Infektiologe Dr. Schockmel im GesprächBritische Studie: So gefährlich ist Covid-19 wirklich – Gesamtsterblichkeit auf das bis zu 81-Fache erhöht

Infektiologe Dr. Schockmel im Gespräch / Britische Studie: So gefährlich ist Covid-19 wirklich – Gesamtsterblichkeit auf das bis zu 81-Fache erhöht
Bisher hat es noch keine umfassende Studie über die erhöhte Sterblichkeit durch das Coronavirus gegeben Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Die Pandemie scheint weitgehend überstanden zu sein, doch über die Folgen von „Long Covid“ ist bisher nur wenig bekannt. Eine rezente britische Studie weist auf eine erhöhte Sterblichkeit und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Infizierten hin. Der Luxemburger Infektiologe Dr. Gérard Schockmel hat mit dem Tageblatt über die Ergebnisse der Studie gesprochen.

Wie gefährlich ist Covid-19 wirklich? Dieser Frage ging ein britisches Forscherteam nach und sammelte Daten von rund 7.000 Covid-19-Patienten während der ersten Corona-Welle im Jahr 2020, noch bevor Impfstoffe zur Verfügung standen. Die Gruppe veröffentlichte ihre Forschungsergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift Cardiovascular Research. Ihr Fazit: Die Gesamtsterblichkeit von Coronaviren-Infizierten war in den ersten drei Wochen der Infektion bis auf das 81,1-Fache höher als bei Nicht-Infizierten. Auch langfristig bestand ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Luxemburger Infektiologe Dr. Gérard Schockmel half dem Tageblatt dabei, die Studie einzuordnen und die wichtigsten Punkte hervorzuheben. „Zu diesem Zeitpunkt gibt es keine vergleichbare Studie“ in dieser Größenordnung, sagt Schockmel.

Die Ergebnisse der Studie sollten auf jeden Fall ernst genommen werden. Es handele sich um eine sehr umfangreiche Arbeit, die eine ganze Reihe von Kontrollmechanismen beinhalte. Auf jeden positiv getesteten Teilnehmer kämen 20 Personen als Kontrollgruppe, aufgeteilt in Gruppen zu je zehn Personen. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich vom 16. März bis 30. November 2020 – noch bevor die Covid-19-Impfstoffe verfügbar waren. Alter und Geschlecht der Infizierten und der Personen aus den Kontrollgruppen hätten übereingestimmt. Auch Risikofaktoren wie Rauchen, Diabetes und Bluthochdruck wurden bei der Zusammenstellung der Kontrollgruppen berücksichtigt.

Das Risiko für eine schwere kardiovaskuläre Erkrankung (Herzinsuffizienz, koronare Herzkrankheit, Schlaganfall) war bei Corona-Infizierten – im Vergleich zu Nicht-Infizierten – in der akuten Phase (bis maximal drei Wochen nach der Infektion) um das 4,3-Fache erhöht. Das Risiko für Schlaganfälle war sogar um das Zehnfache und das für tiefe Venenthrombosen um das 22,1-Fache erhöht.

Erhöhtes Risiko in post-akuter Phase

Die Studie sei laut Schockmel in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Sie liefere nicht nur wertvolle Informationen über die erhöhten Risiken in der akuten Phase während der ersten Corona-Welle, sondern auch über die Risiken in der post-akuten Phase, die oftmals unter dem Begriff „Long Covid“ zusammengefasst werden. Die Gesamtsterblichkeit von ehemals Infizierten war auch in der post-akuten Phase um das Fünffache höher als bei Nicht-Infizierten. „Das Risiko für eine schwere kardiovaskuläre Erkrankung (Herzinsuffizienz, koronare Herzkrankheit, Schlaganfall) blieb noch mindestens ein Jahr nach der akuten Phase um das 1,4-Fache erhöht“, sagt Dr. Schockmel.

Das ist eine wichtige Studie, sie zeigt uns, wie gefährlich Covid wirklich war

Dr. Grérard Schockmel, Facharzt für Infektionskrankheiten

Diabetiker und Übergewichtige sind besonders gefährdet. Die wirksamsten Maßnahmen zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind nach wie vor ausreichend Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, genügend Schlaf und der Verzicht auf Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum.

Schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle durch Covid-19 bei Gesunden – auch bei Spitzensportlern – seien zwar bekannt, aber eher die Ausnahme. Vermutlich handele es sich dabei um „Randphänomene“, von denen man annehme, dass sie genetisch bedingt sein könnten, meint Schockmel.

In Kontext setzen

Der Facharzt für Infektionskrankheiten weist allerdings darauf hin, dass der Faktor „Großbritannien“ bei der Studie berücksichtigt werden müsse. Der allgemeine Gesundheitszustand der Briten und jener der Einwohner Luxemburgs, zum Beispiel in Bezug auf Übergewicht, stimme nicht 1:1 überein. Zudem liege das Durchschnittsalter der Studienteilnehmer bei 66 Jahren und spiegele damit insbesondere (aber nicht ausschließlich) die Lage älterer Menschen wider, deren Immunsystem möglicherweise schon geschwächt ist. Dennoch vermittele die Studie einen sehr guten Gesamteindruck: „Das ist eine wichtige Studie, sie zeigt uns, wie gefährlich Covid wirklich war“, betont Schockmel.

Die britische Studie entkräfte auch Argumente gegen die Impfung. Die Impfung schütze vor schweren Krankheitsverläufen und reduziere zumindest teilweise das Risiko, sich anzustecken. Andere Studien hätten gezeigt, dass durch die Impfung viele Krankenhauseinweisungen vermieden werden konnten. Da sind „keine Diskussionen mehr möglich, wenn man das Für und Wider abwägt“, sagt Schockmel.

Umfangreiche Long-Covid-Symptome

Eine einheitliche Definition des Begriffs „Long Covid“ gebe es noch nicht, sagt Schockmel. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet Symptome, die zwei Monate nach der Infektion noch bestehen, als Long Covid. Die amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention sprechen dagegen bereits nach vier Wochen von Long Covid.

Sowohl körperliche als auch psychische und neurokognitive Symptome sind nach Angaben des Infektiologen mit Long Covid assoziiert: Müdigkeit, Atemnot, Brustschmerzen, Husten, der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, Schwindel, Schlafstörungen, Muskel- und Gelenkschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten („brain fog“), Gedächtnisverlust, Depressionen und Angstzustände.

Einige Auswirkungen könnten bleibende Spuren hinterlassen, andere Symptome würden hingegen im Laufe der Zeit wieder verschwinden – allerdings nicht bei jedem. Nicht selten bleibt Long Covid im Alltag sogar unbemerkt, so Schockmel. Beispielsweise würden Menschen ihre Energie so kompensieren, dass sie bei der Arbeit alles aufbrauchen, zu Hause aber so erschöpft sind, dass sie nichts mehr unternehmen können. Darum hält er es für ratsam, den Gesundheitszustand von Personen, die während der akuten Phase schwer erkrankten, während mindestens einem Jahr zu beobachten – vor allem bei Personen mit Risikofaktoren. Dasselbe gelte auch für Long-Covid-Patienten, die weiterhin an Beschwerden leiden.

Das Risiko, Long Covid zu entwickeln, bleibe laut Schockmel bei jeder erneuten Infektion bestehen. So sei es zum Beispiel möglich, dass jemand zwei Corona-Infektionen übersteht, ohne unter Langzeitfolgen zu leiden, dann aber nach einer dritten Infektion doch Long Covid entwickelt.

Luxemburger „CoVaLux“-Studie

Hauptbeschwerden, die drei Monate nach einer Corona-Infektion verzeichnet wurden (Stand: 29. März 2022)
Hauptbeschwerden, die drei Monate nach einer Corona-Infektion verzeichnet wurden (Stand: 29. März 2022) Grafik: covid19public.lu

Die Studie „CoVaLux“ des Luxembourg Institute of Health (LIH) aus dem Jahr 2022 hat gezeigt, dass Long Covid „wahrscheinlich aus mehreren Unterkategorien und nicht aus einer einzigen Krankheit besteht“. Die Unterkategorien würden sich zudem in Art und Intensität unterscheiden. Dementsprechend gebe es auch eine Reihe unterschiedlicher Behandlungsmethoden.

Die LIH-Forscher stellten außerdem fest, dass Studienteilnehmer mit mittelschwerem oder schwerem Krankheitsverlauf nach einem Jahr mehr als doppelt so häufig an Long Covid litten als diejenigen, die bei ihrer Corona-Infektion nur leichte oder keine Symptome hatten. Die mäßig bis schwer Erkrankten hätten zudem durchschnittlich sechs Long-Covid-Symptome mehr als die anfangs beschwerdefreien Personen.

Die Ergebnisse würden darauf hindeuten, dass Long Covid und die damit verbundene Schwere der Symptome in engem Zusammenhang mit dem Verlauf der ursprünglichen Infektion stehen. Demnach kann ein schwerer Covid-19-Verlauf die Wahrscheinlichkeit für mehr und länger anhaltende Symptome deutlich erhöhen.

Politischer Hafen

Der Luxemburger Infektiologe Dr. Gérard Schockmel stand während der Pandemie immer wieder im Rampenlicht. Politiker und Journalisten suchten regelmäßig seine Expertenmeinung zu verschiedenen Fragen rund um das Coronavirus. Im vergangenen Jahr kündigte er seine Absicht an, bei den nächsten Wahlen zu kandidieren.

Derzeit führe er Gespräche mit verschiedenen Parteien: Er versuche herauszufinden, ob und welcher er sich anschließen wolle. Bis zu einer Entscheidung werde noch einige Zeit vergehen. Bisher sei sein Rat von den Politikern immer geschätzt worden, alle seien ihm freundlich begegnet.

Das könne sich aber ändern, sobald er ein Parteibuch habe, meint der Arzt. Ihm gehe es aber nur darum, sich einzubringen und etwas zu bewegen. Das Großherzogtum stolpere von einer Krise in die nächste und werde auch in Zukunft „schwierigen Zeiten entgegengehen“, meint Schockmel.


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Fränky Wolter
31. Januar 2023 - 15.17

Fast bei jeder Partei wird dann wohl jemand im Parlament weichen müssen, und Platz machen, für den beliebten Arzt. Bei den kleinen oder neuen Parteien ist das unproblematisch.