Coronavirus„Böse Überraschung nicht ausgeschlossen“: Luxemburger Viren-Experte Claude Muller zur neuen Gefahr aus China

Coronavirus / „Böse Überraschung nicht ausgeschlossen“: Luxemburger Viren-Experte Claude Muller zur neuen Gefahr aus China
„Durchaus ernst zu nehmende Szenarien“: Auch in Tokio schützen sich die Menschen vor dem neuen Coronavirus aus dem chinesischen Wuhan Foto: AFP/Charly Triballeau

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Das neue Coronavirus aus China hält zurzeit die Welt in Atem. Alles von den Medien geförderte Hysterie oder tatsächliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit? Wir haben uns mit Professor Claude Muller vom Luxembourg Institute of Health – Department of Infection and Immunity unterhalten. Für den Luxemburger Viren-Experten, der auch im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation die halbe Welt berät, ist vor allem eines klar: Dieses Virus kann noch Überraschungen bereithalten.

Tageblatt: Seit Wochen hält das neue Coronavirus die Welt in Atem. Dabei wirken die nüchternen Zahlen für eine Epidemie erst einmal nicht so dramatisch. Befinden wir uns gerade in einer Medienhysterie?

Claude Muller: Nein. Die Beachtung, die diesem Virus geschenkt wird, ist aus mehreren Gründen gerechtfertigt. Ein solches Virus kann sich verändern und sich dann vielleicht viel einfacher ausbreiten. Im Vergleich zum SARS-Coronavirus, das die Welt 2002 in Aufregung hielt, ist das neue Coronavirus bereits während der Inkubationszeit ansteckend. Sie können sich heute anstecken und es erst in sieben Tagen oder zwei Wochen wissen. In der Zwischenzeit haben Sie das Virus aber an viele Ihrer Kontakte weitergegeben. Das ist eine Situation, die eine Eindämmung sehr kompliziert macht.

Das Virus könnte mutieren und dann die Schleimhäute in Nase und Rachen angreifen. Das würde die Ansteckungsgefahr dramatisch erhöhen.

Die meisten Erkrankungen verlaufen trotz einer gewissen Sterblichkeit relativ glatt. Richtig bedrohlich ist das Virus in dem Sinne also noch nicht, oder?

Die Ansteckungsgefahr ist in der Tat noch nicht so groß. Das Virus benutzt zurzeit einen Rezeptor im unteren Bereich des Atmungsapparats, tief unten in der Luge. Da muss es erst einmal hinkommen, um ansteckend sein zu können. Wird das Virus oft übertragen, könnte es aber irgendwann mutieren, um einen höher liegenden Rezeptor zu benutzen – und dann die Schleimhäute in Nase und Rachen angreifen. Das würde die Ansteckungsgefahr dramatisch erhöhen. Es gibt also durchaus ernst zu nehmende Szenarien, die es dem Virus einfacher machen, sich weiter zu verbreiten. Hinzu kommen in unserer Zeit die Einwohnerdichte in Großstädten und die hohe Mobilität der Chinesen gerade jetzt zu ihrem Neujahrsfest – beides wichtige Faktoren bei der Verbreitung einer Epidemie.

Chinas Führung hat reagiert, fast 40 Millionen Menschen quasi von der Außenwelt abgeschottet, den verpflichtenden Mundschutz in verschiedenen Regionen angeordnet und Verkehrsverbindungen gekappt. Halten Sie solche drastischen Maßnahmen für angebracht?

Das ist schon richtig, was die Chinesen machen. Mir ist klar, dass das so in einer Demokratie schwer möglich wäre. Vielleicht ist die gute Nachricht zurzeit daher die, dass es in China möglich ist, genau das jetzt zu tun. Chinas Führung will den Ausbruch eindämmen – also muss sie handeln. Im Vergleich zu 2002, als das SARS-Coronavirus die Welt in Atem hielt, hat sich der Flugverkehr fast verdoppelt. Die Menschen reisen heute mehr und weiter. Luxemburg, könnte man meinen, hat nicht so viel Kontakt zu China. Aber auch das stimmt nicht. Ich wurde bereits mehrmals um Rat gefragt wegen Reisen nach oder Besuchen aus China. Diese Kontakte über sehr weite Distanzen gibt es heutzutage weltweit viel häufiger. Und so breitet sich ein Virus natürlich sehr schnell aus.

Im Vergleich zu diesem Coronavirus ist beispielsweise Ebola kein besonders schlaues Virus – dieses ‚versteckt’ sich viel besser

Inwieweit ist dieses Virus entschlüsselt, kann es noch andere Überraschungen bereithalten?

Das Virus könnte Menschen infizieren, ohne dass sie überhaupt Symptome zeigen. Sie wären Träger, ohne krank zu sein. Das wäre gewissermaßen eine Inkubationszeit, die dann vielleicht Monate anhält, ehe der Körper das Virus ausschaltet. Andere Viren können das. Das wäre eine ganz böse Überraschung – denn je mehr Leute es gibt, die während der Inkubationszeit nicht krank werden oder keine Symptome zeigen, umso schwieriger wird eine Eindämmung. Im Vergleich zu diesem Coronavirus ist beispielsweise Ebola kein besonders schlaues Virus. Innerhalb weniger Tage macht es die betroffenen Menschen unübersehbar krank und ist so, was die Ausbreitung angeht, viel leichter zu kontrollieren. Es verrät sich gewissermaßen selber. Je unsichtbarer ein Virus bleibt, umso stärker kann es sich ausbreiten.

Aber wenn das Virus nicht krank macht, wo ist dann das Problem?

Für den Einzelnen ist das vielleicht gut, für die öffentliche Gesundheit aber ist es eine Katastrophe. Besonders wenn es ein Virus ist, das man eindämmen will. Anders ist es bei Viren, die sowieso immer da sind oder jedes Jahr wiederkehren. In diesem Szenario wollen wir das Virus noch eindämmen.

Ist ein solches Szenario denn möglich, dass dieses Virus jetzt einfach da bleibt?

Wie sich das Virus bislang zu verhalten scheint – man muss mit seinen Urteilen ja noch vorsichtig sein –, halte ich eine Eindämmung für sehr schwierig.

Das heißt?

Die Masern können da Anhaltspunkte liefern. Diese betrachten wir heute als menschliches Virus. Sie waren aber einmal eng mit dem Rinderpest-Virus verwandt. Vor 10.000, 15.000 Jahren, als der Mensch anfing, Rinder zu halten und größere Gemeinschaften zu bilden, wie in Mesopotamien oder in Ägypten, ist das Rinderpest-Virus auf den Menschen übergesprungen und hat ihn infiziert. Dann hat das Virus, über sagen wir tausend Jahre, immer wieder versucht, die Übertragung von Mensch zu Mensch hinzukriegen – bis es auf einmal klappte, weil das Virus sich so verändert hatte, dass eine solche Übertragung möglich wurde. Diesen Effekt beobachten wir heute erneut. Das jetzige Coronavirus macht eventuell das, was vor 10.000 Jahren das Masern-Virus machte – es geht aus einem Tier, das wir noch nicht kennen, auf den Menschen über und erlangt dort innerhalb weniger Tage die Fähigkeit zur Übertragung von Mensch zu Mensch. Mit unseren Großstädten und der Mobilität sehen wir die Verbreitung jetzt sozusagen im Zeitraffer. Andere Viren wie SARS sind verschwunden. Das MERS nicht, auf der Arabischen Halbinsel, von wo ich gerade von einer Mission der Weltgesundheitsorganisation zurückgekehrt bin, gibt es praktisch einen Fall pro Tag. HIV werden wir auch nicht wieder los.

Professor Claude Muller erklärt Ministerin Paulette Lenert während eines Besuches seine Arbeit in Laos: Das Kooperationsministerium finanziert in dem südostasiatischen Land ein Labor, in dem Muller und seine Kollegen unter anderem nach neuen Viren Ausschau halten
Professor Claude Muller erklärt Ministerin Paulette Lenert während eines Besuches seine Arbeit in Laos: Das Kooperationsministerium finanziert in dem südostasiatischen Land ein Labor, in dem Muller und seine Kollegen unter anderem nach neuen Viren Ausschau halten Foto: Editpress/Armand Back

Was würde das für die öffentliche Gesundheit bedeuten, sollte dieses Coronavirus nicht eingedämmt werden?

Sollte das Virus bleiben, wäre das eine echte Herausforderung. Und wenn wir es nicht in den Griff bekommen, wird es auch nicht verschwinden. Dann haben wir nicht nur Influenza als respiratorisches Virus, das schwere Krankheiten verursacht, sondern auch noch ein Coronavirus, das schwere Atemwegserkrankungen auslöst. Die vielen Infektionen mit Coronaviren, die wir jetzt haben, sind meist das, was wir gängig eine Erkältung nennen, also schwach. Die Mortalität beim jetzigen Coronavirus aber liegt Schätzungen zufolge bei drei bis fünf Prozent der Erkrankten. Das ist hoch. Sogar nur dann, wenn man es ausschließlich auf ältere Menschen bezieht, von denen jene mit Vorerkrankungen besonders gefährdet sind. Bei MERS ist das auch der Fall.

Einmal angenommen, in Luxemburg gäbe es einen Fall. Was würde dann passieren?

Auf einzelne Patienten sind wir gut vorbereitet. Die Infektiologie im CHL hat die Möglichkeit, Patienten zu isolieren. Diese Station wurde während des großen Ebola-Ausbruchs in Afrika in Betrieb genommen. Doch auch hier bleibt die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Patient als solcher erkannt wird. Wird einer, der gerade aus Südostasien kommt, am Flughafen gleich mit Fieber aus dem Verkehr gezogen, ist vielleicht alles in Ordnung. Läuft er aber noch 14 Tage herum und infiziert alle möglichen Leute, wird es ungleich schwieriger. Ich weiß nicht, wie viele Patienten wir einzeln isolieren können. Das wäre eine Herausforderung. Aber nicht nur für Luxemburg. Die wenigsten Länder sind darauf vorbereitet, große Zahlen an Patienten einzeln zu isolieren.

Bei SARS soll der Verzehr von Schleichkatzen in China zur Übertragung auf den Menschen geführt haben, beim neuen Coronavirus deutet viel darauf hin, dass sich die Ersten auf einem Tiermarkt in Wuhan ansteckten. Bei Ihrer Arbeit in Laos beobachten Sie beispielsweise auch die Infektionen bei Tieren in abgelegenen Dörfern. Mögen Viren diese Umgebung besonders oder wo lauert hier die Gefahr?

Solche Coronaviren können sich neu rekombinieren. Und Coronaviren sind überall, wo man hinschaut. Wir finden sie in Geflügel in Nigeria, wo wir eine neue Art feststellten, wie auch in Fledermäusen in Luxemburg, wie wir ebenfalls nachgewiesen haben. Überall dort, wo Tiere eng beieinander und auch noch im Kontakt zum Menschen sind, können diese sich gegenseitig anstecken. Dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass zwei Coronaviren in einem Träger zusammenkommen. Diese wiederum können sich zu einem neuen Coronavirus rekombinieren, das unter Umständen sogar fitter ist als die vorherigen. Was uns wieder zur Ausgangsfrage nach der tatsächlichen Gefährdung bringt: Wenn sich jetzt immer mehr Menschen mit dem neuen Coronavirus anstecken, bilden sie sozusagen eine Spielwiese für weitere möglicherweise gefährliche Rekombinationen zwischen Coronaviren – die dann bereits die Fähigkeit haben, von Mensch zu Mensch übertragen zu werden.

Hary
28. Januar 2020 - 15.36

Natürlich wird's böse Überraschungen geben, die USA, Japan und andere Länder holen ihre Mitbürger raus und verteilen so den Virus weltweit schneller als die Touristen und Geschäftsleute das könnten.

L.Marx
28. Januar 2020 - 11.36

Klingt dramatisch, ist aber eigentlich normal. Wie Muller selbst sagt: Viren (und auch Bakterien, cf Antibiotikaresistenzen) verändern sich permanent. Die eigentliche Gefahr ist das enge Zusammenleben von Menschen und, besonders schlimm, von Menschen und Tieren. Ist ja kein Zufall, dass die neuen für den Menschen potenziell gefährlichen Viren fast immer aus Regionen kommen, in denen die sozialen Verhältnisse so sind, dass viele Menschen dauerhaft in engem Kontakt mit vielen Tieren sind. Vermutlich werden wir - unsere Politiker - umdenken müssen. Megacities bieten vielleicht nicht die beste Zukunftsperspektive ...

Jacques Zeyen
28. Januar 2020 - 8.54

SARS,BSE,SCHWEINEPEST,KORONA,GRIPPE....die Liste ist endlos.Wer kennt noch das Wundermittel Tamiflu? Es wurde in millionenfacher Ausführung produziert und.....liegt in der Schublade. Dabei ist das Grippevirus das wohl interessanteste weil es jedes Jahr in anderer Form auftritt und es nur eine Frage der Zeit ist bis die Forschung einmal mit ihrem Impfstoff daneben liegt. Dann geht die Post ab. Viren haben leichtes Spiel weil der Schmarotzer der Gattung Homo Sapiens überhand nimmt und auch in Stunden um den Globus jettet.

Wat kütt dat kütt
27. Januar 2020 - 21.56

Jeden Tag neue Panik machen, mit reicht‘s