ZeithistorikerAus den Fehlern von Belval lernen?

Zeithistoriker / Aus den Fehlern von Belval lernen?
Die Vision einer „coulée verte“ in Belval des belgischen Comic-Autors und Architekten François Schuiten, 2004 Illustration: François Schuiten

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Let’s talk about Belval! In diesem Semester forschen die Studierenden des „Master in Architecture“ der Universität Luxemburg, unter der Leitung der Professoren Florian Hertweck und Markus Miessen, zu zwanzig Jahren Urbanismus in Belval.

Zu Fragen wie: Welche Teile der ursprünglichen Pläne wurden in Belval umgesetzt und in welchem Umfang? Welche Aspekte des Projekts haben sich als erfolgreich erwiesen und welche nicht? Was kann verändert und umgenutzt werden unter den Prämissen eines Urbanismus der alltäglichen Lebensqualität und der Dringlichkeit einer resilienten Stadtplanung in Zeiten des Klimawandels? Wie sehen die Strukturen zu Steuerung und Reparatur von Projekten wie Belval aus und wie müssten sie angepasst werden? Wie wirkt Belval über den „Modellurbanismus“ hinaus weiterhin auf die umliegenden Territorien und ihre Bewohner? Was sind die bestehenden und entstehenden Gemeinschaften von Belval? (https://wwwfr.uni.lu/recherche/fhse/dgeo/news_events/public_talks_let_s_talk_about_belval)

Die Kick-off-Woche kombinierte Vorträge, Arbeitsgruppen, Rundtischgespräche und kleine Projektarbeiten, die sich alle mit der Fallstudie Belval aus verschiedenen Perspektiven auseinandersetzten, mit seiner Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Es diskutierten ehemalige Minister, lokale Akteure, der Fonds Belval und Agora, also die Entscheidungsträger, mit den Architekten und Stadtplanern sowie mit den Nutzern von Belval, jenen, die dort studieren, lehren, forschen, arbeiten und leben.

Als man den Entscheidungsträgern zuhörte, musste man staunen. In der Presse betonen die beiden amtierenden Minister Fränz Bausch und Claude Turmes zu Recht, dass bei der Entwicklung der nächsten Industriebrachen – Stichwort, allein in Esch/Alzette: „Quartier Metzeschmelz“, „Lentille Terre rouge“ und „Crassier Terre rouge“ – jene Fehler, welche während der vergangenen zwanzig Jahre in Belval gemacht wurden, nicht wiederholt werden dürften. Umso erstaunlicher war es, letzte Woche festzustellen, dass Entscheidungsträger wie der Fonds Belval und Agora in den Rundtischgesprächen unisono beim besten Willen keine Fehler entdecken konnten. „Tout est pour le mieux dans le meilleur des Belvals …“

Tout est pour le mieux …

Das ist gerade einer der Hauptgründe der Fehlentwicklungen in Belval: Mangel an Selbstkritik und dem, was Franzosen „humilité“ nennen. Ich musste sofort an meine Erfahrungen als Fußballer denken. Die Belval-Entscheidungsträger sollten sich ein Beispiel an jenen drei Trainern (Jeannot Kremer, Alex Pecqueur, Jemp Barboni) nehmen, mit denen Jeunesse Esch von 1982 bis 2000 neunmal Meister wurde und viermal den Pokal gewann. Diese Trainer waren erfolgreich, weil sie bereit waren, Fehler einzugestehen und mit den Spielern und dem Vorstand darüber zu sprechen. Und Kursänderungen gemeinsam umzusetzen.

Bezeichnenderweise erinnerten sich weder die Minister noch der Fonds Belval und Agora an ihre Versprechen bezüglich Belval. Jene Versprechen, die uns auch heute wieder gemacht werden, z.B. in Esch-Schifflange und auf „Terre rouge“: Viertel, in denen der öffentliche Verkehr, der Respekt vor der Natur und der Umweltschutz sowie die Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund stehen würden. Vor zwanzig Jahren wurde ein Modal Split von 40/60 in Belval versprochen. Die Vision einer „coulée verte“, mit den Hochöfen in einer grünen Oase, wurde 2004 vom Fonds Belval präsentiert. Und natürlich sollte das industrielle Erbe nicht nur aufgewertet und umgenutzt, sondern zur Grundlage des neuen Belval werden. So lautete jedenfalls der Masterplan des niederländischen Büros Jo Coenen im Jahr 2002.

All we need is …

Öffentlicher Verkehr – nachhaltiges Viertel – Achtung und Umnutzung der Industriekultur. Zwanzig Jahre später wälzt sich täglich eine Autolawine durch Belval. Radwege sind weder auf dem Boden markiert, noch gibt es eine Beschilderung. Auf dem gesamten Uni-Campus gibt es keine Rasenfläche, die diesen Namen verdient. Für die Tausenden Studenten, für das Universitätspersonal im Allgemeinen, aber auch für alle anderen, die in Belval arbeiten und leben, gibt es auf dem Gelände praktisch keine Möglichkeit für Sport und Erholung: Stichwort Sporthalle und Schwimmbad. Das „Centre sportif Belval“ wurde 2012 (!!!) in einer 125-seitigen Glanzbroschüre vom Fonds Belval vorgestellt. Seither herrscht Funkstille (https://www.fonds-belval.lu/media/publications/80/projet%20ispo%20interieur.pdf).

Zentrale Zeugen der Industriegeschichte, die von den Masterplanern als „éléments à mettre en valeur“ definiert wurden, wurden entweder, wie der Highway, abgerissen – ein unverzeihlicher Akt des Vandalismus des Fonds Belval und seines früheren Direktors – oder sind, wie das Fundament des Hochofens C, die „Gebléishal“ und die beiden roten Schornsteine hinter dem Square Mile, immer noch nicht umgenutzt. Das wären spannende Räume u. a. für Studierende, die in Belval weiterhin keine Räume haben, die sie sich aneignen können, die sie selbst gestalten können, wo sie frei „ihr Ding machen“ können. Konsumenten sind gefragt auf Belval, das Studentenleben dagegen wird komplett unterbunden.

… cooperation and community building

Eine erste Schlussfolgerung ergab sich aus den Debatten der vergangenen Woche. Das Wichtigste, um Belval, aber auch „Metzeschmelz“ oder „Terre rouge“ zu nachhaltigen Vierteln zu machen, ist der Prozess, wie Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden. Nur ein Prozess, bei dem Kooperation, bei dem der Wille zur Gemeinschaftsbildung und erschwinglicher Wohnraum im Mittelpunkt stehen, führt zu Arbeits-, Wohn- und Freizeiträumen mit alltäglicher Lebensqualität.

Let’s talk about Belval, and change it together!

Leila
2. Oktober 2022 - 12.25

Glasklar, da waren nur Unfehlbare am Werk! In der Shopping-Mall gibt's nicht mal eine Info-Tafel, wo sich welcher Laden befindet. Wenn's schon an solchen Kleinigkeiten hapert, braucht man sich nicht über fehlende Wichtigkeiten zu wundern...

Filet de Boeuf
2. Oktober 2022 - 0.54

Ich hab 'ne Idee. Im Untergeschoss Parkplätze für mehrere Tausend Fahrzeuge, im Erdgeschoss ein Empfang, darüber ein Supermarkt, darüber eine Schule, darüber eine Uni, darüber eine Sporthalle, darüber ein Schwimmbad, darüber die Ministerien, darüber ein Krankenhaus, darüber ein Altenheim, auf dem Dach ein Friedhof, und rundherum nur Häuser, Bauernhöfe, Restaurants und Industrie. Die Burj Luxemburga.