Dienstag2. Dezember 2025

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Esch„Architecture & Patrimoine“: Die Grenzen des Denkmalschutzes, Mythen der Baubranche und fehlende Visionen

Esch / „Architecture & Patrimoine“: Die Grenzen des Denkmalschutzes, Mythen der Baubranche und fehlende Visionen
Unter Schutz: das frühere Arbed-Casino und heutige Conservatoire in der Nähe der Grenze zu Frankreich Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Über die Grenzen des Denkmalschutzes, Mythen der Baubranche und fehlende Visionen der Politiker ging es beim ersten Symposium „Architecture & Patrimoine“ vor einem leider handverlesenen Publikum in der Kulturfabrik in Esch. 

„Wir haben Tausende Elemente, die die Geschichte der Stadt Esch erzählen“, sagt die Urbanistin der Gemeinde, Daisy Wagner. In Zahlen ausgedrückt, sind insgesamt 3.669 Objekte in Esch geschützt, davon 2.923 durch den allgemeinen Bebauungsplan (PAG). 537 genießen den höchstmöglichen Schutz, 925 einen hohen Schutz. „Objekte“ bedeutet dabei nicht automatisch „Gebäude“; so stehen zum Beispiel in Esch auch drei Mauern unter Denkmalschutz. 

Daisy Wagner, die Urbanistin der Stadt Esch
Daisy Wagner, die Urbanistin der Stadt Esch Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Denkt man an Denkmalschutz, dann fallen einem die Industriedenkmäler der Schmelzen, der Turm im „Schlassgoart“, die Kirchen und vielleicht auch der alte Teil des LGE, des CHEM oder aber die Villa Mousset und das Konservatorium ein. Dabei geht der Denkmalschutz viel weiter. Wagner nennt als Beispiele Arbeitersiedlungen, die Lichtmasten der Alzettestraße, die place de la Synagogue, die Friedhöfe oder den Rosengarten auf dem Galgenberg. Sie möchte damit die Vielfältigkeit des Begriffs „Patrimoine“ unterstreichen, zu dem auch immaterielle Dinge gehören. 

„Jedenfalls hat Esch eine lange Tradition und früh erkannt, dass das ‚Patrimoine‘ bedroht sein kann“, so Wagner. Ein Beispiel dafür ist die Renovierung von „Al Esch“ in den 1980er Jahren. Die Kunsthistorikerin Antoinette Lorang hatte zudem Anfang der 1990er eine architektonische Inventur der Stadt aufgestellt, gleichzeitig wurde eine Gestaltungskommission ins Leben gerufen.    

„Mythos asbestos“

Dass das keine Garantie für den Erhalt ist, zeigt der Escher Architekt Philippe Nathan. Und er räumt mit einigen Mythen der Braubranche auf. Nathan redet vom „Mythos asbestos“. Die „Asbestverseuchung“ eines Gebäudes wird gerne als Abrissgrund angeführt, dabei müssen beim Abriss genau die gleichen Arbeiten durchgeführt werden wie bei einem möglichen Erhalt des Gebäudes, erklärt er. Um dann mit einem Beispiel konkret zu werden: das Wärmekraftwerk („Centrale thermique“) der Arbed auf dem „Crassier Terre Rouge“. Das hätte zum Wahrzeichen der Stadt werden können, so wie der Zollverein in Essen oder das Tate Modern in London.    

Nathan spricht auch von der verheerenden Umweltbilanz durch den Abriss alter Bausubstanz. Neun Millionen Tonnen Bauschutt fielen in Luxemburg pro Jahr an. Dies entspreche 400.000 Lastwagenladungen. Und wenn diese Lkw 40 Kilometer weit zu einer Deponie fahren, dann bedeute dies 12.000 Tonnen CO₂-Ausstoß pro Tag, dem Äquivalent von 6.000 „Economieclass“-Flügen zwischen Luxemburg und New York. Umnutzung anstelle von Demolierung, so lautet Nathans Devise. Wie das funktionieren kann, dokumentiert er anhand von Beispielen aus dem Ausland. Dass der Denkmalschutz in Esch auch Grenzen hat, zeigen „Ronn Bréck“ und „Keeseminnen“. Erstere wurde 2017 abgetragen, obwohl sie auch das Verbindungsstück des Weges zwischen den neuen Stadtvierteln Metzeschmelz und „Rout Lëns“ respektive auf den Galgenberg hätte werden können. Die Brücke hätte als Wahrzeichen der Stadt weiterleben können, so Nathan.  

Minister in China sind Ingenieure, Minister bei uns Juristen

François Valentiny, Architekt

Die Sicht des Bauunternehmers

„Mir si Partner vum Patrimoine, keng Géigner“, stellte Bauunternehmer Roland Kuhn gleich zu Beginn klar, um alsdann anzufügen: „Aber wir haben eine riesige Baukrise momentan, der ganze private Sektor ist weggebrochen.“ Von den 60.000 Arbeitsplätzen im Sektor seien seit der Pandemie schon 3.000 verloren gegangen, so Kuhn. Und ohne Handwerk gehe nichts. Für ihn sind die Prozeduren die Wurzel des Übels, vergingen doch nicht selten 15 Jahre „von der Wiese bis Baubeginn“. „Wir brauchen weniger Reglementierung, aber auch gesunden Menschenverstand“, so Kuhn.

Bei den 2020 dem Erdboden gleichgemachten, geschichtlich bedeutsamen „Keeseminnen“ der früheren Brasseur-Schmelz zeigt sich eine große Schwäche des neuen Denkmalschutzgesetzes von 2022, fügt der im Publikum sitzende Historiker Denis Scuto später an. Da gebe es die Klausel der „Authentizität“, die ein schützenswertes Gebäude vorweisen müsse. „Es ist nun mal so, dass in der Industrie permanent Veränderungen an den Gebäuden durchgeführt wurden“, sagt Scuto. Seine Schlussfolgerung: Die Authentizitätsklausel sei hochproblematisch, da der Originalzustand so gut wie nirgends zu finden sei. Eine Gummiparagraf demnach, der Schlupflöcher biete.

Dem widerspricht Patrick Sanavia, Direktor der INPA, der Nachfolgebehörde der „Site et monuments“. Andere Kriterien könnten die Authentizitätsklausel aufheben, so Sanavia, der das Denkmalschutzgesetz von 2022 als „Code du patrimoine“ bezeichnet. Durch das Gesetz habe man nun den „Knüppel in der Tasche“. Man hat ihn gegenüber den Bauherren noch „nicht herausnehmen müssen, aber manchmal hilft es auch, ihn einfach zu zeigen“.

Patrick Sanavia, Direktor der Denkmalschutzbehörde INPA
Patrick Sanavia, Direktor der Denkmalschutzbehörde INPA Foto: Editpress/Hervé Montaigu

25 bis 30 Jahre für die Inventur der INPA

Das Denkmalschutzgesetz basiert in erster Linie auf der Inventur aller schützenswerten Gebäude im Land. „Eine extreme Arbeit“, wie er sagt. Als Beweis zeigt er das Buch zur Inventur in der Gemeinde Helperknapp. Der Schmöker hat 700 Seiten, geschützt sind 163 Objekte. Insgesamt sind das — Stand heute – landesweit 2.463 Gebäude. 25 bis 30 Jahre (!) dauert es laut INPA-Direktor, das gesamte Land zu inventarisieren. Bis heute fertig sind die Inventuren von Fels, Fischbach und Mersch, während Lintgen, Kehlen und Lorentzweiler abgeschlossen, aber noch in der administrativen Prozedur sind.  

Das Problem ist die Politik, meint dagegen Architekt François Valentiny. „Die Gesellschaft hat keinen Weg für die Zukunft und die Politik keine Idee für die Gesellschaft“, sagt er. Die Politik reagiere nur, schaffe aber nicht. Nicht nur in Luxemburg, sondern in ganz Europa. „Minister in China sind Ingenieure, Minister bei uns Juristen“, sagt Valentiny. Während Europa sich also auf Gesetze konzentriert, handeln andere Länder wie die Chinesen pragmatisch. Ob das auch für den Denkmalschutz gilt, sei einmal dahingestellt. Philippe Nathan sieht das ähnlich und bricht die Problematik zum Abschluss auf Luxemburg herunter: „Wir haben so viel Geld, aber keine Vision, wo wir hinwollen. Das ist traurig.“ Daisy Wagner spricht von einem Spannungsfeld zwischen Erhalt und Neuschaffung: „Aber ‚Patrimoine‘ ist eine enorme Chance, keine Bremse.“

Weil das so ist, hat die Stadt Esch aus dem Archiv-Dienst eine eigene Abteilung gemacht, das „Département du patrimoine historique et industriel“. Fünf Mitarbeiter, darunter zwei Historiker, kümmern sich um alles, was mit der Geschichte der Stadt zu tun hat: Weniger um Denkmalschutz im Sinne des Wortes, sondern vielmehr um den Erhalt aller Elemente, die diese Geschichte erzählen.

Das erste Symposium „Architecture & Patrimoine“ fand in der Kulturfabrik statt 
Das erste Symposium „Architecture & Patrimoine“ fand in der Kulturfabrik statt  Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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