StandpunktAfghanistans Mädchen und Frauen setzen sich zur Wehr

Standpunkt / Afghanistans Mädchen und Frauen setzen sich zur Wehr
In Afghanistan schließen sich immer mehr Frauen den Protesten an. Sie fordern ein Recht auf Bildung und den Zugang zu Schulen und Universitäten. Foto: AFP

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Tausende Frauen und Mädchen gehen derzeit in den Städten Afghanistans auf die Straße, um dagegen zu demonstrieren, dass ihr Recht auf Bildung wieder und wieder verletzt wird. Auslöser der Proteste – die mit den Protesten im Iran zeitlich zusammenfallen – war ein Terrorangriff auf ein Bildungszentrum in Kabul letzten Monat, bei dem 53 Lernende getötet und über 110 verletzt wurden – die meisten davon Mädchen und junge Frauen. Dies war jedoch nur der letzte einer langen Reihe von Angriffen gegen Schülerinnen und oft gezielt gegen Schülerinnen aus der Bevölkerungsgruppe der Hazara.

* Zu den Autoren

Gordon Brown, früherer Premierminister und Finanzminister des Vereinigten Königreichs, ist Sondergesandter der Vereinten Nationen für Globale Bildung, Vorsitzender des hochrangigen Lenkungsausschusses von Education Cannot Wait und Vorsitzender der Internationalen Kommission zur Finanzierung globaler Bildungschancen.

Yasmine Sherif ist Direktorin von Education Cannot Wait.

Die tödliche Attacke im September, die erfolgte, als sich die Schülerinnen auf eine praktische Zulassungsprüfung für die Universität vorbereiteten, krönte ein sowieso schon verheerendes Jahr für die Mädchenbildung in Afghanistan.

Als die Taliban nach dem Rückzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan im August 2021 die Macht übernahmen, versprachen ihre Anführer, sämtliche Schulen und höhere Bildungseinrichtungen für Jungen und Mädchen offen zu lassen. Dieses Versprechen haben sie bald gebrochen. Im März dieses Jahres wurde es Mädchen verboten, ihre Schulausbildung nach der sechsten Klasse fortzusetzen, wodurch ihnen praktisch das Recht auf Bildung entzogen wurde.

Als Frauen in Kabul und anderen Städten gegen das Verbot demonstrierten, antworteten die Taliban mit Gewalt. Die Demonstrantinnen wurden geschlagen und mit Warnschüssen über ihre Köpfe eingeschüchtert. Die meisten der 1.800 weiterführenden Mädchenschulen in Afghanistan sind derzeit geschlossen und die Taliban drohen damit, die letzten noch aktiven Schulen ebenfalls zu schließen.

Extremer Druck

Gleichzeitig ist die Situation der afghanischen Mädchen und Frauen angesichts der zunehmenden Gewalt, einer schweren Dürre und einer Reihe wirtschaftlicher Schocks so schlecht wie lange nicht. Aufgrund dieser Entwicklungen sind die Rechte von Frauen unter extremen Druck geraten, wie auch die steigenden Zahlen der Kinderehen und Kinderarbeit seit der Machtübernahme der Taliban zeigen.

Das Verbot jeder weiterführenden Bildung für Mädchen durch die Taliban ist auch deshalb so tragisch, weil es die Erfolge von zwei Jahrzehnten zunichtemacht, in denen sich der Zugang von Mädchen zu Bildung in Afghanistan stark verbessert hatte. Die Anzahl der afghanischen Mädchen, die eine Schule besuchen, war von nur 100.000 im Jahr 2000 auf über 3,5 Millionen im Jahr 2019 gestiegen, und die Alphabetisierungsquote von Frauen hatte sich zwischen 2011 und 2018 verdoppelt. Aber obwohl der Fonds Education Cannot Wait und seine Partner, zu denen Unicef, der norwegische Flüchtlingsrat und Save the Children gehören, weiterhin alles versuchen, um möglichst viele dieser Mädchen zu erreichen, hat das Verbot der Taliban zweifelsohne wesentlich mehr gezwungen, die Schule zu verlassen.

Wir müssen dem Beispiel der afghanischen Frauen und Mädchen folgen, die zurzeit auf den Straßen demonstrieren und unter Einsatz ihres Lebens um ihre Grundrechte kämpfen, und sofort handeln. Zunächst müssen die Mitglieder der Organisation für Islamische Zusammenarbeit ihre Plattform nutzen und die De-facto-Behörden in Afghanistan auffordern zu gewährleisten, dass Mädchen in ihre weiterführenden Schulen zurückkehren können und Bildungseinrichtungen, Lehrer und Schüler, und insbesondere Schülerinnen, vor Angriffen geschützt werden. Außerdem muss jedes Mädchen die Chance bekommen, eine Schule zu besuchen, die über die für eine hochwertige Bildung nötigen Lehrkräfte, Infrastruktur und Ausstattung verfügt.

Angesichts der verheerenden wirtschaftlichen und humanitären Lage in Afghanistan muss die internationale Gemeinschaft dafür sorgen, dass die Schulen mit genug Ressourcen ausgestattet sind, um allen Mädchen und Jungen, einschließlich derer mit einer Behinderung, einen sicheren Ort und eine hochwertige Bildung zu bieten. Des Weiteren müssen wir afghanische Lehrkräfte die Ausbildung und Materialien bereitstellen, die sie brauchen, um ihre Schüler zu unterrichten.

Alternative Angebote

In einem so von Kriegen und Naturkatastrophen verheerten Land wie Afghanistan müssen wir außerdem gewährleisten, dass alle Mädchen und Jungen Zugang zu psychologischen und psychosozialen Hilfsangeboten erhalten. Und für Mädchen und Jungen, die keine staatlichen Schulen besuchen können, müssen wir alternative Lernangebote entwickeln.

Der Fonds Education Cannot Wait hat seit 2017 über 58 Millionen US-Dollar in das afghanische Bildungswesen investiert, teils in Form von Nothilfen und teils über ein 2019 eingeführtes mehrjähriges Programm zum Resilienzaufbau. Dank der engagierten Arbeit unserer Partner vor Ort haben diese Finanzhilfen 51 Prozent aller afghanischen Schülerinnen und insgesamt über 181.000 Mädchen und Jungen erreicht. In Kürze werden wir das nächste mehrjährige Programm starten, mit dem wir auch Mädchen und Jungen in besonders abgelegenen und schwer zu erreichenden Gebieten den Zugang zu einer ortsnahen Bildung ermöglichen wollen.

Wir müssen jedoch noch viel mehr tun. Die Frauen und Mädchen in Afghanistan kämpfen trotz brutaler Angriffe für ihre Rechte und sie bitten uns um Hilfe. Wir alle stehen in der Pflicht, ihrer Bitte zu folgen.

Copyright: Project Syndicate, 2022. www.project-syndicate.org