SüdkaukasusBrandgefährliche Eskalation: Zwischen Aserbaidschan und Armenien droht Europa der zweite Krieg

Südkaukasus / Brandgefährliche Eskalation: Zwischen Aserbaidschan und Armenien droht Europa der zweite Krieg
Im Südkaukasus brennt es wieder lichterloh: Angehörige von armenischen Soldaten warten vor einem Krankenhaus Foto: AFP/Karen Minasyan

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Mitten im Ukraine-Krieg bekämpfen sich Armenien und Aserbaidschan wieder. Europa droht der zweite Krieg. Weil Russland und die Türkei mitmischen, ist das ist brandgefährlich für die ganze Welt.

Im Südkaukasus brennt es wieder lichterloh. Im aufgeflammten Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien beklagen beide Seiten Dutzende tote Soldaten binnen weniger Stunden. In der aktuellen Situation mit Russlands Krieg in der Ukraine ist das brandgefährlich. Wird dieser Gewaltausbruch nicht umgehend gestoppt, droht Europa der zweite ausgewachsene Krieg zur gleichen Zeit.

Knapp zwei Jahre ist es her, dass Aserbaidschan gegen Armenien Krieg führte um die umstrittene Region Bergkarabach, den zweiten nach jenem in den 1990er-Jahren. In der sechswöchigen Auseinandersetzung vom Herbst 2020 starben fast 7.000 Menschen. Russland vermittelte einen Waffenstillstand, hat seitdem mehrere tausend sogenannte Friedenssoldaten in Bergkarabach stationiert. Armenien, das weite Teile der Region verlor, war der eindeutige Verlierer. Seitdem kam es immer wieder zu Scharmützeln. Der Konflikt loderte trotz der russischen Präsenz auf kleiner Flamme weiter.

Aserbaidschan zündet neue Eskalationsstufe

Inzwischen aber stehen die Zeichen wieder auf Krieg. In der Nacht zum Dienstag kam es zu Gefechten zwischen beiden Seiten mit Dutzenden Toten. Nach Angaben des armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan sind seitdem 105 armenische Soldaten getötet worden. Aserbaidschan spricht von 50 Todesopfern auf seiner Seite. Beide Länder geben sich, wie es zwischen den verfeindeten Nachbarn immer schon war, gegenseitig die Schuld für die Eskalation. Dieses Mal ist Aserbaidschan jedoch einen Schritt weiter gegangen.

Während in den vorherigen Auseinandersetzungen in Bergkarabach gekämpft wurde, jener hauptsächlich von Armeniern bewohnten Region in Aserbaidschan, schlugen dieses Mal aserbaidschanische Raketen und Granaten in mindestens fünf Städten auf armenischem Staatsgebiet ein. In einer Rede vor dem armenischen Parlament sagte Paschinjan am Mittwoch laut der russischen Nachrichtenagentur TASS, Aserbaidschan habe bei der jüngsten militärischen Konfrontation die Kontrolle über Teile des armenischen Gebiets übernommen.

Das ist eine Stufe der Eskalation, vor der der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew und die mit Aserbaidschan verbündete Türkei im Sechswochenkrieg vom Herbst 2020 noch zurückgeschreckt hatten. Zu groß schien damals das Risiko, mit einer solchen Ausweitung der Kampfhandlungen Russland als Armeniens Schutzmacht mit in den Krieg zu ziehen. Zumindest im Südkaukasus, Russlands unruhigem Hinterhof, in dem es auch in Georgien brodelt, wollten Moskau und Ankara, anders als etwa in Syrien oder Libyen, eine direkte Konfrontation damals vermeiden.

Nun, wo die ganze Welt auf Russlands Krieg in der Ukraine schaut, scheinen solche Hemmungen auf aserbaidschanischer wie türkischer Seite gefallen zu sein. Darauf deutet auch das Timing der Eskalation im Südkaukasus hin. Aserbaidschan hat offenbar direkt nach der Schmach, die Putins Russland mit der Gegenoffensive der Ukraine seit Anfang September erlebt, zum Angriff geblasen. Dass das ohne Rückendeckung aus Ankara geschah, ist kaum vorstellbar. Die Türkei wie Aserbaidschan verfolgen beide weiter das Ziel, ihre Länder mit einer Landzunge zu verbinden. Diese würde den Süden Armeniens nahe der Grenze zu Iran durchtrennen – was für Armenien, dessen Grenzen im Osten und Westen zu Aserbaidschan und zur Türkei bereits geschlossen und nur im Norden zu Georgien und im Süden zu Iran offen sind, eine absolute Katastrophe wäre.

In einer Dringlichkeitssitzung beschloss der armenische Nationale Sicherheitsrat am Dienstag, Moskau um Militärhilfe zu bitten. Armenien ist Mitglied des von Russland angeführten Militärbündnisses OVKS. Doch trotz einer von Russland verkündeten Feuerpause hielten die Kämpfe nach Angaben beider Seiten weiter an. Die Türkei wiederum warf Armenien „Provokationen“ vor. Eriwan solle sich auf Friedensverhandlungen mit Baku konzentrieren, schrieb der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu auf Twitter.

Putins Druck auf Erdogan, Erdogans Druck auf Putin

Ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der Türkei im Kaukasus konnte im Herbst 2020 noch vermieden werden. Doch Russland hat mit dem Ukraine-Krieg eine Weltordnung umgeworfen, in der noch viele Fragen ungeklärt waren. Zum Beispiel die, wie es mit Syrien weitergeht.

Russland, das zusammen mit Iran den syrischen Machthaber Baschar al-Assad stützt, will vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eine Annäherung an Assad, um das Kapitel Syrien nach mehr als zehn Jahren Krieg schließen zu können. Erdogan, seit dem Kriegsausbruch 2011 erbitterter Assad-Gegner, unterstützt aber die syrische Opposition militärisch, dies vor allem in der Region Idlib, dem letzten großen Widerstandsnest gegen Assad. In den vergangenen Wochen verstärkte Russland seine Luftangriffe auf diese Region. So soll der Druck auf Erdogan steigen, wieder das Gespräch zu Assad zu suchen. Erdogan aber will im Norden Syriens einen weiteren Krieg gegen die Kurden führen, wofür er wiederum grünes Licht von Putin braucht, der letztendlich das letzte Wort in Syrien hat. Über den aserbaidschanischen Angriff auf Armenien setzt Erdogan jetzt Putin unter Druck. Es ist ein Spiel mit dem Feuer.

Noch ein Konflikt

Auch die beiden Ex-Sowjetrepubliken Tadschikistan und Kirgisistan sind am Mittwoch erneut aneinandergeraten. Grenzposten der zwei mit Russland verbündeten Nachbarn lieferten sich am Mittwoch Schusswechsel, wie beide Seiten mitteilten. Tadschikistan meldete einen Toten und zwei Verletzte, wie die Nachrichtenagentur RIA Nowosti berichtete. Kirgisistan erklärte, zwei seiner Grenzposten seien verletzt worden.