Streng und mit ernster Miene sprach Bosniens deutscher Oberschiedsrichter den notorischen Dauerstreithähnen seines Gastlandes ins Gewissen. Die Demokratie verliere „ihren Sinn, wenn der Wählerwille nicht respektiert wird“, ermahnte Christian Schmidt, der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft (OHR), am Freitag die Parteien im Teilstaat der bosniakisch-kroatischen Föderation, endlich eine Regierung zu formen: „Dies ist mein letzter Aufruf, zur Vernunft zu kommen.“
Tatsächlich ist es nicht der erste Versuch des Hohen Repräsentanten, die bereits seit 2018 blockierte Regierungsbildung in dem Teilstaat zu ermöglichen. Ungewohnt geeint harrte Bosniens geteilte Nation nach der Schließung der Wahllokale im Oktober gespannt auf erste Analysen und Ergebnisse. Doch ausgerechnet der ranghöchste Auslandsdiplomat drängte sich nach den Parlaments-, Teilstaats- und Präsidentschaftswahlen im Vielvölkerstaat als Erster ins TV-Bild. „Während Sie gewählt haben, habe ich Entscheidungen getroffen, um sicherzustellen, dass Ihre Stimme zählt“, verkündete der frühere deutsche Landwirtschaftsminister.
Mit der anvisierten Aufhebung der Blockade begründete er die damals von ihm verfügte Wahlgesetzänderung, die ihr Ziel allerdings nicht erreicht hat: Am Donnerstag ist die fristgerechte Bildung einer Regierung gescheitert. Schmidt habe bei seiner Verordnung nicht mit der Möglichkeit von unterschiedlichen Koalitionen in den beiden Kammern des Regionalparlaments gerechnet, erklärt die Agentur „Balkaninsight“ die anhaltende Blockade.
Tausende aufgebrachter Demonstranten forderten am letzten Wochenende zum wiederholten Male den Rücktritt des Deutschen: Sie werfen dem OHR-Chef vor, zu stark auf die Einflüsterungen aus Zagreb und Belgrad zu lauschen – und mit der faktischen Unterstützung von nationalistischen Parteien wie der kroatischen HDZ oder serbischen SNSD die Teilungen des Landes zu vertiefen.
Eigentlich soll der OHR-Chef in Bosniens Politlabyrinth über die Einhaltung des Dayton-Friedensabkommens von 1995 wachen. Doch der von Ex-Kanzlerin Angela Merkel kurz vor ihrem Abtritt im August 2021 ins Amt gehievte Schmidt sorgt in seinem Gastland selbst für anhaltende Kontroversen.
„Nachhaltiger Schaden“
Die gute Absicht und sein bemühter Einsatz sind Schmidt kaum abzusprechen. Doch es mangelt dem langjährigen Bundestagshinterbänkler auf Bosniens glitschigem Politparkett nicht nur an Kenntnissen der Landessprache, sondern auch an Fingerspitzengefühl und diplomatischer Erfahrung. Ob Fehlschläge oder Fehltritte: Der Hang zum unglücklichen Auftritt klebt dem von allen Seiten angefeindeten CSU-Politiker in Sarajevo hartnäckig am Fettnapfschuh.
Schon sein Tobsuchtsanfall bei einer Pressekonferenz im November bestärkten Kritiker in dem Eindruck, dass Schmidt mit seiner Bosnien-Mission überfordert sei. Nicht nur bei muslimischen Opferverbänden sorgte der 65-Jährige für Entrüstungsstürme, als er im März den Völkermord von Srebrenica als „genozidartige Situation“ bezeichnete.
Auch nach dem Wechsel der CDU/CSU in die Opposition hat Berlin sich bisher immer demonstrativ hinter Schmidt gestellt. Doch auch in Deutschland beginnt sich die Kritik an dem OHR-Chef zu mehren. Neben der Gesellschaft für bedrohte Völker hat kürzlich auch eine Gruppe deutscher Ex-Diplomaten und Balkanexperten in einem Brief an den Auswärtigen Ausschuss des Bundestags die Ablösung des CSU-Veteranen gefordert: Schmidt füge dem Friedensprozess in Bosnien und dem Ansehen der Bundesrepublik „nachhaltigen Schaden“ zu.
De Maart
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