ÖsterreichBeginnende Absetzbewegung vom gefallenen Superstar Kurz in der ÖVP

Österreich / Beginnende Absetzbewegung vom gefallenen Superstar Kurz in der ÖVP
Der neue Kanzler Alexander Schallenberg (r.) und sein Vize, der Grüne Werner Kogler, bereiten sich unter den Blicken von Kaiser Franz Joseph I. auf die Ministerratssitzung vor Foto: AFP/Joe Klamar

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So schnell kann es gehen: Immer mehr Türkise besinnen sich ihrer alten Parteifarbe schwarz und gehen auf Distanz zu Ex-Kanzler Sebastian Kurz.

In den türkisen Echokammern auf Facebook geben noch die Hardcore-Kurzianer den Ton an. Dort erfährt der am Wochenende unter dem Druck der Korruptionsermittlungen abgetretene Bundeskanzler weiter messianische Verehrung. Für die eingefleischten Fans ist nichts dran an den Vorwürfen gegen ihr Idol, das sie als Opfer einer linkslinken Justiz und Journalie betrachten. Einer der wenigen Journalisten, dem die türkisen Jünger noch trauen, ist Krone-Kolumnist Michael Jeannée, der weiter unbeirrt gegen „grüne Verräter, rote Loser, blaue Hasser, pinke Möchtegerns“ anschreibt und Kurz auffordert: „Zeig’s ihnen Sebastian!“.

Dem Tiroler Landeshauptmann Günther Platter wurde es auch gezeigt. Und zwar jenes 104 Seiten starke Konvolut der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, das die Grundlage für die Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt, in der ÖVP-Zentrale, im Finanzministerium sowie bei mehreren Kurz-Mitarbeitern und einer inzwischen festgenommenen Meinungsforscherin gebildet hatte. Platter hatte es noch nicht gelesen, als er vorigen Donnerstag wie die acht anderen ÖVP-Landesparteichefs einen schriftlichen Solidaritätsschwur leistete. „Wir stehen geschlossen hinter Sebastian Kurz und er hat weiterhin unsere volle Unterstützung“, hatten die neun 48 Stunden vor des Kanzlers Rücktrittserklärung verkündet.

Sie stehen zwar noch immer alle hinter Kurz, aber der eine oder die andere mit dem Messer in der Hand.

Auch Platter hat sie mittlerweile gelesen, die Durchsuchungsordnung mit den vier, fünf Jahre alten Chats, in denen Kurz und seine Getreuen über die „alten Deppen“ in der ÖVP herzogen, mutmaßlich den Missbrauch von Steuergeld für getürkte Umfragen und Jubelreportagen in einer Boulevardzeitung einfädelten und die Torpedierung von Erfolgen der ungeliebten Koalition mit der SPÖ verabredeten. Jetzt weiß auch Platter: „Es gibt schwerwiegende Vorwürfe, die man nicht wegwischen kann.“ Der neue Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) müsse die Regierung „ohne Einflussnahme nach seinen Vorstellungen führen“ können, sagt Platter und betont ausdrücklich, „ein Schwarzer“ zu sein.

Schwarze Zukunft

Schwarz war bei der ÖVP außer Mode gekommen, seit Kurz im Mai 2017 die in Umfragen darniederliegende Partei übernommen und sie türkis umgefärbt von einem Wahlsieg zum nächsten geführt hatte. Seit dem Wochenende hört man von ÖVPlern wieder öfter, dass sie Schwarze seien.

Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) findet es eine Woche nach ihrem Treueschwur ebenfalls „gut“, dass Kurz zurückgetreten ist. Auch sie dürfte das Dokument der Korruptionsstaatsanwaltschaft inzwischen genauer studiert haben: „Klar ist, dass die Vorwürfe aufgeklärt werden müssen. Die Chats zeichnen ein Bild, das wir so nicht stehen lassen wollen und können.“

Klar ist, dass die Vorwürfe aufgeklärt werden müssen. Die Chats zeichnen ein Bild, das wir so nicht stehen lassen wollen und können.

Johanna Mikl-Leitner, ÖVP-Landeshauptfrau in Nederösterreich

Hatten die ÖVP-Granden anfangs noch ausschließlich juristisch argumentiert und für Kurz die Unschuldsvermutung eingefordert, solange es kein rechtskräftiges Urteil gibt, so hat sich inzwischen die Einsicht durchgesetzt, dass das Anforderungsprofil an Politiker nicht nur eine strafrechtlich weiße Weste, sondern auch ethisch-moralische Mindeststandards beinhaltet. Im Hinblick darauf offenbart Kurz bei aller Unschuldsvermutung ein gröberes Defizit.

Aber auch die juristische Suppe könnte noch so manche bittere Einlage bekommen. Seit der Festnahme der Meinungsforscherin Sabine B., die für Kurz-Intimus Thomas Schmid im Finanzministerium frisierte Umfragen geliefert und in der Zeitung Österreich untergebracht haben soll, geht unter den Türkis-Schwarzen die Angst vor der nächsten Enthüllung um. Es wird schon spekuliert, dass B. als Kronzeugin erst richtig auszupacken beginnen könnte.

Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer zerstört schon die Wiederauferstehungshoffnungen, an die sich die Kurz-Sekte in ihren Echokammern verzweifelt klammert: Der ÖVP-Landeschef rechnet nicht damit, dass seine Partei Kurz in absehbarer Zeit wieder als Spitzenkandidaten bei einer Wahl ins Rennen schicken wird: „Wir konzentrieren uns jetzt auf den Alexander Schallenberg. Die gerichtlichen Verfahren, die es abzuwarten gilt, werden mehrere Wahlen überleben.“ Schallenberg sei „keine Puppe“, sondern Kanzler „auf Dauer“.

ÖVP stürzt ab

Die Absetzbewegung von Kurz hat auch demoskopische Gründe. Eine von der Kronen Zeitung veröffentlichte Umfrage weist für die ÖVP in der Sonntagsfrage seit Ende Juli einen Absturz um neun Punkte auf 26 Prozent aus. Bei der Nationalratswahl vor zwei Jahren hatte die ÖVP noch 37,5 Prozent geholt. Die SPÖ hat mit 25 Prozent (plus 3) fast schon wieder aufgeschlossen. Auch die FPÖ legt um zwei Punkte auf 21 Prozent zu, während Grüne und Neos bei elf Prozent stagnieren. Die türkis-grüne Koalition ist also weit entfernt von einer Mehrheit. Noch ist Sebastian Kurz ÖVP-Chef. Die Betonung auf „noch“ wird aber mit jeder neuen Enthüllung stärker.