Ukraine-KriegAusgebuchte Flüge, Run auf Krankschreibungen – wie Putins Teilmobilmachung vielen Russen Angst macht

Ukraine-Krieg / Ausgebuchte Flüge, Run auf Krankschreibungen – wie Putins Teilmobilmachung vielen Russen Angst macht
„Russland zu dienen, ist ein richtiger Job“ steht auf dem Plakat in Sankt Petersburg – für Hunderttausende Russen wird es jetzt zur Pflicht Foto: AFP/Olga Maltseva

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Der Kreml hält an seinen Plänen von der Zerstörung der Ukraine fest. Wladimir Putin lässt Scheinreferenden abhalten und 300.000 zusätzliche Soldaten in den Kampf ziehen. Es ist seine panische Antwort auf die militärischen Erfolge der Ukraine.

Der Ukas ist nur wenige Minuten, nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin geredet hatte, auf der Homepage des Kremls zu finden. 300.000 Reservisten – Soldaten, Offiziere, Fähnriche – sollen für Russland in den Kampf gegen die Ukraine ziehen. Nein, gegen den Westen, wie der bald 70-Jährige am Mittwochmorgen sagt, im selben Arbeitszimmer, in dem er auch seine hasserfüllte Rede zum 24. Februar aufgenommen hatte und damit die Invasion der Ukraine befahl. Bis heute nennt Putin den gewaltsamen Einsatz seiner Armee im Nachbarland „militärische Spezialoperation“ und hält trotz der militärischen Erfolge der Ukraine weiterhin daran fest. Mit allen Mitteln. Lügen, Drohungen, Verzweiflungstaten.

„Das Ziel des kollektiven Westens ist es, unser Land zu schwächen, zu spalten und schließlich zu zerstören. Er will, dass Russland in viele Regionen zerfällt, die sich tödlich bekriegen“, sagt Putin. Der Westen habe die Ukraine zu einem Anti-Russland gemacht, das ihm nun, um Russland auszurauben, als Kanonenfutter diene. Die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine im Frühjahr habe der „kollektive Westen“ sabotiert, damit er weiter Krieg führen könne. Es sind die typischen Putin’schen Verdrehungen, die in weiten Teilen der russischen Bevölkerung dennoch greifen.

Direktflüge gleich nach Rede ausverkauft

In diesem Duktus redet der Kreml-Herrscher weiter: Um die Heimat und die Integrität zu schützen, sei eine Teilmobilmachung vonnöten, erklärt er. Bereits ab diesem Mittwoch soll sie beginnen. Die Reservisten, Russinnen und Russen zwischen 18 und 65 Jahren, die gedient haben und bestimmte Ränge aufweisen, sollen vor allem die „1.000 Kilometer lange Kontaktlinie“, so Putin, sichern. Kurz nach seiner Ansprache sind keine Direktflüge mehr nach Jerewan oder Istanbul für den Tag zu bekommen.

Vor allem junge Männer wollen weg – wie bereits Anfang März, als eine regelrechte Ausreisewelle aus Russland begann. Um seinen Worten noch an Gewicht zu verleihen, spricht Putin von der „Erpressung des Westens durch Atomwaffen“. „Bei Bedrohung unserer Integrität werden wir zweifellos alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen. Das ist kein Bluff!“ Putin weiß um die Angst des Westens vor einem Einsatz von Atomwaffen. Er spielt mit diesen Ängsten – und zeigt dadurch seine Verzweiflung. Denn anderes als mit dem Äußersten zu drohen, bleibt ihm nicht.

Eigentlich hatte der Kreml die Rede für den Dienstag angekündigt. Putin sollte sich zu den fürs Wochenende geplanten „Abstimmungen“ in den von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine äußern. Nur kurz zuvor war bekannt geworden, dass die sogenannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk sowie die Gebiete Saporischschja und Cherson ihren „Anschluss“ an Russland per „Referendum“ erklären sollten. Ein bizarres Unterfangen mitten in Kampfhandlungen und doch eine russische Offensive, irgendwie auf die jüngsten Geländegewinne der Ukrainer zu reagieren. Damit will Russland Tatsachen schaffen – und eskaliert. Zumal es auch nach Innen mit Gesetzesänderungen reagiert, die zum Beispiel Fahnenflucht mit hohen Haftstrafen versehen, auch „in Zeiten einer Mobilmachung“.

In diesem Standbild aus einem vom Pressedienst des russischen Präsidenten veröffentlichten Video wendet sich der russische Präsident Wladimir Putin am Mittwoch mit einer Rede an die Nation – knapp sieben Monate nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine hat Russland eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet 
In diesem Standbild aus einem vom Pressedienst des russischen Präsidenten veröffentlichten Video wendet sich der russische Präsident Wladimir Putin am Mittwoch mit einer Rede an die Nation – knapp sieben Monate nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine hat Russland eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet  Foto: dpa/Russian Presidential Press Service

Doch am Dienstag spricht Putin nicht. Mehr als zwei Stunden lang halten BeobachterInnen, kremlloyale wie kremlkritische, regelrecht den Atem an. Manche warten darauf, dass der Kremlherrscher den „Krieg“ erklären würde, die Generalmobilmachung ausriefe, sich zum Einsatz von Atomwaffen äußerte. „Und, wartet ihr? Wartet!“, schreibt Margarita Simonjan, die Chefin des Staatssenders RT, da gewöhnlich höhnisch. Doch auch sie muss nach dem langen Abend zugeben: „Geht ins Bett.“ So manche spotten in den sozialen Netzwerken, ob Putin sich denn in die Hose gemacht habe oder gar aus dem Fenster gefallen sei.

Die schlechten Lügen von Verteidigungsminister Schoigu

„Nach Plan“, wie der Kreml stets behauptet, läuft es in der Tat nicht für Moskau. Die Rede, lediglich eine Viertelstunde lang, strahlen die Staatssender erst am Mittwochmorgen aus, samt einem inszenierten Interview des russischen Verteidigungsministers Sergei Schoigu. Dieser schwadroniert über die hohen Verluste der Ukrainer, spricht von 61.000 Toten und 49.000 Verletzten, nennt nach Monaten auch die Zahl der toten russischen Soldaten: 5.937. Selbst die offiziell zugänglichen Quellen sprechen von weitaus größeren russischen Verlusten. Seinem Präsidenten folgend wiederholt auch Schoigu das Narrativ von Russlands Kampf gegen die NATO. In Kiew säßen „westliche Kommandeure“, „die gesamte NATO-Aufklärung arbeitet gegen uns“.

Das eigentliche russische Ukraine-Narrativ hat sich erschöpft. Und so wählt Putin – für ihn nicht ungewöhnlich – große Worte, macht klar, dass durch die Referenden (wer sollte sie denn anerkennen?) der Donbass und die anderen Gebiete russisch wären, Russland sich also verteidigen würde. Doch um die Legitimität geht es Moskau auch nicht. Die Ukraine wird die Gebiete ohnehin als ihr eigenes Territorium ansehen und weiter um die Deokkupation kämpfen. Russland hat sich in eine Sackgasse manövriert und redet sich die Lage weiterhin schön. Auch die Zahl von 300.000 Reservisten klingt nach Bedrohung. Wie diese 300.000 Menschen zum Dienst gezwungen werden sollen, ist nicht klar. Russlands Oppositionspolitiker in Haft, Alexej Nawalny, spottete bereits: „Sollen Polizisten hinter den Reservisten herrennen?“

Der Krieg, der in Russland nicht so heißen darf, er ist nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Viele russische Familien schauen, wie sie ihre Söhne vom Einsatz in der Ukraine retten können, besorgen sich Krankschreibungen, kaufen Bescheinigungen, dass sie kranke Eltern zu versorgen hätten oder Kinder unter 16 Jahren hätten. 25 Millionen Russen unterliegen potenziell einer Einberufung. Für Putin ist damit noch viel Luft nach oben.

Beobachter
21. September 2022 - 13.25

Der Olaf erstmals in N.Y. meint, Putin kann diesen Krieg nicht gewinnen! Leider meint Putin daß er nicht verlieren darf. Der Weltenbrand ist nicht aufzuhalten!