht mich nicht, der weiß alles.“ So wirklich scheint Raymond Weydert das selbst nicht zu glauben.

Echte Freundschaft

Viele seiner Erfahrungen und Erinnerungen teilt Raymond Weydert mit Jean Schiltz. Der 72-jährige LSAP-Mann war einst Bürgermeister und ist nun Erster Schöffe der CSV-LSAP-Koalition in Niederanven. Er ist auch Spitzenkandidat seiner Partei bei den Wahlen am kommenden Sonntag.

Zwillinge oder die Unzertrennlichen werden Schiltz und Weydert oft genannt. Fest steht, dass beide offensichtlich echte Freunde sind. Fast täglich würden sie im Schöffenratsraum zusammensitzen, sagt ein Mitarbeiter der Gemeinde. So ist es auch bei unserem Gespräch mit Raymond Weydert. Jean Schiltz sitzt ebenfalls im Saal – und er solle bleiben, sagt der Bürgermeister: „Ich habe nichts zu verbergen.“

„Freundschaft ist wichtig in der Politik. Sich gut zu verstehen, bedeutet ohne Umschweife diskutieren und konstruktiv handeln zu können“, sagen Weydert und Schiltz. Die Liste ihrer gemeinsamen Projekte ist lang. Und noch sei sie nicht vollständig abgehakt. „Wir haben so viel gemeinsam angestoßen, was noch nicht abgeschlossen ist, da brauche ich ihn“, sagt Jean Schiltz. Im Gegensatz zur CSV ist die LSAP-Sektion Niederanven der Meinung, dass Jean Schiltz ob seiner Erfahrung unbedingt dazugehört und folglich bei den Wahlen antreten soll. Der Freundschaft hat’s nicht geschadet und soll es auch in Zukunft nicht, wie beide betonen.

„Niemand weiß, wie’s ausgeht am Sonntag“, sagt Weydert, der kaum Zweifel daran aufkommen lässt, dass es ihm gefallen würde, wenn sein Freund Jean Schiltz Bürgermeister würde. „Dann werden wir uns wohl öfters sehen“, sagt Weydert. „Dann werde ich seinen Rat brauchen“, so Schiltz. Weydert scheint das zu freuen.

Keine Lust auf Pension

Der Gedanke an Pension scheint Raymond Weydert nicht zu gefallen. Bald sei er ja die ganze Arbeit los, würde seine Frau sagen, dann könne er Fahrrad fahren, was ihm viel Freude bereite, oder sich um seine vier Enkelkinder kümmern, was ihm nicht minder gefällt. Eigentlich habe er genug Möglichkeiten, sich in der Pension zu beschäftigen, sagt Raymond Weydert und wirkt dabei wie einer, der sich selbst überzeugen möchte.

„Ich hoffe, nicht in ein Loch zu fallen, hoffe, Kraft zu finden, die Zukunft konstruktiv anzugehen. Ich kann mir jetzt noch nicht vorstellen, wie das sein wird, wenn ich morgens aufstehe und mir sage: Nein, heute brauchst du nicht in der Gemeinde zu sein, das ist jetzt vorbei. Dann muss ich sehen, was ich tue. Ich kann mich ja nicht ins Auto setzen und einfach mal durch die Gegend fahren, ist ja langweilig.“

Wichtig sei es, den Kopf zu beschäftigen, nicht einzurosten, sagt Raymond Weydert. Zum Ehrenbürgermeister der 6.200 Einwohner zählenden Gemeinde würde er gerne ernannt werden, fügt er hinzu. Dabei weicht das Nachdenkliche in seinem Gesicht dem spitzbübischen Lächeln, das ihn nicht nur sympathisch, sondern auch jung aussehen lässt.