Ein Jahr PandemieAus der Not eine Tugend gemacht

Ein Jahr Pandemie / Aus der Not eine Tugend gemacht
Ein reines Teppichgeschäft ist Hertz schon lange nicht mehr Foto: Editpress/Alain Rischard

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Ihre schnelle Reaktionsfähigkeit und eine stramme Organisation haben Nathalie Aach, Chefin des Teppich- und Heimtextilhauses Hertz, erlaubt, das Corona-Jahr nicht nur zu überstehen, sondern aus den Herausforderungen das Beste zu machen. Der Versuch einer Bilanz.

 „Ich gehöre in dieser schweren Zeit zu den Glückskindern“, sagt Nathalie Aach ein Jahr nach dem Lockdown, mit dem die Regierung ab dem 16. März 2020 den Auswirkungen des damals noch weitgehend unbekannten Virus gegensteuerte. Dabei war die unvorhergesehene Schließung des Geschäftes die zweite große Herausforderung, die die Unternehmerin innerhalb kurzer Zeit meistern musste. Knapp vier Monate vorher hatte das Familienunternehmen, das Nathalie Aach in dritter Generation leitet, seinem historischen Standort in der „Groussgaass“ den Rücken gekehrt und seine bis dahin auf drei Geschäfte verteilten Aktivitäten in das Einkaufszentrum „La Belle Etoile“ verlegt.

Der innerhalb von knapp sechs Monaten organisierte Umzug, gefolgt vom Weihnachtsgeschäft im Einkaufszentrum, brachte das Team an den Rand seiner Belastbarkeit, die kurzfristige Schließung des Einkaufszentrums setzte noch eins drauf.

Die praktische Umsetzung war nicht das Problem. Wie alle Unternehmer hat auch Hertz das Anrecht auf Kurzarbeit für seine 16 Mitarbeiter beantragt. Darüber hinaus waren so viele Urlaubstage und Überstunden angehäuft worden, dass die fast zweimonatige Schließung auch in diesem Sinne zu meistern war. Wichtiger war der Unternehmerin, das Personal zu beruhigen. Sie richtete sofort eine „Whatsapp“-Gruppe ein, über die sich regelmäßig ausgetauscht wurde.

Parallel dazu hat sie eine Internet-Plattform aufgebaut und den Mail-Austausch mit der Kundschaft intensiviert. „Zehn Tage nach der Schließung waren wir mit 300 Produkten online und verstärkt auf Facebook und anderen Portalen präsent“, berichtet Nathalie Aach nicht ohne Stolz über die Hilfe ihrer Kinder. Innerhalb kürzester Zeit konnte sie die ersten 120 Bestellungen entgegennehmen. Heute sind rund 1.500 Waren im Angebot und das digitale „Hertz“ ein fester Bestandteil des Geschäftes.

Aus dem ersten Versuch wurde eine neue Routine: „Morgens habe ich die Bestellungen vorbereitet. Nachmittags bin ich dann mit dem Fahrrad losgefahren, das ich mir gleich zu Beginn des Lockdowns gekauft hatte, und habe ausgeliefert“, erzählt sie mit einem Lächeln. „Eigentlich war alles anders geplant“, schildert sie weiter und spricht das Trekking an, das im März letzten Jahres, als Ausgleich zum Umzug, geplant war und das kurzfristig abgesagt wurde, nicht zuletzt weil die Fluggesellschaft veränderte Reisebedingungen hatte. 

Spannender Start

„Natürlich waren wir alle erleichtert, als wir am 11. Mai 2020 die Türen wieder öffnen konnten. Gleichzeitig blieb die Frage, ob und in welchem Umfang die Kunden wieder Vertrauen fassen und in die Geschäfte kommen“, erinnert sich die Geschäftsführerin an ihren zweiten Neustart in der „Belle Etoile“. Ihre Angst war unbegründet: Rückblickend war ihr Unternehmen eines von denen, für die sich der erzwungene Aufenthalt in den eigenen vier Wänden zum Guten wendete. Nachdem die Leute gründlich gereinigt und renoviert hatten, dadurch, dass vielerorts die Putzfrau nicht kam und die Hausfrau selbst ihre Betten beziehen und ihre Hand- und Küchentücher bügeln musste, tauchten plötzlich Nutzungsspuren auf, die bis dahin nicht beachtet wurden. „Wir hatten eine riesige Nachfrage nach Bettwäsche. Auch Geschenke wurden verstärkt nachgekauft.“ Der Wunsch nach neuen Vorhängen war ebenfalls gestiegen.

Seit Mai 2020 wird bei Hertz mit größter Strenge auf die Einhaltung der Vorsichtsmaßnahmen geachtet. Masken sind Pflicht, das Personal darf nicht im Ruheraum essen. Um jeglicher Verbreitung des Virus Einhalt zu gebieten, wurde im Herbst und bis zur zweiten Schließung das Team in zwei Mannschaften aufgeteilt, die jeweils fünfeinhalb Stunden pro Tag arbeiteten und sich nicht in die Quere kamen. Das Personal wurde regelmäßig getestet und es gab einen zusätzlichen freien Tag in der Woche. „Wir haben dann beim zweiten Lockdown den Laden auf Vordermann gebracht und den Ausverkauf vorbereitet“, so Nathalie Aach. Erneut war ihr wichtig, dem Personal Mut zu machen. Das hat auch der äußerst großzügige Umgang der „Belle Etoile“ mit ihren Mietern möglich gemacht. 

Ohne Bedauern

Damit ist auch das Stichwort für eine weitere Frage gegeben. Umzug aus der „Groussgaass“ und Corona-Krise. Wie lautet hier die Bilanz? „Wir hatten trotz aller Schwierigkeiten ein gutes Geschäftsjahr“, so die Unternehmerin. Ihre Kunden sind ihr fast alle ins Einkaufszentrum gefolgt, wobei sich der Kundenstrom sogar besser aufteilt. Die Stammkunden kommen wochentags, die traditionelle Shoppingcenter-Kundschaft am Samstag. „Dass wir beim Umzug in die „Belle Etoile“ den Namen gewechselt haben und das Tapis verschwand, ist kaum aufgefallen“, lacht Nathalie Aach. Teppiche hat sie weiterhin im Angebot. Diese bereiten ihr zurzeit allerdings Sorgen. „Unsere Kunden sind wiedergekommen, zum Teil mit einer größeren Nachfrage. Unsere Lieferanten hingegen sind häufig im Hintertreffen“, schildert sie ihre aktuelle Lage. Teppiche aus Nepal treffen mit monatelanger Verspätung ein.

In Deutschland laufen viele Unternehmen weiterhin auf Sparflamme, kleinere Firmen müssen mitunter ihre Produktion stoppen, weil die Belegschaft in Quarantäne gehen muss. Der Transport ist mitunter genauso chaotisch. „Wenn wir Pech haben und unsere Bestellung liegt im hintersten Teil des Lagers, dann brauchen wir Geduld.“ Eine letzte Frage drängt sich auf: Kann ein „Stater Meedchen“ wie Nathalie Aach problemlos auf das Flair der „Groussgaass“, in der sie bis zu ihrem zehnten Lebensjahr gelebt und 25 Jahre lang gearbeitet hat, verzichten?

Die Antwort ist klar. Die aktuellen Umstände haben die Entscheidung leichter gemacht. „Man kann zurzeit noch nicht einmal mit einem Kunden oder einer Freundin irgendwo einen Kaffee trinken. Das schränkt das Sozialleben im Stadtzentrum stark ein.“

Blick in die Geschichte

73 Jahre lang war „Tapis Hertz“ ein fester Bestandteil der „Goussgaass“. 1946 gründete Rodolphe Hertz auf Nummer 9, Grand-rue einen Laden für Teppiche und Vorhänge. Zwei Jahre später zog er auf Nummer 34 der gleichen Grand-rue um. 1963 übernahm seine Nichte Danielle zusammen mit ihrem Ehemann Guy Aach das Unternehmen, in dem die junge Frau ab 1955 und Guy Aach ab 1959 tätig waren. 2013 gingen sie nach 55 Jahren in den Ruhestand, blieben aber der Oberstadt weiterhin verbunden. 1981 stand ein Umzug an, „Tapis Hertz“ kam in das dekorative Eckgebäude der „Groussgaass“ und der Kapuzinergasse, das zwischen 1996 und 2012 um einen Flügel in der Kapuzinergasse erweitert wurde. 1994 stieg die aktuelle Geschäftsführerin an der Seite ihrer Eltern ins Unternehmen ein. 2013 eröffnete sie eine Zweigstelle im damaligen neuen Flügel der „Belle Etoile“, in dem das „Hertz“ heute seinen alleinigen Standort hat. CW

Nathalie Aach leitet das Unternehmen in dritter Generation
Nathalie Aach leitet das Unternehmen in dritter Generation Foto: Editpress/Alain Rischard