Kultur in der PandemieApokalypse Later: Die Kinos in Luxemburg kämpfen sich durch die Krise

Kultur in der Pandemie / Apokalypse Later: Die Kinos in Luxemburg kämpfen sich durch die Krise
Da bleibt nicht viel übrig: Kinos können derzeit nicht ausgelastet werden, wie hier symbolisch dargestellt Foto: dpa/Julian Stratenschulte

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Prinzipiell ist die „siebte Kunst“ in Luxemburg ziemlich gut aufgestellt: Jede Menge Akteure, von großen Kommerztempeln bis hin zu intimen Programmkinos, versorgen auf gut mehr als zwei Dutzend Leinwänden mit krachigen Blockbustern, engagiertem Arthouse und Klassikern aus der Urzeit des Kinos. Und im Gegensatz zu den Nachbarländern ist in Luxemburg der Betrieb von Kinos seit Januar sogar wieder erlaubt – mit gewissen Einschränkungen natürlich. Aber haben die Menschen derzeit überhaupt das Verlangen, sich mit anderen in einen geschlossenen Raum zu setzen, mit Maske, aber ohne Popcorn? Und was können sie da eigentlich erwarten? Das Tageblatt hat sich bei den Kinobetreibern umgehört.

Die aktuellen Regeln

Derzeit müssen in den Kinos Masken getragen werden, auch während des Films. Personen, die nicht zu einem Haushalt gehören, müssen dabei zwei Meter Abstand zueinander halten. Und Essen und Trinken ist nicht erlaubt.

„Im Moment schaffen wir lediglich eine maximale Auslastung von 20 bis 30 Prozent“, erklärt Pit Marmann, Koordinator des CDAC („Centre de diffusion et d’animation cinématographique“). Der Verein besorgt zentral die Filme für acht Kinos – an denen die Pandemie nicht spurlos vorbeigeht: Das Zuschaueraufkommen sei fast um 75 Prozent eingebrochen, erklärt Marmann. Widrigkeiten gebe es aber nicht nur hinsichtlich des Betriebs vor der Leinwand, sondern auch bei der Frage, was man darauf überhaupt projiziert: Schließlich haben viele Studios ihre Veröffentlichungen deutlich eingeschränkt, indem sie stehende Starttermine verschieben oder die Filme gleich ganz zurückhalten – anstatt sie auf einen Markt zu geben, der weltweit gerade ziemlich unsicher ist.

„Die US-Blockbuster und auch deutsche Produktionen fehlen uns jedenfalls sehr“, stellt Marmann fest – und ärgert sich, dass die Studios auch immer öfters versuchen, die Kinos aus der Verwertungskette nehmen. So veröffentlichte Disney außerhalb Chinas etwa das Remake von „Mulan“, eigentlich ein Hoffnungsträger der Kinos für den Sommer 2020, einfach direkt auf dem eigenen Streamingdienst DisneyPlus. Und „Neues aus der Welt“ mit Tom Hanks, für Marmann „ein Western, der einfach auf die große Leinwand gehört“, läuft längst bei Netflix. Weiteres Beispiel: Ob „Wonderwoman 1984“ noch groß im Kino abräumen kann, muss sich auch noch zeigen: Die Comic-Adaption läuft seit Januar bei Sky.

Schlechte Nachrichten: Sogar ein Film wie „News of the World“ mit Tom Hanks und „Systemsprengerin“ Helena Zengel kommt gar nicht erst ins Kino …
Schlechte Nachrichten: Sogar ein Film wie „News of the World“ mit Tom Hanks und „Systemsprengerin“ Helena Zengel kommt gar nicht erst ins Kino … Foto: Screenshot

Immerhin hätten kleinere Produktionen, die sonst vielleicht eher untergegangen wären, vergleichsweise gute Resonanz gehabt, etwa die Feel-Good-Comedy „Singing Club“. Generell gingen Filme für die ganze Familie auffallend gut. Kino ist auch derzeit eine der wenigen Freizeitattraktionen, die man gemeinsam erleben kann. (Die Betreiber freut das auch, weil ja im Saal die Familienmitglieder beieinander sitzen dürfen.) 

Ob die Situation kleineren Produktionen abseits der Blockbuster einen langfristigen Vorteil verschaffen kann, bezweifelt Marmann aber: „Nicht nur Filme der Majors, sondern auch die der mittelgroßen Studios werden immer weiter nach hinten gerückt.“ Und wenn es wieder richtig losgeht, befürchtet der CDAC-Mann, ist der Markt plötzlich mit Filmen übersättigt, die sich gegenseitig die Schau stehlen.

Auch die glitzernden Filmtempel der Kinepolis-Gruppe, die in Europa 56 Kinos betreibt und die in Luxemburg zum Beispiel in Belval und auf Kirchberg vertreten ist, mussten sich an die Gegebenheiten in allen Bereichen anpassen. Manager Christophe Eyssartier lässt trotzdem Zufriedenheit und Zuversicht durchblicken: Die zwei Schließungen vom 13. März 2020 bis zum 16. Juni sowie vom 25. November bis zum 12. Januar 2021 habe man genutzt, um die Infrastruktur an die Maßnahmen anzupassen – und jetzt sei man „überzeugt, dass ein Kinobesuch kein größeres Risiko für die Besucher darstellt“. Und ein paar namhafte Produktionen habe es ja doch noch gegeben: Die drei meistgeschauten Filme seit der Wiederöffnung im Januar waren bei Kinopolis die Roald-Dahl-Verfilmung „Hexen Hexen“, der Animationsspaß „The Big Trip“ und der Action-Kracher „The Honest Thief“ mit Liam Neeson.

Lizenz zum Warten: Der nächste Bond „No Time to Die“ wurde immer wieder verschoben – und soll jetzt am 8. Oktober starten
Lizenz zum Warten: Der nächste Bond „No Time to Die“ wurde immer wieder verschoben – und soll jetzt am 8. Oktober starten Foto: EON Studios

Der US-Kinomarkt sei für die großen Studios der Wichtigste – was erkläre, warum viele Filmerscheinungen verschoben wurden, auch wenn die Kinos in Europa im vergangenen Sommer verbreitet geöffnet waren. „Die unabhängigen Verleiher, mit denen wir arbeiten, sind aber hauptsächlich europäisch“, erklärt Eyssartier. Die hätten sich einen größeren Marktanteil sichern können, weil sie ihre Ankündigungen eingehalten hätten, wenn auch angepasst. Ein „mutiger“ Release sei der verwinkelte Zeitreise-Science-Fiction „Tenet“ von Christopher Nolan gewesen: „Entgegen aller Erwartungen haben wir gute Besucherzahlen mit diesem Film erzielt, dennoch finde ich, dass er noch bessere Zahlen verdient hätte.“

Aktuell freut sich Eyssartier, dass das LuxFilmFest noch bis zum 14. März stattfinden kann: „Ich hoffe, dass diese 11. Edition des Festivals auch den Beginn einer Rückkehr zur Normalität für alle betroffenen Sektoren ankündigt, vor allem des Kultursektors natürlich.“

Für die Hilfen, die der Sektor bislang erfahren habe, sei man „sehr dankbar“: Seit Beginn der Krise habe man im Kulturministerium und seinen Abteilungen ein offenes Ohr gefunden. Dass der Kultursektor in Luxemburg vergleichsweise früh wieder öffnen durfte, ist für Manager Eyssartier Beleg, dass dieser „von den Autoritäten als sehr wichtig eingestuft und als solcher behandelt wurde“.

Raymond Massard
Raymond Massard Foto: Editpress-Archiv

Bei Raymond Massard ist die Begeisterung in dieser Hinsicht etwas gedämpfter: Der Präsident des Vereins „Images animées“ mit den Kinos „Wasserhaus“ in Bad Mondorf (54 reguläre Plätze) und „Kursaal“ in Rümelingen (123 Plätze) findet die bisherigen Hilfen unzureichend: „Außer der Kurzarbeit für unsere Mitarbeiter haben wir bislang nichts erhalten – weil wir keine kommerziellen Betriebe sind, stehen uns auch keine der Mittelstandshilfen zu.“ Von denen mögen die Großen vielleicht profitieren, aber allgemein habe er „im Moment nicht das Gefühl, dass man sich im Kulturministerium der Probleme der Kinos bewusst ist“.

Einige der Maßnahmen haben nicht nur finanziell unschöne Folgen: „Wir dürfen ja keine Snacks und Getränke mehr verkaufen, was für die Leute aber zum Kino dazugehört.“ Folge: Manche Zuschauer schmuggeln sich entsprechendes ins Kino – und nehmen zum Verzehr natürlich die Masken ab. „Wir wollen eigentlich nicht gegenüber unseren Gästen Polizei spielen, das ist schon ein bisschen unangenehm.“ Trotzdem stehe man natürlich voll hinter den Maßnahmen: „Die Situation ist nun mal, wie sie ist.“

Gilt nicht als Kino, sondern Horeca-Betrieb und ist darum derzeit geschlossen: der „Ancien Cinéma Café Club“ in Vianden
Gilt nicht als Kino, sondern Horeca-Betrieb und ist darum derzeit geschlossen: der „Ancien Cinéma Café Club“ in Vianden Foto: Editpress

Ein Kino, in dem man das Essen besonders vermissen würde, ist der „Ancien Cinéma Café Club“ in Vianden: Das Kulturzentrum, in dem man normalerweise ein- bis zweimal die Woche frisch bekocht alte Filmklassiker schauen konnte, wird aber dem Horeca-Sektor zugerechnet, weswegen nicht nur die Küche kalt bleibt, sondern derzeit auch die Leinwand komplett dunkel. Manager Maciej Karczewski verströmt am Telefon trotzdem Zuversicht: Letztes Jahr habe man doch noch 70 Events (Film, Musik, Kunst) veranstalten können – immerhin halb so viel wie in normalen Jahren. Und sobald es wieder möglich ist, will man unter anderem mit einer Reihe von Stanislaw-Lem-Verfilmungen durchstarten, was auch eine erneute Teilnahme am „CinEast Film Festival“ darstellen wird. Auch eine Aufführungsreihe zum 150. Jahrestag von Victor Hugos Aufenthalt in Vianden steht auf dem Plan.

Alter Monsterfilm zu Livemusik im „Ancien Cinéma Café Club“
Alter Monsterfilm zu Livemusik im „Ancien Cinéma Café Club“ Foto: Maciej Karczewski

„Wir sind schonmal sehr froh, dass wir unseren derzeit zwei Angestellten ihre normalen Löhne weiterzahlen können“, freut sich Karczewski über die Möglichkeit der Kurzarbeit – obwohl auch er eher den Eindruck habe, dass es im ersten Lockdown mehr Hilfe gab vonseiten des Staates.

Die städtische Cinémathèque in Luxemburg hat längst wieder geöffnet – und erfreut sich reger Beliebtheit: „Unsere Vorstellungen sind größtenteils bereits im Voraus ausverkauft. Dies ist für uns ein Beleg dafür, dass das kollektive Kinoerlebnis vor großer Leinwand weiterhin die attraktivste Art bleibt, Film zu sehen“, erklärt die Koordinatorin Catherine Krettels. 

In der „Cinémathèque“ werde Filme nicht nur gezeigt, sondern auch archiviert, diskutiert und erforscht
In der „Cinémathèque“ werde Filme nicht nur gezeigt, sondern auch archiviert, diskutiert und erforscht Foto: Editpress

Derart erfolgreich seien etwa Retrospektiven gewesen, wie eine Reihe über die Marx Brothers, Filme rund um die Berliner Schule oder der monatliche „Termin des Dokumentarfilms“. Am Theaterplatz wird sich aber natürlich auch abseits der Leinwand um den Film gekümmert, etwa durch Archivarbeit oder das Abhalten von Konferenzen. 

Im Pandemiejahr 2020 probierte man dann auch Neues aus: Das seit mehr als 20 Jahren etablierte Freiluftkino wurde den aktuellen Gegebenheiten angepasst: Von Mitte Juli bis August gab es das „Kino um Glacis“ als „Drive & Walk-in“ im Herzen der Stadt: Gezeigt wurden 16 Filme, die man vom Auto oder einer Lounge aus genießen konnte. Alle Vorstellungen seien restlos ausverkauft gewesen, bilanziert die Koordinatorin.

Open-Air- und Autokinos haben ja generell 2020 ihr Revival gefeiert: Unter anderem kam man so in Belval, Petingen, Mamer und Echternach zum Filmgenuss.

Die Kulturfabrik in Esch plant zwar kein Autokino, dafür wäre vor Ort jedenfalls nicht genug Platz, hat aber doch ein bisschen was vor, um das bewegte Bild wieder zum Leben zu erwecken – auch wenn die Leinwand derzeit dunkel bleibt: In der rue de Luxembourg sah man keinen Sinn darin, sich auf die Pandemieregeln einzustellen: „In unserem Saal mit 75 Plätzen hätten nachher wahrscheinlich nur so wenige Leute reingepasst, dass wir lieber ins Stand-by gegangen sind“, erklärt Jérôme Netgen, der das Kino im kommunalen Kulturzentrum betreut: Zwei- bis dreimal die Woche gab es Autorenfilme – und spezielle Vorstellungen für Senioren sowie für geistig beeinträchtigte Menschen. „Das haben wir natürlich sofort gestrichen, schließlich waren das zwei besonders vulnerable Gruppen.“ Auch Pläne, ein reguläres Kino mit mehr Plätzen zu installieren, seien erst mal der Pandemie zum Opfer gefallen. „Das gehen wir erst nach dem Kulturjahr wieder an“, sagt Netgen – und versichert, dass man viele Ideen habe.

Fortsetzung folgt: Die Kulturfabrik in Esch hat den „Pause“-Knopf gedrückt
Fortsetzung folgt: Die Kulturfabrik in Esch hat den „Pause“-Knopf gedrückt Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Die betreffen aber nicht nur die absehbare Wiederholung der Aktivitäten aus dem vergangenen Jahr, als man aus der Not eine Tugend gemacht hatte und viele Aktivitäten in den Innenhof verlagerte. Um ein Kino-Lebenszeichen zu geben und „damit das treue Stammpublikum uns nicht vergisst“, sind für Ende März im großen Saal doch wieder einige Filme angesetzt – wobei die Auswahl mit etwas Galgenhumor getroffen wurde: Gezeigt werden zur Erbauung in anstrengenden Zeiten nämlich keine Feel-Good-Filme, sondern grimmige Zukunftsvisionen, gegen die eine Corona-Pandemie wie ein Spaziergang wirkt: In „Snowpiercer“ rast der letzte Rest Menschheit in einem Zug mit strenger Klassenteilung immer wieder um die vereiste Erde, in „Mad Max“ herrscht nach der Apokalypse das raue Gesetz der Straße – und in „Soylent Green“ verspeisen sich die Menschen in kleinen Portionen unwissentlich gegenseitig. Passende Snacks dürfte es dazu aber nicht geben.

Hilfen für die Kino-Kultur

Auf Anfrage des Tageblatt erklärt ein Sprecher des Kulturministeriums, man habe sich dort „seit Anfang der Pandemie für einen offenen Kulturbetrieb eingesetzt, soweit die sanitären Bedingungen dies zuließen“. Immerhin sei Luxemburg zurzeit eines der wenigen EU-Länder, wo Kinobetrieb überhaupt möglich sei. Man verweist auf ein Fünf-Millionen-Euro-Hilfspaket im Zuge von „Neistart Lëtzebuerg“, wovon „ein wesentlicher Teil für finanzielle Einbußen im Zuge der Pandemie vorgesehen“ gewesen sei. Hilfe sei allen kulturellen Einrichtungen in Form einer ASBL zugänglich gewesen, auch Kinobetreibern – und für kommerzielle Unternehmen gebe es ohnehin eine Reihe Hilfen, um etwa entgangene Umsätze erstattet zu bekommen.