Ausstellung: Architektonisches Kulturerbe vor der Kameralinse

Ausstellung: Architektonisches Kulturerbe vor der Kameralinse

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Die derzeitige Ausstellung in der Abtei Neumünster geht an die Substanz. An die Bausubstanz, um genau zu sein. Die Fotografen Miikka Heinonen und Jeanine Unsen haben sich künstlerisch mit Gebäuden auseinandergesetzt, die vom „Service des sites et monuments nationaux“ als architektonisches Kulturerbe gelistet werden. Dabei ging es aber längst nicht nur um die Bauten selbst. Das Resultat sind einzigartige Innen- wie Außenansichten, die essenzielle Gespräche über den Menschen und sein Umfeld anstoßen können.

Wenn es um Immobilien in Luxemburg geht, dann ist häufig (und beileibe nicht immer zu Unrecht) lautes Geschrei zu vernehmen. Bei der Ausstellung „Murmures“ spielt der luxemburgische Wohn- und Lebensraum zwar auch eine Rolle, aber wie der Titel schon vermuten lässt, wird eher ein besonnener, ruhiger Ton angeschlagen. Man lässt das Gemäuer flüstern und wer aufmerksam horcht, kann ihm einige Geheimnisse entlocken.

Durch die Wahl zweier grundverschiedener Fotografen ist es der Kuratorin Fanny Weinquin gelungen, aufzuzeigen, wie unterschiedlich sich die Ergebnisse einer derartigen künstlerischen Recherche später in Fotografien widerspiegeln können. Während Miikka Heinonen mit seinen futuristisch anmutenden Werken, die aus mehreren übereinander geschichteten Perspektiven auf ein und dasselbe Gebäude bestehen, für das kulturelle Erbe – wie Weinquin es im Ausstellungskatalog beschreibt – eine neue Gegenwart oder gar virtuelle Zukunft erschafft, versetzt sich Jeanine Unsen bei ihrer Arbeit weit in die Vergangenheit des Hauses und seiner Bewohner zurück.

Für die luxemburgische Künstlerin stand schnell fest, dass sie hinter die Fassaden verschiedener privater Gebäude schauen und die Geschichten, die diese beherbergen, erfahren möchte. Demnach kam es für sie nicht infrage, lediglich Räume bildlich festzuhalten, „weil der Mensch die Geschichte darin ausmacht“, so Unsen. „Ich fand es spannend, wie viele Hausbesitzer bereit waren, einfach zu sagen: ‚Ich öffne dir meine Türen, schau dir ruhig alles an. Ich mache dir sogar noch eine Tasse Kaffee dazu, wenn du magst.'“

Die Frauen hinter den Häuser

Es seien nicht nur die jeweiligen Türen gewesen, die sich geöffnet haben, sondern auch die Inhaber selbst. Ebendieses Vertrauen hat Jeanine Unsen tief beeindruckt und ihr bei ihrer Arbeit geholfen, da es ihr ermöglichte, weitaus mehr zu tun, als nur die Räumlichkeiten zu besichtigen. Die Fotografin durfte so nämlich hören, was man so manchem Ort nicht direkt ansieht. Zum Beispiel ob er als Refugium oder als schlichtes Dach über dem Kopf diente. Oder ob seine Bewohner mehr Vertriebene denn Heimkehrer waren. Viele der Hausbesitzer seien auf faszinierende Art und Weise über die sich teilweise über mehr als ein Jahrhundert erstreckenden „Lebensläufe“ ihres Zuhauses informiert und würden förmlich nicht nur fast jeden Stein, sondern auch viele der ehemaligen Bewohner mindestens beim Vornamen kennen, erzählt Unsen gegenüber dem Tageblatt.

Jeanine Unsen fiel im Laufe des Projekts immer wieder auf, dass es häufig Frauen waren, welche die Geschichten der Häuser erzählten. Außerdem hätten sich die Erzählungen selbst oft um die Frauen innerhalb der vier Wände gedreht. So konnte die junge Fotografin der Frau – wie auch in anderen ihrer Arbeiten – in einem doppelten Sinne „Raum“ geben. Und zwar ganz ohne persönliche Details, die mit ihr im intimen Gespräch geteilt worden waren, zu verraten.

Der unsichtbare Mensch

„Aus den jeweiligen Geschichten der Menschen arbeitete ich das heraus, was mich berührt hat oder begonnen hatte, an mir zu arbeiten. Ich spann es gewissermaßen weiter, entwickelte meine Vorstellung von dem, was passiert ist, und fragte mich zudem, wie es heute wohl verlaufen würde.“ In der Folge schuf sie dann in den jeweiligen Häusern mithilfe von Tänzerinnen und Schauspielerinnen neue Momentaufnahmen jener ihr geschilderten ortsgebundenen wichtigen Ereignisse.

Die Präsenz von Menschlichem oder Menschlichkeit ist bei Heinonens Arbeit nicht weniger wichtig, aber definitiv weniger sichtbar. Wie schon bei seiner „Insomnia“-Reihe aus dem Jahr 2015 widmet er sich der Dekonstruktion von menschlichen Konstruktionen (und vielleicht auch Konstrukten). „Gewissermaßen ist der Mensch in meinen Bildern enthalten, aber auf eine distanzierte Art, da die zwar menschenleeren Gebäude trotzdem von Menschenhand erschaffen wurden.“ Durch diese Abwesenheit von klar ersichtlichem Leben wohnt seinen Werken etwas Geisterhaftes, der Realität aber nur scheinbar Entrücktes inne.

Das beste Beispiel hierfür ist zweifelsfrei jenes Bild von Heinonen, auf dem man bei näherer Betrachtung das Gebäude der BEI, also der europäischen Bank auf dem Kirchberg, erkennt. Seine erste Wahl sei sofort auf diesen architektonischen Zeitzeugen des Brutalismus gefallen, erläutert Heinonen, der dieses Kulturerbe nur unter äußerst strengen Bedingungen ablichten durfte. Das Gebäude sei unter anderem aufgrund seiner Architektur sogar im Gegensatz zu manchen Kirchen, die er im Rahmen des Projektes besucht habe, am weitesten von Menschlichkeit entfernt, gesteht der Fotograf.

Terra incognita

Für den Finnen, der seit mehr als 20 Jahren in Luxemburg lebt, barg der Auftrag zudem die Chance, Teile und kleine Orte des Landes kennenzulernen, die er zuvor nicht kannte. Sowohl die kleine Kirche in Rindschleiden als auch die Ruine des Schlosses Brandenburg aus dem 13. Jahrhundert übten eine gewisse Faszination auf ihn aus, zumal er beim Fotografieren überwiegend allein unterwegs war und so fast schon meditative Momente in stiller Zweisamkeit mit den Gemäuern verbringen konnte.

„Bauten wie dieses Schloss haben bereits etwas Beeindruckendes und vor allem Massives. Obwohl es sich ohnehin um Monumente handelt, kann man sie durch das künstlerische Vorgehen noch weiter ‚monumentalisieren‘. Außerdem gewinnen sie bei mir durch den Effekt der verschiedenen Layer eine neue Leichtigkeit.“ Abschließend warf Jeanine Unsen im Gespräch über die fotografische Arbeit, die sich für beide Fotografen über mehrere Monate und zahlreiche Termine hinwegzog, eine spannende Frage auf, die man gerade in Hinsicht auf den Umgang mit dem Kulturerbe nochmals neu reflektieren kann: „Braucht der Mensch sein Umfeld – und wer ist er, wenn dieses sich verändert oder gar ganz verschwindet?“

 

murmures – Le patrimoine architectural luxembourgeois revisité par la photographie

Täglich von 11-18 Uhr in der Abtei „neimënster“ (Cloître et jardin Lucien Wercollier)
Ausstellungsführung mit der Kuratorin: 18. Oktober um 18 Uhr