Für Putin, für den KriegBeklemmende Szenen und missbrauchte Symbolik – unterwegs auf Putins Militärparade

Für Putin, für den Krieg / Beklemmende Szenen und missbrauchte Symbolik – unterwegs auf Putins Militärparade
Wink an die Welt: Russlands Präsident Wladimir Putin und sein Verteidigungsminister Sergei Schoigu Foto: AFP/Kirill Kudryavstsev

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Voller Pomp und Pathos hält der russische Präsident Wladimir Putin seine Militärparade zum Jahrestag des sowjetischen Sieges über Nazi-Deutschland ab. Er zieht dabei eine direkte Linie zum russischen Einsatz in der Ukraine. Die Menschen auf Moskauer Straßen rechtfertigen den Krieg im Nachbarland.

„Lauf, Petja, lauf. Da kommen die Panzer“, ruft Olga, ja schreit fast, als die Granitplatten am Neuen Arbat, der Prachtmeile Moskaus mit ihren typischen Hochhäusern in Buchform, zu vibrieren beginnen. Olgas Worte gehen im Jubel, Klatschen und den Hurra-Schreien der Menschen fast unter, die sich nur unweit des Kremls massenhaft an die Metallabsperrungen am Straßenrand drängen. „Lauf, habe ich gesagt!“ Und Petja läuft. Rennt schnell zu seinem Zwillingsbruder Arkascha, schwenkt das rote Fähnchen in seiner linken Hand. Die Siebenjährigen streiten sich, wer zuerst auf die Schultern ihres Vaters dürfe. Petja bleibt unten. Die Panzer, die von ihrem „Auftritt“ auf dem Roten Platz zurück zum Übungsplatz im Westen Moskaus vorbeidonnern, geben mehr Gas, die Menschen schreien noch lauter.

Es sind beklemmende Szenen, die sich an diesem Tag, einem Tag voller missbrauchter Symbolik, im Stadtzentrum Moskaus abspielen. Hundertschaften von Spezialpolizisten patrouillieren in den Straßen, Busse, Straßenreinigungsfahrzeuge und Wagen der Nationalgarde versperren die Wege. Die Polizisten filmen mit ihren Brustkameras alles, was ihnen auffällig erscheint, und seien es Fragen von Journalisten.

Wir müssen unseren Söhnen das richtige Gefühl einimpfen. Ein Gefühl von der Größe und der Kraft Russlands.

Die Mittdreissigerin Olga am Neuen Arbat

„Wir müssen unseren Söhnen das richtige Gefühl einimpfen. Ein Gefühl von der Größe und der Kraft Russlands“, sagt Olga am Neuen Arbat, ihren Nachnamen will die Mittdreißigerin nicht nennen. Die Familie kommt aus Samara, wohnt seit knapp einem Jahr in der Hauptstadt. In der Stadt an der Wolga, knapp 900 Kilometer östlich von Moskau, sei es „wirtschaftlich sehr schwierig“. Olga schiebt ihren Jüngsten im Kinderwagen hin und her. „Die Jungs interessieren sich für Militärtechnik, spielen gern mit Panzern, Raketen und Gewehren. Nun können sie sich echte Waffen anschauen. Und durch die Waffen lernen sie die Geschichte Russlands kennen.“ Über die Ukraine will sie nicht sprechen, „zu viel Leid“. „Ich bin keine Politologin, die das erklären könnte. Man muss unseren heiligen Feiertag am 9. Mai von diesem Zeug da trennen.“ Ihr Mann zieht sie schließlich weg. „Wir bejubeln heute unsere Jungs, die Ukraine geht uns nichts an“, sagt er und läuft schnellen Schrittes davon, die Zwillinge rennen ihm hinterher.

Eine Veteranin vor einem Poster im Moskauer Zentrum
Eine Veteranin vor einem Poster im Moskauer Zentrum  Foto: AFP/Alexander Nemenow

Viele auf dem Neuen Arbat wenden sich von Fragen ab. „Nazis gebe ich keine Antworten“, schreit ein Mann im tarnfarbenen Pullover mit roter Sowjetfahne in der Hand, bevor er die auswendig gelernt klingenden Propagandasätze von „Was ist mit den acht Jahren im Donbass“, „Amerika ist an allem Schuld“, „Der Sieg wird unser sein“ aggressiv herunterrasselt. „Wir wollen keinen Krieg, aber den Amerikanern müssen wir es zeigen. Sie glauben doch nicht, dass in der Ukraine Ukrainer kämpfen“, sagt eine Frau, dreht sich um und winkt den vorbeifahrenden Raketenwerfern zu. Die Menschen leugnen und rechtfertigen, wie sie es seit mehr als zwei Monaten tun.

Kinder im Soldatenkostüm

Manche Eltern haben ihren Sprösslingen Kostüme in Olivgrün angezogen und eine Pilotka, die typische Soldatenmütze, auf den Kopf gesetzt. Mit Spielzeuggewehren stolzieren die Kleinen die Straße entlang und zielen auf die Umherstehenden. Die orange-schwarzen Georgsbändchen – in der Zarenzeit ein militärisches Abzeichen, seit mehr als 15 Jahren aber das wichtigste Merkmal für die Unterstützung von Putins Geschichtsverständnis – haben sich viele an die Brust gebunden oder an den Kinderwagen. Rote Fahnen mit dem Wort „Pobeda“ (Sieg) wehen im Wind. Auf den Schnullern mancher schlafender Kleinkinder prangt ein Z, der lateinische Buchstabe signalisiert die Unterstützung für den Kurs des Kremls in der Ukraine. Auch auf einigen mitgebrachten Fahnen prangt das Z, die Menschen schwenken diese, singen Lieder vom Sieg und schreien den Soldaten in den Panzern und den Militärfahrzeugen mit Raketen samt atomaren Sprengköpfen zu: „Jungs, ihr seid spitze!“

Russische Soldatinnen in Moskau bei der Parade 
Russische Soldatinnen in Moskau bei der Parade  Foto: AFP/Kirill Kudryavstsev

Es ist die erste Militärparade, die Russland abhält, während seine Truppen im Ausland einen Krieg führen. Die russische Führung bezeichnet diesen nicht so und verbietet jedem in Russland, ihn so zu bezeichnen. „Militärische Spezialoperation“ muss der Krieg in der Ukraine offiziell heißen. Auf dem Neuen Arbat sprechen alle vom „Krieg“. Selbst Russlands Präsident Wladimir Putin nimmt während seiner Ansprache auf dem Roten Platz die von ihm geschaffene Bezeichnung der „Spezialoperation“ nicht in den Mund. Er spricht lediglich von „Kampfhandlungen“ in der Ukraine und rechtfertigt diese als die „einzig richtige Entscheidung“. Russland habe sich verteidigen müssen und habe deshalb einen Präventivschlag gewählt, weil sonst die „vom Westen aufgerüstete Ukraine unsere historischen Territorien“ angegriffen hätte, sagt Putin vor den mehr als 10.000 Soldaten auf dem Roten Platz und den Veteranen des Zweiten Weltkrieges auf der Tribüne. Er spricht stets vom Donbass, den Rest der Ukraine erwähnt er nicht.

Zu viel Wind für die Flugshow

Das machen auch die staatlichen Medien nie und suggerieren damit, dass es dem Kreml lediglich um den Schutz der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass gehe. Putin wiederholt sein Narrativ vom bedrängten Russland, das sich durch alle Zeiten habe wehren müssen und dieses immer tun werde. Derweil rollt eine Einheit der Luftlandetruppen aus Tula an ihm vorbei, die, so sagt der Präsident, beim Einsatz in der Ukraine dabei gewesen sei. Auf die Flugshow muss der Kreml verzichten, zu schlecht sei das Wetter, in der Stadt windet es stark. Im Fernsehen zeigen sie in Reih und Glied aufgestellte Soldaten, der einer nach dem anderen dieselben Sätze wiederholt: „Der Sieg wird unser sein, der Nazismus wird liquidiert sein, wir kommen bald nach Hause.“

Russische Soldaten bei der Parade
Russische Soldaten bei der Parade Foto: AFP/Kirill Kudryavstsev

Von Anfang an hatte Putin eine Linie von damals zu heute gezogen, indem er den Überfall auf die Ukraine als „Befreiung vom Nazismus“ betitelte. Diese verdrehte Kontinuität hat das offizielle Moskau zum ideologischen Kampf des „Guten gegen das Böse“ aufgeladen, wobei Russland nach russischem Verständnis das Gute ist und der Westen, den Putin als „degeneriert“ ansieht, das Böse. Dass die „Operation“ längst ins Stocken geraten ist, will in Moskau offiziell niemand zugeben. Dass Putin während seiner – im Westen wie in Russland – nervös erwarteten Ansprache nicht einmal einen Teilsieg verkündet, geschweige denn die gefürchtete Generalmobilmachung ausruft, ist ein schweigendes Zugeben dessen, dass doch nicht alles „nach Plan“ läuft, wie es in Moskau mantraartig wiederholt wird.

Es ist ein anderer 9. Mai geworden

Der 9. Mai als Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges, dem 27 Millionen Menschen aus der gesamten Sowjetunion zum Opfer gefallen sind, er war einst ein Tag des Schmerzes, ein privater Erinnerungstag. „Nie wieder“, sagten die, die durch die Schrecken des Krieges gegangen sind, und trugen den Wunsch nach Frieden an die nächsten Generationen. Doch längst hat ein „Wir können es wiederholen“ die Oberhand übernommen. Russland sieht sich als eine einzigartige Nation, die sich nichts von außen nehmen lasse und sich deshalb mit allen Mitteln verteidige.

Eine „Jars“-Interkontinentalrakete rollt über den Roten Platz 
Eine „Jars“-Interkontinentalrakete rollt über den Roten Platz  Foto: AFP/Kirill Kudryavstsev

Im Park des Sieges, im Westen Moskaus, versammeln sich an diesem Tag Tausende, um die „Vorväter zu ehren“. Sie harren in langen Schlangen vor den Metalldetektoren am Eingang aus, wollen zum offiziellen Militärkonzert am Abend. „Hier, sehen Sie, das ist mein Großvater und sein Bruder“, sagt Wiktoria Klimenko und zeigt auf die vergilbten Bilder auf dem Plakat in ihrer Hand. „Klimytschew Nikolai“ steht da und „Klimytschew Konstantin“, gedient in der Roten Armee. „Schon damals haben sie in der Ukraine gegen die Bandera-Leute gekämpft. Und wenn es sein muss, ziehe auch ich heute gegen die Bandera-Nazis in den Krieg“, sagt sie und fügt hinzu: „Krieg ist etwas Schlimmes, Schmutziges, Leidvolles. Wir Russen sind für den Frieden.“ Ihr zehnjähriger Sohn hält eine rote Fahne in der Hand und schleckt an seinem Schoko-Eis. „Er ist sauer auf mich, weil wir es nicht geschafft haben, die Panzer und Raketenwerfer zu sehen. Ich hab ihm gesagt, in ein paar Jahren werde er sie in echt sehen. Du wirst doch Soldat, nicht wahr, Kostja?“

HTK
10. Mai 2022 - 8.57

Der Mann der angeblich die Nazis vertreiben will arbeitet wirkungsvoll mit Nazimethoden. Unterdrückung und Liquidation von Regimekritikern, Zensur oder Beherrschung der Medien, Falschinformationen,Verhaftungen,Angriffskrieg auf die Ukraine. Pomp-Parade während Russen und Ukrainer sterben.Der KGB-Mann hat alles für einen neuen Stalin.

Grober J-P.
10. Mai 2022 - 8.56

"Du wirst doch Soldat, nicht wahr, Kostja?“ Und dann darfs du für die Putins, Trumps und Jinpings sterben, bekommst nachträglich eine Ehrenmedaille und Mutti wird dich auf dem Friedhof beweinen, wenn sie dich denn wiedergefunden haben. Arme Menschheit.

Filet de Boeuf
10. Mai 2022 - 0.42

Nazismus, Sozialismus, Liberalismus, alles kack egal. Es geht um's Geld. Wenn ihr Probleme habt, geht auf die Strasse und protestiert gegen Geld-Akkumulation. Steuerreform, Vermögenssteuer, Spekulationssteuer, nein, keiner tut's, alles N00bs. Weltweit.