Retro 2020Auch das war 2020: Wieso nicht alles schlecht war und das Gelernte noch wichtig sein wird

Retro 2020 / Auch das war 2020: Wieso nicht alles schlecht war und das Gelernte noch wichtig sein wird
Konfrontiert mit einer großen Gefahr, hat die Menschheit ein hohes Maß an Fähigkeiten aus dem Ärmel geschüttelt Foto: AFP/Dirk Waem

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Das war ein hartes Jahr, aber nicht alles war schlecht. Vielleicht ist es an der Zeit, jetzt, da dieses vermaledeite 2020 uns bald entlässt und 2021 sehr wahrscheinlich erst einmal sehr zäh bleiben wird, einen Blick über die Schulter zurückzuwerfen – und uns sowie allen anderen dabei auf eben diese zu klopfen und zu sagen: War heftig, aber wir haben das trotz allem gut hinbekommen!

Wir wissen jetzt, was wir können.

Konfrontiert mit einer großen Gefahr, hat die Menschheit ein hohes Maß an Fähigkeiten aus dem Ärmel geschüttelt. Wenn es denn sein muss, passen wir uns rasch an radikal neue Umstände an, wenden uns mit überwältigender Mehrheit der Wissenschaft zu und nicht dem Aberglauben, verzichten auf vieles sogar zum Schutz völlig Fremder, messen allem Leben ungeachtet vom Alter den gleichen Wert zu. Dabei diskutieren wir weiter, es wird gestritten und demonstriert, zum größten Teil in absolut geordneten Bahnen.

Dass es am Rande von Protesten quer durch Europa immer wieder zu Gewalt kam, durch Demonstranten wie durch die Polizei, ist leider nichts Neues und hat mit Corona an sich nichts zu tun. Tiefere Sorgenfalten wären angebracht, würden Freiheitseinschränkungen, wie wir sie 2020 hinnehmen mussten, alle vollkommen happy machen. Dissens braucht es auch in einer Pandemie, und die Hoffnung, dass sich danach ein bisschen was zum Guten ändert, besteht ja weiter – der Mensch ist nicht das Problem, er könnte es vielfach nur einfacher haben.

Leider schalteten auch in Europa viele Regierungen sofort in den Wettbewerbsmodus und schmissen die Profilierungsmaschinerie an. Das war zwar kaum überraschend, aber trotzdem eher Teil des Problems. Klar ist, dass die Aufgabe gewaltig war. Ebenso klar ist aber, dass Europas Staaten den Beginn der Pandemie verschlafen und die zweite Welle unterschätzt haben. Wir waren im Frühling das Coronavirus-Epizentrum und sind es im Winter immer noch – das wird hängenbleiben.

Aber es muss auch anderes hängenbleiben im kollektiven Gedächtnis: Zahlreiche Berufsgruppen, zahllose Leute überhaupt, allen Alters, sind dieses Jahr über sich hinausgewachsen. Innerhalb weniger Monate einen Impfstoff zu entwickeln, ist eine historische Meisterleistung, eine Premiere in der Menschheitsgeschichte. Solidarität wurde wieder großgeschrieben, vor allem im Kleinen, wo Menschen sich gegenseitig durch den Lockdown halfen. Wir rückten alle ein bisschen zusammen – aller Angst und allem Leiden zum Trotz wurde nicht jeder gleich des anderen Hölle. Wenn uns das nicht ehrt, was dann?

Wir waren und sind und bleiben alle Teil der Lösung, nicht nur in diesem harten Jahr, das nun zu Ende geht und das uns fast alle einsamer machte und viele trauern ließ. Doch wie gesagt: Wir wissen jetzt, was wir können – und dieses Wissen und diese Gewissheit werden wir brauchen. Es wird ein Leben nach der Pandemie geben. Wir kennen die Herausforderungen, sie sind nur in den Hintergrund geraten: der Klimawandel und unser Raubbau an der Natur, Migration, Armut, Ungleichheit – sie sind noch gewaltiger als die Pandemie.