80. GeburtstagBob Dylan: Der ewige Verweigerer

80. Geburtstag / Bob Dylan: Der ewige Verweigerer
Bob Dylan feierte am Montag seinen 80. Geburtstag Archivbild: AP/Chris Pizzello

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In Sam Peckinpahs elegischem Spätwestern „Pat Garrett jagt Billy the Kid“ (1973), zu dem er den Soundtrack beisteuerte, darunter den Gassenhauer „Knockin’ on Heaven’s Door“, übernahm Dylan die kleine Nebenrolle des Alias. Sprechen musste er dafür kaum. Die Figur scheint aus dem Nichts zu kommen. Ex nihilo. Und auf die Frage nach ihrem vollständigen Namen entgegnet sie: „Alias anything you please.“

Nachdem man ihm ein ganzes Jahrzehnt lang das verhasste Etikett „Voice of a Generation“ bzw. „Spokesman of a Generation“ aufgezwungen hatte, seinen Hausmüll nach Hinweisen durchforstet hatte, ihm von den Folk-Traditionalisten wie von der New Left diverse Verratsabsichten an einer Sache, die nicht seine sein konnte, unterstellt wurden, war ein „anything you please“ wohl das Einzige, was er seinen Zeitgenossen als Selbstauskunft mit auf den Weg geben wollte. Verweigerung als Selbstschutz, Ambivalenz und Pseudonymisierung als Kulturtechnik.

Der Künstler Dylan ist eine proteische Persönlichkeit, ein Trickser und Gaukler, der als Zwanzigjähriger aus dem ländlichen Minnesota nach New York zieht, um an die Folk-Renaissance anzudocken und sich im Greenwich Village radikal neu zu erfinden. Das Künstler-Alias klaut er sich vom walisischen Dichter Dylan Thomas, und die von Beginn an konsequent durchgeführte Selbststilisierung als Hobo im Stile Woody Guthries, als „lonesome sparrow“, der von kleinen Auftritten in den Coffeeshops von Bohemia lebt und ansonsten die Couches der Folk-Musen des Village besurft, kann als brillanter opportunistischer Schachzug gewertet werden. Eine erste erfolgreiche Häutung, der viele weitere folgen sollten.

„Rough and Rowdy Ways“

Dylan klang damals schon so alt und weise, mit dieser „voice of sand and glue“ (David Bowie), als sei er geradewegs aus dem Bauch der Mayflower an Land gegangen. Eine zeitgenössische Stimme, die eine Aura des Vergangenen heraufzubeschwören schien, ohne dass dieses Vergangene jemals aufgehört hätte, zu sein: „Hauntology“ statt „Retromania“.

Von „Desolation Row“ über „Mr. Tambourine Man“ bis zu „Blind Willie McTell“ und „I Contain Multitudes“ ist die Präsenz des Vergangenen, der Geschichte als Teil der Gegenwart in der Stimme des Performers aufgehoben.
Ich ist immer eben auch ein anderer.

Nicht nur in seinem Spätwerk, das mit der 1997 erschienenen Platte „Time Out of Mind“ begann und im letzten Jahr mit dem brillanten „Rough and Rowdy Ways“ weitergeführt wurde, ist die Idee eines arkanischen Amerikas, einer „Invisible Republic“ (Greil Marcus) gegenwärtig.

Dylan ist der Entfesselungskünstler par excellence, ein „song & dance man“, und so wundert es nicht, dass er auf dem Plattencover der legendären „Basement Tapes“ in die Nähe von Trapezkünstlerinnnen, schwertschluckenden Akrobaten und anderen Schlangenöl-Verkäufern und Badewannen-Schnapsbrennern rückt.

Die erste Häutung

Dass er nicht ewig „Protestlieder“ schreiben würde, war klar. Mochte sich der Troubadour in den ersten Jahren noch als singender Journalist verstanden haben, der die Wut über die amerikanischen Verhältnisse in zeitlose Bürgerrechtshymnen und Antikriegslieder goss, so strebte er schon bald, als Leser Rimbauds und Blakes, der Surrealisten und der Beats, nach einer Revolution des Geistes.

Es führte zur ersten in einer langen Reihe an Häutungen und Brüchen, ohne die Dylan nicht zu verstehen ist.

Mit seiner „elektrischen“ Trilogie Mitte der Sechzigerjahre („Bringing It All Back Home“, „Highway 61 Revisited“, „Blonde on Blonde“) beging er den ersten „Verrat“ – an jenen, die ihn groß gemacht hatten oder zumindest glaubten, es getan zu haben, den Folk-Puristen und Wächtern der vermeintlichen Tradition. Jenen also, die lieber die Asche anbeten, anstatt das Feuer weiterzureichen.

In der Manchester Trade Hall 1966, auf Europa-Tournee mit The Band, wurde er dafür folgerichtig als „Judas!“ beschimpft. Und er antwortete mit einer furiosen, an Lautstärke und Aggressivität kaum zu überbietenden Version von „Like a Rolling Stone“.

Doch damit war es nicht getan. Schwammen die Beatles und Stones und viele Bands aus San Francisco gerade mit opulent produziertem psychedelischen Kokolores auf der Welle des Zeitgeistes, trat Dylan nach unfallbedingter Pause und Rückzug aufs Land mit dem biblisch angehauchten Country-Folk-Album von „John Wesley Harding“ an die Öffentlichkeit. Der Zeitgeist ist ein dummes, träges Viech, und nur wer seiner Zeit den Rücken kehrt und tief gräbt, ist ihr wirklich voraus, schien er uns sagen zu wollen. Mit Nostalgie hatte das wie immer nichts zu tun.

Bilder und Bonmots

Wurden die Rufe nach einer Rückkehr der „Voice of a Generation“ inmitten des Vietnam-Krieges lauter und fordernder, reichte er prompt das schlampig produzierte Doppelalbum „Self Portrait“ nach, das fast ausschließlich aus Coverversionen und Outtakes bestand und als ein großes „piss-take“ in die Geschichte einging: Include me out!

Den schlimmsten und – in den Augen seiner Anbeter – unverzeihlichsten Fauxpas legte er Ende der Siebzigerjahre hin, als er, als Christ wiedergeborener Jude, zwei von Zeloteneifer durchtränkte Gospelrock-Alben veröffentlichte. Dass diese beiden Alben gleichzeitig großartige Musik enthielten und seine Stimme eine erneute Wandlung mitgemacht hatte, fiel wiederum den wenigsten auf.

Nun gibt es seit Jahren, zwecks Vertiefung all des Gesagten und Nichtgesagten, zwecks Deutung des Undeutbaren und Verstofflichung des Entstofflichten, die Dylanology, ein zwischen Akademie und Geekdom mäandrierendes Forschungsgebiet, dessen sympathisch meschugges Bodenpersonal sich aus fehlgeleiteten Gnostikern, Kabbalisten und Vertretern des vierfachen Schriftsinns zusammenzusetzen scheint. Hier wird jeder launischen Räusperung von „His Bobness“, jedem Kratzen am Hinterkopf eine Bedeutung zugemessen, die normalerweise ein Holzsplitter vom Kreuze Jesu erfährt.

Nicht zuletzt ist Dylans immenses Œuvre mit seinen vielen kryptischen, biblischen und surrealen Bildern und Bonmots, seinen Masken und Stimmen der Garant für das Weiterbestehen dieser kleinen Industrie der Exegeten und Sammler. Und es bleibt ein unermesslicher Zitatenschatz, aus dem sich jede gesellschaftspolitische Aktualität herauslesen lässt. Wie zum Beispiel aus diesem Zitat aus dem Song „Idiot Wind“ von 1974:

Idiot wind blowing like a circle around my skull

From the Grand Coulee Dam to the Capitol.