Corona-UrsprungAustralier berichtet über WHO-Mission in China

Corona-Ursprung / Australier berichtet über WHO-Mission in China
Dominic Dwyer (M.) verlässt Ende Januar gemeinsam mit weiteren WHO-Mitarbeitern ein Hotel in Wuhan  Foto: Hector Retamal/AFP

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Der australische Virologe Dominic Dwyer war mit dem WHO-Team in China unterwegs, um die Anfänge der Pandemie zu erforschen. In einem ausführlichen Bericht schilderte der Mediziner nun, was er in Wuhan erlebt hat.

Wann genau sind die ersten Menschen an Covid-19 erkrankt? Woher stammt das Virus SARS-CoV-2? Wurde es vom Tier auf den Menschen übertragen oder ist es im Labor entstanden? Die Ursprünge der Pandemie sind nach wie vor verworren. Klar ist bisher nur, dass die Virusinfektion, die zum ersten Mal im Dezember 2019 in der Acht-Millionen-Stadt Wuhan in China festgestellt wurde, die Welt in die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt hat. Das Virus SARS-CoV-2 hat den schlimmsten Ausbruch einer Infektionskrankheit seit der Influenzapandemie von 1918-19 ausgelöst – mit bisher fast 2,5 Millionen Toten.

Australien war das erste Land, das nach einer unabhängigen Untersuchung des Ursprungs der Pandemie verlangte – eine Forderung, die die Beziehung des Landes zur Volksrepublik auf eine Zerreißprobe stellte und wirtschaftliche Repressalien Chinas wie Handelsbarrieren zur Folge hatte. Doch Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durften nach langem Hin und Her im Januar tatsächlich für vier Wochen nach China reisen und mit Betroffenen, Wissenschaftlern, Epidemiologen und Ärzten sprechen.

Höchstwahrscheinlich tierischen Ursprungs

Einer der Teilnehmer der WHO-Delegation, Dominic Dwyer, ein Virologe der Universität von Sydney, schrieb seine Erlebnisse in China nun nieder und veröffentlichte den Bericht im akademischen Online-Magazin The Conversation. Bis zu 15 Stunden am Tag seien er und seine Kollegen mit den chinesischen Forschern und Medizinern zusammengesessen, schrieb er: „Dies ermöglichte es uns, Respekt und Vertrauen auf eine Weise aufzubauen, die man nicht unbedingt per Zoom oder E-Mail erreichen könnte.“ Im Rahmen der Mission traf die Delegation beispielsweise den Mann, der am 8. Dezember 2019 der erste bestätigte Covid-19-Fall war und inzwischen wieder gesund ist, sowie den Ehemann einer Ärztin, die am Coronavirus starb und ein kleines Kind hinterließ. Außerdem sprachen die Experten mit den Ärzten, die die frühen Fälle in den Krankenhäusern in Wuhan behandelt hatten.

„Unsere Untersuchungen ergaben, dass das Virus höchstwahrscheinlich tierischen Ursprungs ist“, sagte Dwyer. „Es ist wahrscheinlich von Fledermäusen über ein noch unbekanntes Zwischentier an einem unbekannten Ort auf den Menschen übertragen worden.“ Andere sogenannte „zoonotischen“ Krankheiten sind beispielsweise die Tuberkulose, die Schweinegrippe, Tollwut oder Toxoplasmose. Ein vermutlich von Vieh übertragenes Coronavirus namens OC43 gelangte um 1890 schon mal in die menschliche Bevölkerung und löste wohl auch damals eine Pandemie aus, die weltweit zahlreiche Menschen tötete.

Welche Rolle spielte der Huanan-Markt?

Welches Tier für die aktuelle Pandemie verantwortlich ist, das können die Forscher bisher nicht eindeutig sagen. „Die Proben von Fledermäusen in der Provinz Hubei und von Wildtieren in ganz China haben bisher kein SARS-CoV-2 ergeben“, schrieb Dwyer in seinem Bericht. Sie hätten den inzwischen geschlossenen Huanan-Markt in Wuhan besucht, der in den frühen Tagen der Pandemie als Quelle des Virus verantwortlich gemacht wurde. Dort boten einige Stände „domestizierte“ Wildtierprodukte an, darunter Lebensmittel von Bambusratten, Zibetkatzen und Frettchendachsen, die potenziell anfällig für SARS-CoV-2 sein könnten. Außerdem war der Markt schlecht belüftet und entwässert und wurde täglich von bis zu 10.000 Menschen besucht.

Ob der Markt jedoch wirklich der Ursprungsort war, lässt sich nach wie vor nicht nachweisen. Man habe das Virus dort auf Oberflächen gefunden, doch keines der untersuchten tierischen Produkte, die damals im Angebot waren, habe positiv auf SARS-CoV-2 getestet, meinte Dwyer. „Wir wissen zudem, dass nicht alle der ersten 174 frühen Covid-19-Fälle den Markt besucht haben“, schrieb der australische Virologe. Auch der Mann, den man im Dezember 2019 als ersten diagnostiziert habe, sei nie dort gewesen. Genetische Untersuchungen zeigen zwar, dass auf dem Markt mit Sicherheit eine Übertragung stattgefunden und sich ein erster Cluster gebildet hat. Doch „eine gewisse Diversität in anderen viralen Sequenzen“ weise darauf hin, dass es durchaus noch andere, bisher unbekannte oder nicht erforschte Übertragungsketten zwischen Mitte November und Anfang Dezember gab, so Dwyer. „Der Markt in Wuhan war letztendlich eher ein verstärkendes Ereignis als notwendigerweise ein echter Ground Zero“, sagte er.

Labortheorie „äußerst unwahrscheinlich“

In seinem Bericht diskutierte Dwyer auch die umstrittensten Theorien: Eine davon ist, dass das Virus von gefrorenen oder gekühlten Lebensmitteln stammt und damit seinen Ursprung nicht in Wuhan, sondern an einem ganz anderen Ort hat. Einige gekühlte Produkte, die auf dem Markt verkauft wurden, seien nicht auf das Virus getestet worden, sagte er. Die Untersuchung dieser Theorie dauere deswegen nach wie vor an. Völlig ausschließen könne man sie nach wie vor nicht, so der Virologe.

Deutlich brisanter ist die häufig in sozialen Medien diskutierte Variante, dass das Virus aus einem Labor stammt. Denn direkt vor Ort in Wuhan befindet sich eine der renommiertesten Forschungseinrichtungen der Region, das Institut für Virologie in Wuhan. Das sei die „politisch sensibelste Option“ gewesen, schrieb Dwyer. Seine Kollegen und er seien letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass es „äußerst unwahrscheinlich“ sei, dass das Virus aus dem Labor entkommen sei. Zum einen habe er das Gefühl gehabt, die Einrichtung sei „ordentlich geführt“ – beispielsweise würden routinemäßig Blutproben von Wissenschaftlern entnommen und gelagert und auf Anzeichen einer Infektion getestet. Zum anderen „wurden keine Hinweise auf Antikörper gegen das Coronavirus gefunden“. Die lokalen Forscher arbeiten laut Dwyer zwar an einem ähnlichen Virus namens RaTG13, das in Höhlen in Südchina entdeckt wurde und vor sieben Jahren einige Bergleute das Leben gekostet hat. „Aber alles, was die Wissenschaftler hatten, war eine genetische Sequenz für dieses Virus“, schrieb Dwyer. Grundsätzlich könnten Viren natürlich schon aus einem Labor entkommen, dies sei aber selten und im Fall von Wuhan in seinen Augen „äußerst unwahrscheinlich“.

Insgesamt war die Mission in China nur die erste Phase der Untersuchungen, die die Forscher planen. Beispielsweise wolle man noch untersuchen, ob das Virus 2019 bereits in Europa zirkulierte, schrieb Dwyer. Auch in Wuhan selbst soll es weitere Tests geben und zwar mit Wildtieren, die nach wie vor in Verdacht stehen, der Wirt des Virus zu sein.