Aus purer Freude am Lernen: Rentner Serge Bouchard beginnt sechstes Semester an der Uni.lu

Aus purer Freude am Lernen: Rentner Serge Bouchard beginnt sechstes Semester an der Uni.lu

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Von unserer Korrespondentin Christiane Wagner

Als wir die schattige Terrasse inmitten eines parkähnlichen Gartens betreten, legt Serge Bouchard gerade den Geschichtswälzer des bekannten Luxemburger Historikers Denis Scuto zur Seite. Diese Lektüre entspricht hervorragend einem der Studienfächer, die er an der Uni Luxemburg belegt hat. Nicht weiter ungewöhnlich, werden Sie sagen. Was aber, wenn der Student bereits in Rente ist und einen Teil seiner neu gewonnenen Freizeit nutzt, um die Fächer „Luxemburgische und europäische Geschichte“ sowie „Philosophie“ zu studieren? In diesem Herbst beginnt der ehemalige Bauingenieur sein sechstes Semester. Wie kam er dazu, ein Studium aufzunehmen und wie fühlt er sich zwischen all den jungen Studenten? Zur heutigen „Rentrée académique“ der Uni Luxemburg haben wir nachgefragt.

„Als ich durch das Auslaufen des Lux2016-Abkommens mit ArcelorMittal die Gelegenheit bekam, andere als berufliche Prioritäten in meinem Leben zu setzen, nutzte ich die Gelegenheit, das Arbeitsleben an den Nagel zu hängen. Ich wollte mich verstärkt meiner Familie und meinen Hobbys wie unter anderem der Natur, dem Reisen und meinen Vespas widmen. Doch da fehlte etwas in meinen Plänen. Und zwar die geistige Betätigung“, erzählt der 60-Jährige. Ein ehemaliger Berufskollege verriet dem zweifachen Familienvater, dass er genau denselben Gedanken im Kopf habe.

Nach reiflicher Überlegung beschlossen beide, es mit einem Studium an der Uni Luxemburg zu versuchen. „Eines war uns klar: Es sollte nichts Technisches mehr sein. Das hatten wir ja bereits unser ganzes Leben lang“, sagt der Senior-Student lachend. „Eher aus Neugier und Wissbegier entschieden wir uns für Fächer aus dem Bereich Geisteswissenschaften. Es ist nicht so, dass ich mir einen lang gehegten Lebenstraum erfüllt hätte. Nein, mein Ingenieursstudium und mein späterer Beruf kamen ganz nach meinen Vorstellungen und Talenten“..

In der Tat hat Serge Bouchard in Aachen Ingenieurswesen studiert, arbeitete bei Arbed zuerst im rein technischen Bereich und stieg später in die technisch-kaufmännische Abteilung auf. Um die Jahrtausendwende verbrachte er mit seiner Familie drei Jahre als „Expat“ in New York. Sein Arbeitgeber hatte ihn dorthin abbestellt, um die Grey-Träger aus dem Arbed-Werk Differdingen auf dem nordamerikanischen Kontinent zu vermarkten. Doch kurzfristig (für ihn etwas zu früh) wurde er nach Luxemburg zurückberufen, wo er seine Laufbahn nach der Fusion mit Arcelor und der Übernahme durch Mittal als Marketingleiter für Langprodukte in Westeuropa beendete.

Zahlen und logische Zusammenhänge

Die Entscheidung war also getroffen. Der pensionierte Ingenieur wollte wieder studieren und holte Erkundigungen an der Uni ein. Er erfuhr, dass er als „auditeur libre“, als Gasthörer also, angenommen werden und an den regulären Kursen teilnehmen könne. Ein Diplom oder sonstige Leistungsnachweise seien ihm allerdings verwehrt. Auch hätten logischerweise die „normalen“ Studenten Vorrang bei den Einschreibungen. Maximal drei unterschiedliche Kurse dürfe er belegen. Die Senior-Studenten könnten aber zwischen verschiedenen vorgeschlagenen und individuell anpassbaren Lehrgängen wählen. Sie würden dann der Aufnahmekapazität entsprechend zugelassen.

Serge Bouchard schrieb sich ein. Er hatte keine hoch gesteckten Erwartungen oder Ziele. Er wollte lediglich seinen Geist wach halten und wöchentlich feste Ziele in seinem Pensionärsleben haben. So ging er unvoreingenommen in die ersten Vorlesungen. Und das Studium machte ihm von Anfang an richtig Spaß. Die gewählten Fächer begeisterten ihn. In hohen Tönen schwärmt er vom Geschichtsunterricht, der die luxemburgische und europäische Geschichte aufbereitet, oder von den Philokursen, die auch Logik, Philo-Anthropologie und Ästhetik umfassen. Gerade steht die Antike auf dem Programm.

Und wenn er ganz unbefangen mit Jahreszahlen und historischen Abläufen aufwartet, dann zeigt sich doch die dem Ingenieur eigene Begabung für Zahlen und logische Zusammenhänge. Er habe parallel zum Studium auch in die Sparte Genealogie hineingeschnuppert, „die ja die große Geschichte im Kleinen darstellt“. Dies aber eher aus privatem Interesse: um seine Familienchronik aufzustellen. Es sei ihm gelungen, seinen Stammbaum bis zum Jahr 1700 zurückzuverfolgen, so der Senior-Student.

Kein Student zweiter Klasse

Wie er denn von den jungen Studenten und den Professoren aufgenommen worden sei? „Ganz normal“, stellt er fest. „Die jungen Studenten nehmen kaum Notiz von uns älteren Gasthörern. In den Vorlesungen sind wir ja nur eine verschwindende Minderheit unter vielen. In den Seminaren mit nur einem Dutzend Teilnehmern oder gar in Arbeitsgruppen ist das anders. Dort erwarten alle, dass wir uns voll einbringen und wir werden angemessen gefordert. Und da kommt es hin und wieder auch zu privaten Gesprächen.“

Die Professoren ihrerseits würden ihn keineswegs als Studenten zweiter Klasse behandeln. Allerdings halte er sich bescheiden im Hintergrund und achte darauf, das Studium der regulären Studenten nicht zu stören oder einzuschränken. Dennoch würden es die Professoren schätzen, wenn sich die Gasthörer gelegentlich zur Beantwortung von Fragen meldeten. Mitarbeit werde schon erwartet. Und im Uni-internen Forum, an dem alle Studenten im Rahmen von Hausaufgaben teilnähmen, würden sie genauso gewissenhaft und streng beurteilt wie die anderen auch.

„Mir bereitet es keinen Frust, auf spätere offizielle Anerkennung zu verzichten. Der Druck, ein Examen zu bestehen und ein Diplom zu erlangen, ist weg. Ich lerne fleißig, mache während der Vorlesungen eifrig Notizen und erledige meine Hausaufgaben ohne Murren. Ich bin wissbegierig und es macht mir ganz einfach Freude, zu lernen“, erläutert der Student.

Viel Interesse,aber kein Stress

Das Interesse an der gewählten Materie sei der Motor. Er verfolge das Studium mit großer Ernsthaftigkeit, sei aber keinerlei Stress ausgesetzt. Das Studium rege ihn sogar zu vermehrtem Lesen an, sagt er, und nimmt ein Werk von Hannah Arendt vom Stapel. Anwesenheit bei den Vorlesungen sei für Gasthörer nicht Pflicht, dennoch schwänze er keine. Falls er aus schwerwiegenden Gründen nicht teilnehmen könne, leihe er sich die Notizen seines Kollegen aus und nehme das Verpasste nach.

Was sagte denn vor fast drei Jahren seine Familie zu seinem Plan, erneut ein Studium aufzunehmen, fragen wir. „Ich bekam sowohl von meinen Töchtern, die beide im Ausland studieren, als auch von meiner Frau Danielle volle Unterstützung. Jetzt zählt unser kleiner Haushalt ganz einfach drei Studenten. Wohl gab es anfangs mal lautes Gelächter, wenn ich nach einem gemeinsamen Mittagessen ankündigte, ich müsse nun meine Hausaufgaben machen oder mich für die kommende Vorlesung vorbereiten. Insgesamt reagierte mein gesamtes Umfeld sehr positiv.“

Abschließend möchten wir noch wissen, ob er nach dem abgeschlossenen Semester noch weiterstudieren wird. „Ich habe mir kein Limit gesetzt. Solange Interesse und Motivation stimmen und die Lebensumstände es mir erlauben, werde ich weitermachen. Man lernt nie aus!“

Grenzgegner
3. August 2021 - 18.30

Auch ältere Menschen lernen eben gerne noch dazu. Im Ruhestand hat man eben Zeit und Muße, und kann sich die Fächer aussuchen, die im Erwerbsleben nie relevant waren.