RadsportBob Jungels: „Ich möchte wieder bei großen Rennen in den Finals mitfahren“

Radsport / Bob Jungels: „Ich möchte wieder bei großen Rennen in den Finals mitfahren“
Bob Jungels hat die Freude auf dem Rad wiederentdeckt – und will in diesem Jahr wieder Rennen gewinnen Foto: KBLB_ACT

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Bob Jungels ist zurzeit mit seiner Mannschaft Ag2r-Citroën im Trainingslager. Im spanischen Denia bereitet er sich auf die kommende Saison vor. Nach seinem missglückten ersten Jahr bei der französischen Equipe, das vor allem durch eine Endofibrose beeinflusst wurde, will der 29-Jährige nach zwei Operationen nun wieder voll angreifen. Der ambitionierte Rollinger plant aber keine lange Übergangszeit – sondern will schnell zeigen, dass er zu Recht zu den Leadern des Teams gehört. Im Gespräch mit dem Tageblatt spricht er über die schwere Zeit, die er im vergangenen Jahr erlebt hat – aber auch darüber, was in den kommenden Monaten passieren soll. 

Tageblatt: Bob Jungels, der Jahreswechsel ist noch keine zwei Wochen alt. Sind Sie jemand, der Neujahrsvorsätze fasst?

Bob Jungels: Nein, nicht wirklich. Für mich ist es im Moment einfach wichtig, dass ich zu alter Form zurückfinde. Aber wenn ich mir welche machen müsste, dann würde ich sagen, dass ich wieder der Fahrer werden möchte, der ich vor der Verletzung war. Ich möchte wieder bei großen Rennen in den Finals mitfahren. Momentan läuft es dahingehend gut. Es sieht nicht aus, als wäre dies unmöglich. Deswegen scheint mir das ein realistischer Vorsatz zu sein. 

Sie sind wahrscheinlich froh, hinter 2021 einen Haken gemacht zu haben. 

Ja, definitiv. Sportlich wie auch persönlich war es in allen Hinsichten ein sehr kompliziertes Jahr. Die Unzufriedenheit im Beruf hat Frustration in meinen Alltag gebracht. Das war für mich und auch für mein Umfeld nicht einfach. In den letzten Jahren, die schwer für mich waren, habe ich viel über mich gelernt. Die letzten Saisons haben mich mental stark gemacht. Ich bin aber auch erleichtert, dass wir im letzten Jahr mein Problem (die Endofibrose) diagnostizieren konnten. 

Ihr Jahresabschluss bei Paris-Tours (1.Pro) war mit einem 21. Platz jedoch vielversprechend, oder?

Ich hatte bei diesem Rennen nicht viel erwartet. Wenn ich bei diesem Rennen mit über die letzte Kuppe gekommen wäre, wäre ich mit der ersten Gruppe ins Ziel gefahren. Das war für mich eine große Zufriedenstellung. Mit Démare oder Stuyven so lange mitzufahren, war extrem motivierend. Ich war froh zu sehen, dass das „Race-Feeling“ immer noch da ist. Das hat mir große Freude bereitet und ich war seit langer Zeit im Bus nicht mehr so froh, wie ich es nach dem Rennen war. Das hat die Mannschaft auch gemerkt. Es war eine große Erleichterung für mich. 

Wegen der Operationen hatten Sie eine vergleichsweise kurze Saison. Wie sah Ihr Winter aus?

Ich habe drei Wochen nichts gemacht, war in Urlaub mit meiner Freundin. Klar, ich hatte weniger Rennen und weniger Kilometer. Aber psychisch war das Jahr sehr belastend. Ich habe immer weitergemacht, bis ich bei der Tour de Suisse gesagt habe: Stopp, es geht nicht mehr – so will ich nicht mehr weiterfahren. Nach den Etappen in der Schweiz war ich mental am Ende. Ich habe so viel gegeben und nichts zurückbekommen. Auch vor und nach den Operationen war es dann nicht einfach für den Kopf. Vor der Operation konnte niemand mir eine Garantie geben, dass es besser werden würde – ich wusste aber, dass ich es machen musste. Ich habe in diesem Jahr außerdem viele Möglichkeiten verpasst.

Wie viel Kraft konnten Sie nach Paris-Tours und der Winterpause schöpfen?

Es läuft wieder. Und das ist wichtig, nicht nur für den Sport, sondern auch für meine Persönlichkeit. Ich habe diese „Off-Season“ gebraucht. Ich bin menschlich wieder der Alte. Kollegen und Familie sagen mir, dass ich wieder lachen würde und so wie immer bin. Es ist extrem schmerzhaft zu erfahren, dass ich nicht realisiert habe, dass sich meine Persönlichkeit verändert hat. Ich bin einfach nur froh, dass es wieder besser ist. 

Radsportler versuchen, auf unterschiedliche Arten ihre Form greifbar zu machen. Manche schauen auf Zahlen und Werte, andere hören auf ihren Körper. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Ich versuche, das zu kombinieren. Es ist immer gut, wenn die Werte dir eine Bestätigung für das Gefühl geben. Ich kann mich momentan nicht beklagen. Ich habe im Winter gut gearbeitet und starte später in die Saison (UAE Tour, 20.-26.2.). Deswegen möchte ich nicht zu früh zu viel geben. Es ist das zweite Trainingslager mit der Mannschaft, ich werde am 25. Februar noch ein Höhentrainingslager in der Sierra Nevada, das schon fast Tradition bei mir hat, zusammen mit Stan Dewulf bestreiten. Ich bin sehr motiviert und habe Spaß auf dem Rad – das zeigt sich auch an den Werten. Ich finde, man sollte eine gute Mitte zwischen Wissenschaft und Gefühl finden. 

Was planen Sie nun für das kommende Jahr?

Ich bin jemand, der sehr hohe Ansprüche an sich selbst hat. Ich habe schon während meiner ganzen Karriere nach mehr gestrebt und mich nie zufriedengegeben – das ist auch heute noch so. Wenn ich physisch wieder bei 100 Prozent bin und gesund, sehe ich kein Problem darin, dass ich große Rennen gewinnen kann. Das ist ganz klar mein Ziel. Nach dem Trainingslager habe ich noch ein „Check-up“ beim Arzt. Wenn er mir sagt, dass alles okay ist, sehe ich kein Problem, diese Ziele anzugehen. Ich habe hohe Anforderungen an mich selber, zudem haben mich die letzten Jahre mental stark gemacht. Im Leben läuft nicht immer alles nach Plan. Es ist wichtig, in solchen Situationen das Beste daraus zu machen. Ich glaube an meine Kapazitäten. Seit ich 14 oder 15 war, weiß ich, dass ich physische Kapazitäten habe. 

Wenn wir nun zu Ende Oktober 2022, dem Ende der diesjährigen Saison, vorspulen würden und Sie würden zurückblicken: Wann wären Sie zufrieden? 

Ich wäre zufrieden, wenn ich das erreiche, was ich mir vorgenommen habe: Ich möchte bei großen Rennen vorne mitfahren. Ich wäre auch glücklich, wenn ich dahin komme, wo ich mich sehe. Und das ist als Leader dieser Mannschaft. Ich will mir selbst beweisen, dass ich diesen Statuts nicht umsonst habe. Und dann will ich es auch dem Team zeigen. 

Haben Sie von der Mannschaft auch für diese Saison die Rolle des Leaders erhalten?

Für mich war es sehr wichtig, dass ich das Vertrauen der Mannschaft behalten habe. Sie sind derselben Meinung wie ich: Mit dem Potenzial, das ich habe, kann ich Leader sein. Das Vertrauen ist da. Bei den Gesprächen, die ich mit dem Team hatte, lief es darauf hinaus, dass ich bei den meisten Rennen als Kapitän fungieren kann. 

Wie sieht Ihr Saisonbeginn aus?

Ich hatte bisher eine gute Vorbereitung und fange mit der UAE Tour (20.-26.2/2.UWT) in einem sehr speziellen Rennen an. Es gibt ein Einzelzeitfahren, dann zwei Bergankünfte. Das kommt mir entgegen. Ich werde jede Chance nutzen, die sich mir bietet. Auch wenn die Hitze nie meine Welt war. Dann kommt schnell Tirreno-Adriatico (7.-13.3./2.UWT), wo ich schon auf dem Podium war. Mailand-Sanremo (19.3./1.UWT), die Flandern-Rundfahrt (3.4./1.UWT) oder Lüttich-Bastogne-Lüttich (24.4./1.UWT) sind alles Rennen, die mir liegen und mir Spaß machen. Da will ich das Beste herausholen.

Sie haben das Zeitfahren bei der UAE Tour angesprochen. Trainieren Sie diese Disziplin wieder intensiver?

Ja, auf jeden Fall. Zeitfahren war immer eine Disziplin, die mir viel Spaß gemacht habe, wo ich immer gut war. Das hat mir wehgetan, dass ich in den letzten Jahren im Zeitfahren abgebaut habe. Ich hoffe, dass das auch durch die Endofibrose kommt, weil man beim Zeitfahren eben auch gebückter sitzt. Das wäre schon logisch, wenn es daran liegen würde. Körperlich müsste ich das Zeitfahren sehr gut beherrschen, deswegen liegt es mir am Herzen, da wieder Fuß zu fassen. 

Im letzten Jahr wollten Sie sich auch auf einwöchige Etappenrennen konzentrieren. Wie sieht das in diesem Jahr aus?

Es gibt zwei Rennen, auf die ich in der ersten Saisonhälfte den Fokus lege. Das sind Tirreno-Adriatico und die Tour de Romandie (26.4.-1.5./2.UWT). Das sind Rennen, die mir entgegenkommen. Das Gleiche gilt für die Tour de Suisse (12.-19.6./2.UWT). Diese Rennen haben mir früher immer gelegen – ich denke nicht, dass ich mich durch die Verletzung viel geändert habe. Deswegen bleiben diese Rennen ein Ziel in dieser Saison. 

Sie gehören zum engeren Kader für die Tour de France. Was peilen Sie bei der „Grande Boucle“ an?

Keiner weiß zurzeit, wo es hingeht. Keiner weiß, wie weit ich kommen werde. Am allerliebsten würde ich sagen, dass ich auf das Klassement fahre. Aber es ist ein großer Sprung von da, wo ich herkomme. Wir müssen die ersten Monate abwarten und schauen, wie ich zurechtkomme. Ist es sinnvoll, drei Wochen zu opfern, um „nur“ Achter oder Neunter zu werden? Oder gewinnt man Etappen? Wir haben mit Ben (O’Connor) einen Fahrer in der Mannschaft, der letztes Jahr Vierter wurde. Die Prioritäten liegen bei ihm. Ich muss aber sagen, dass die erste Woche mit dem Zeitfahren, den Windkanten in Dänemark und dem Kopfsteinpflaster sehr interessant wird. 

Vor der Tour stehen traditionell die Landesmeisterschaften an. Welchen Status hat dieses Rennen bei Ihnen?

Einen größeren Stellenwert, als man vielleicht denken würde. Ich merke, nachdem ich nun zwei Saisons das Trikot nicht getragen habe, noch mehr, dass ich an diesem Trikot hänge. Es geht um Stolz, diese Farben tragen zu dürfen. Es sind aber auch immer schwere Rennen. Wenn du die Landesmeisterschaft gewinnst, dann weißt du, dass du nicht schlecht für die Tour drauf bist. Es ist insgesamt aber eine Ehrensache, eine Sache des Stolzes. 

Im Überblick

Voraussichtliches Rennprogramm von Bob Jungels:
20.-26.2.: UAE Tour (2.UWT)
7.-13.3.: Tirreno-Adriatico (/2.UWT)
16.3.: Mailand-Turin (1.Pro)
19.3.: Mailand-Sanremo (1.UWT)
25.3.: E3 Saxo Bank Classic (1.UWT)
3.4.: Flandern-Rundfahrt (1.UWT)
24.4.: Lüttich-Bastogne-Lüttich (1.UWT)
26.4.-1.5.: Tour de Romandie (2.UWT)
12.-19.6.: Tour de Suisse (2.UWT)
1.-24.7.: Tour de France (2.UWT)