Brexit: Johnson will Lösungsvorschlag für Irland-Frage vorlegen

Brexit: Johnson will Lösungsvorschlag für Irland-Frage vorlegen

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Die entscheidende Frage: Wie kontrolliert man künftig Waren an der Grenze zwischen dem EU-Land Irland und dem britischen Nordirland? Die EU erwartet von London Vorschläge. Und Premier Johnson will endlich liefern – sagt er.

Der britische Premierminister Boris Johnson will Brüssel in den nächsten Tagen einen Lösungsvorschlag für den Streit um das Brexit-Abkommen unterbreiten. «Wir werden ein sehr gutes Angebot vorlegen», sagte Johnson am Dienstag in Interviews mit den Sendern BBC und LBC auf dem Parteitag der Konservativen in Manchester. Knackpunkt ist dabei die Frage, wie künftig eine harte Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden kann. Zudem deutete Johnson an, dass Vorwürfe zu seinem Verhalten der Versuch seien, den EU-Austritt zu verhindern.

Berichte, wonach die zu erwartenden Vorschläge Zollabfertigungszonen wenige Kilometer von der irisch-nordirischen Grenze beinhalten, wies Johnson zurück. Es handle sich dabei um ältere Ideen, die im Gespräch gewesen seien. Es sei aber «einfach die Realität», dass irgendwo kontrolliert werden müsse. Die Verhandlungen mit Brüssel seien in einer «entscheidenden Phase», so Johnson. Bis zum Wochenende werde seine Regierung wissen, ob ein geregelter Brexit möglich sei. Details zu seinem Plan wollte er nicht nennen. Auch Nordirland-Minister Julian Smith wies die Berichte zur Grenzfrage von sich. Er kenne die Papiere nicht, sagte er der BBC. Details zu den Plänen werden frühestens am Mittwoch erwartet, wenn Johnson seine Rede zum Abschluss des Parteitags hält.

Garantieklausel für eine offene Grenze

Die EU-Kommission bekräftigte ihrerseits, dass sie noch keinen konkreten Vorschlag aus London erhalten habe. Es liege in der Verantwortung der britischen Regierung, ein umsetzbares Konzept vorzuschlagen, das alle Ziele des sogenannten Backstops erfülle, sagte Sprecherin Mina Andreeva. Ein EU-Diplomat ergänzte, von britischer Seite sei eine Vorlage bis spätestens Donnerstag in Aussicht gestellt worden.

Johnson besteht darauf, dass der «Backstop» – die Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen Nordirland und Irland – gestrichen wird. Ansonsten kann Großbritannien keine eigene Handelspolitik machen. Notfalls ist der Premier auch zu einem EU-Austritt ohne Abkommen bereit. Zu erwartende Schäden für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche will er in Kauf nehmen, hält die Befürchtungen aber für übertrieben.

Der irische Rundfunksender RTÉ hatte berichtet, dass Johnsons Vorschlag Kontrollen jenseits der Grenze vorsehe. Zollpflichtige Waren würden demnach in Zentren einige Kilometer vor der Grenze angemeldet und per GPS verfolgt, bis sie auf der anderen Seite eingetroffen seien. Die Pläne wurden laut RTÉ in unverbindlichen Ideenpapieren (Non-Papers) an Brüssel übermittelt. Der «Telegraph» berichtete, sie seien auch Teil des offiziellen Vorschlags, den Johnson nach Ende des Tory-Parteitags am Mittwoch vorstellen wolle.

Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts

Irlands Außenminister Simon Coveney erteilte den Plänen per Twitter umgehend eine Absage und bezeichnete sie als «Rohrkrepierer». «Es wird Zeit, dass die EU einen ernsthaften Vorschlag von der britischen Regierung erhält, wenn noch ein Brexit-Deal im Oktober erreichbar sein soll», schrieb er.

Derzeit finden keine Kontrollen zwischen den beiden Teilen Irlands statt. Das soll nach dem Willen Dublins und Brüssels auch nach dem Brexit so bleiben, weil sonst ein Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts befürchtet wird. In dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg standen sich überwiegend katholische Befürworter einer Vereinigung Irlands und überwiegend protestantische Großbritannien-Loyalisten gegenüber. Oft waren Grenzeinrichtungen das Ziel von Angriffen paramilitärischer Einheiten.

Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien solange die gemeinsamen Außenzölle der EU und bestimmte Regeln des Binnenmarkts anwendet, bis eine andere Lösung gefunden ist. Warenkontrollen wären damit weiterhin überflüssig. Das lehnen viele Brexit-Befürworter aber vehement ab, weil London dann keine Freihandelsabkommen mit Drittstaaten wie den USA abschließen könnte. Das gilt für viele aber als einer der Hauptgründe für den EU-Ausstieg.

Johnson ignoriert Kritik

Johnson wies im BBC-Interview auch Vorwürfe zurück, eine Journalistin vor etwa 20 Jahren begrapscht zu haben. «Das ist nicht wahr», sagte der Regierungschef. Er sei «sehr traurig», dass jemand so etwas behaupte. Die «Sunday-Times»-Kolumnistin Charlotte Edwardes hatte berichtet, dass der damalige Chefredakteur des Magazins «Spectator» ihr bei einem Mittagessen die Hand auf den Oberschenkel gelegt habe. Johnson habe auch eine andere Frau am Tisch belästigt. Der Premier sagte dem Radiosender LBC, dass solche Vorwürfe im Zusammenhang mit seiner Aufgabe stehen könnten, den Brexit umzusetzen.

Mit Spannung wird der Auftritt Johnson zum Abschluss des Tory-Parteitags am Mittwoch erwartet. Die Parteikonferenz war größtenteils überschattet von Vorwürfen gegen den Premierminister. Mehrere Abgeordnete hatten kürzlich Johnson aufgefordert, seine «Kriegsrhetorik» zu unterlassen, um nicht noch mehr Aggressionen zu schüren. Der Premier zeigte sich von der Kritik jedoch unbeeindruckt.

Außerdem wird Johnson vorgeworfen, als Bürgermeister von London eine Geschäftsfrau aus den USA begünstigt zu haben. Es geht dabei um Fördergelder und die Teilnahme an Reisen, von denen die mit Johnson befreundete Jennifer Arcuri profitiert haben soll, obwohl sie nicht die erforderlichen Bedingungen erfüllte. Nach Angaben der «Sunday Times» sollen die beiden ein Verhältnis miteinander gehabt haben. Johnson und das Ex-Model Arcuri wiesen die Vorwürfe zurück.

Am Dienstag kam es Berichten zufolge zu einer kleinen Rangelei auf dem Konferenzgelände, ein Raum wurde vorübergehend geräumt.