Das etwas andere Interview Auf den Punkt mit Thomas Gilgemann (Progrès Niederkorn)

Das etwas andere Interview  / Auf den Punkt mit Thomas Gilgemann (Progrès Niederkorn)
Thomas Gilgemann Foto: Editpress/Alain Rischard

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In unserer Rubrik „Auf den Punkt“ fühlen wir Akteuren aus der BGL Ligue auf etwas andere Art auf den Zahn. Zum verschobenen Auftakt in die neue Saison sprach Progrès-Sportdirektor Thomas Gilgemann über das Lehreramt, Tim Hall und seinen einzigen Platzverweis. 

Tageblatt: Seit wann benutzen Sie die Worte „step by step“ bei Ihren Ansprachen als Progrès-Sportdirektor fast inflationär?

Thomas Gilgemann: Das hat mir zwar noch niemand so deutlich gesagt, aber es stimmt, dass ich diese Formulierung oft nutze. Es ist eigentlich die beste Beschreibung, um unser Vorgehen beim Progrès zu beschreiben. Indirekt macht man sich damit nicht zu viel Druck. 

Ihr Alltag gehört auch der Immobilienbranche. Was können Sie besser – Häuser oder Spieler verkaufen?

Auf dem Immobilienmarkt hat sich die Lage aufgrund der Pandemie nicht unbedingt verlangsamt. War früher ein Stellplatz oder eine Garage das Hauptkriterium, ist das jetzt ein Außenbereich. Es gibt immer wieder Leute, die denken, es sei einfach, in diesem Business Fuß zu fassen. Es geht schnell, eine Agentur zu eröffnen, aber viele schließen dann auch genauso schnell wieder. Häuser zu verkaufen ist mein Beruf, der es mir erlaubt, auch ein Sponsor des Vereins zu sein. Ohne wäre es wohl kompliziert. Fußball ist eine Leidenschaft, weshalb ich es genieße, mich mit Vereinsverantwortlichen aus großen Vereinen zu treffen und mich über Spieler zu unterhalten.

Haben Sie damals als Verteidiger eigentlich genauso viel auf dem Platz geredet wie im Job oder als Sportdirektor?

Ganz ehrlich … Ich kann verstehen, wenn einige meiner Mitspieler damals nicht sehr begeistert von mir waren. Ich war wohl nicht der Angenehmste. Acht Jahre lang trug ich die Kapitänsbinde und ging immer auf den Platz, um zu gewinnen, auch im Training. Das war schon exzessiv. Auch wenn die Leistung vielleicht nicht stimmte, meine Mentalität war immer exemplarisch. Ich schätze Steven Gerrard für seine Einstellung. Er hätte in einem anderen Verein möglicherweise mehr gewonnen oder verdient. Ich habe einen Masterabschluss in Geschichte und Geografie und arbeitete mit 23 bereits zwei Jahre als Lehrer, bevor ich den Beruf gewechselt habe. Ich empfand das damals nicht unbedingt als etwas Zielführendes. Das hat einfach nicht meinen Charakter widergespiegelt. Man musste zwar auch viel reden, aber es war etwas anderes. Wenn ich als Sportdirektor zu viel rede, dann liegt es daran, dass ich dazu neige, alles im Detail zu erklären. Wir werden oft kritisiert, kassieren Tiefschläge, die man nicht unbedingt sieht. Das hat dann zur Folge, dass man möglicherweise zu viele Worte braucht, um Stellung zu nehmen. 

Sie gehören zu den Spielern, die nur einen Luxemburger Verein kennen. Warum hatten Sie nie das Bedürfnis, etwas anderes zu sehen?

Es ist nicht unbedingt so, dass es das Bedürfnis nicht gegeben hat. Als ich mit 22 hierher gewechselt bin, war das eher ungewöhnlich. Meistens kamen ältere Spieler aus dem Ausland. Der damalige Präsident Roger Sosson war mir gleich sympathisch. Es gab im Laufe meiner Karriere aber auch Gespräche mit der Jeunesse und Grevenmacher, wir waren uns sogar über das Finanzielle einig. Ich bin in Niederkorn damit sehr offen umgegangen und habe dem Verein klargemacht, dass ich bleiben würde – auch wenn ich nicht das Gleiche wie anderswo verdienen würde. Ich bin allen dankbar, denn ohne Fabio Marochi wäre ich in meinem Leben nicht dort, wo ich heute stehe. Ich kann mir nicht vorstellen, mich in einem anderen Verein so einzubringen. Ich fühlte mich hier schon mein ganzes Leben wie zu Hause. 

Wenn Sie die heutigen Spieler von der Tribüne aus betrachten, gehen Sie dann besonders hart mit den Verteidigern ins Gericht?

Ich bin tief in meiner Seele noch immer ein Verteidiger, aber ich will auf dem Rasen schönen Offensivfußball sehen. Wir kennen die Stärken und Schwächen der Spieler und wollen sowohl das Kollektiv als auch die Einzelpersonen nach vorne bringen. Einer, der immer wieder das Gespräch suchte, war Tim Hall. Er setzte sich manchmal zu mir und bat mich um einen Rat. Es fällt mir leichter, Verteidiger zu beraten. Was ich dagegen noch lernen muss, ist, auf den Tribünen etwas ruhiger zu bleiben. Nach acht Jahren kommt es immer wieder vor, dass ich brülle und überdreht auftrete. Meine Ehefrau erinnert mich gerne daran … Sie hat recht. Es ist auch besser für meine Nerven … Ich habe nichts dagegen, irgendwann neben einem Spielfeld zu sterben, aber das hat noch ein wenig Zeit. 

Sie haben im Laufe Ihrer BGL-Ligue-Karriere nur einmal Rot kassiert. Waren Sie zu nett auf dem Platz?

Diese Rote in Rosport war absolut unberechtigt! Es war ein Luftduell, mein Ellenbogen klebte nicht fest am Körper … Der Gegner ging zu Boden und rollte sich. Es war erst mein viertes Spiel für den Progrès. Man weiß ja, wie es ist, wenn man als Südverein in Rosport mit „netten Worten“ nach draußen begleitet wird. Bei den Gelben habe ich das immer sehr gut reguliert und musste nie gesperrt passen. Ich war nie bösartig. 

Was braucht es, um den Schritt vom Spieler zum Sportdirektor zu machen? 

Das war nicht einfach. Es ging – aufgepasst – „step by step“. Als Spieler gefielen mir Dinge nicht, weshalb ich gleich eine Liste erstellt habe. Das waren für einige vielleicht Details, aber mir war es wichtig. Zugeordnete Plätze in den Kabinen, bessere Trikots, mehr Zuschauer … Ich erinnere mich an eine Szene im Ibrox Park. Mein Sohn fragte mich: „Hättest du heute nicht spielen können?“ Da wurde mir bewusst, dass der Verein möglicherweise nicht dort gelandet wäre, wenn wir damals als Verantwortliche nicht die nötigen Strukturen aufgebaut hätten. Ich denke, dass ich mehr in dieser Rolle geleistet habe als als Spieler. Oder wie Fabio immer lachend sagt: „Seit du nicht mehr spielst, gewinnen wir!“

Warum trägt Ihr Sohn den Vornamen eines Fußballvereins?

Der Name hat seiner Mutter und mir gefallen. Er ist nicht nach Mailand benannt, sondern nach Milan Baros. Übrigens haben später auch Shakira und Piqué ihrem Sohn diesen Namen gegeben.

Als Historiker wissen Sie bestimmt noch, was am 29. Juni 2017 war?

Klar, das bleibt ein unvergessenes Erlebnis. Wenn es manchmal nicht so gut läuft, schaue ich mir die Videos vom Rangers-Spiel an. Wir haben uns damals einen Namen in ganz Europa gemacht. Das kann uns niemand nehmen. 


2 Fragen zum Wochenende

Genau wie für Gegner F91 geht es auch erst am Samstag für Niederkorn los. Auf welchen Spielverlauf muss man sich einstellen?

Im vergangenen Jahr haben wir, auch aufgrund unserer personellen Sorgen, zwei Niederlagen kassiert. Sie haben zwei Europapokal-Duelle in den Beinen, gegen einen starken Gegner, der PAOK anschließend geschlagen hat. Joubert braucht man nicht vorzustellen, mit Sinani haben sie einen stärkeren Spielmacher als Pokar – und in der Spitze die Qual der Wahl. Wir müssen uns also auf ein sehr hartes Duell einstellen. 

Welche Lektionen haben Sie trotzdem aus dem 40-minütigen Derby gezogen?

Wir können mit unserer Leistung nicht zufrieden sein. Differdingen hat uns mit seiner defensiven Art überrascht, aber wir haben keine Lösungen gefunden. Positiv ist, dass Düdelingen mit dem gleichen System antritt und wir demnach schon ein paar Analysen machen konnten.