Denis Scheck bei der LiteraTour in Bettemburg„Ärger mit dem Sparbuch“

Denis Scheck bei der LiteraTour in Bettemburg / „Ärger mit dem Sparbuch“
Denis Scheck: „Sie sollten mich mal sehen, mit welchen Grimassen ich mir im Auto eine in gendergerechter Sprache moderierte Kultursendung anhöre“ Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Zu den Highlights der Bettemburger „LiteraTour“ gehörte der Besuch von Denis Scheck am vergangenen Sonntag. Nur einen Literaturkritiker in ihm zu sehen, wäre zu kurz gegriffen. Sein Talent, das der 56-Jährige hauptsächlich in seinen TV-Sendungen „Lesenswert“ und „Druckfrisch“ regelmäßig zum Besten gibt, wird beim Liveauftritt noch deutlicher. Nämlich, auf charmante und kenntnisreiche Weise Lust am Buch und am Lesen zu erwecken.

Beim Zuhören wächst der Appetit. Auf Bücher und Lesen. Auf Geschichten und Geschichte. Und auf die Art und Weise, wie Denis Scheck die Werke mehr oder weniger bekannter Frauen und Männer schmackhaft macht. Zum Reinbeißen. Denis Scheck aber einfach nur einen, zumindest im deutschen Sprachraum, bestbekannten Literaturkritiker zu nennen, würde zu kurz greifen und seinem Talent nicht Genüge tun.

Denis Scheck, Jahrgang 1964, lebt in Köln. Dort begegnet er auch ab und an dem Luxemburger Schriftsteller Guy Helminger. Man darf Scheck durchaus als einen Botschafter des geschriebenen Wortes bezeichnen. Er fungiert als Vermittler, als „Go-Between“ zwischen Schreibenden und Lesenden. Und das macht er verdammt gut. Liebevoll. Voller Sachkenntnis, ohne besserwisserisch zu wirken. Unterhaltsam und verständlich, ohne ins Triviale abzurutschen. Wörter wie Sex und Erotik nimmt er unbefangen und offensichtlich gerne in den Mund, verhehlt nicht, dass ihm Comics, Kochbücher und Romane über Vampire gut gefallen und er lässt erkennen, dass die ganzen Gender- und Cancel-Culture-Diskussionen ihm nicht sonderlich behagen.

Mit seinen Ausführungen über Literatur zeigt er Zusammenhänge auf und zeichnet die Karte einer Landschaft, die man Lust hat zu erkunden. Denis Schecks Beschreibungen gehen ins Ohr, bleiben im Kopf. Sein Auftritt in Bettemburg, „endlich wieder unter Leuten“, wie Denis Scheck eingangs betonte, war ein 90-minütiger Ausflug in die Welt der deutschen wie internationalen Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt: spannend, informativ, witzig und unterhaltsam. Nie langweilig.

Am Ende der Veranstaltung, nachdem alle Bücher, die zu Beginn des Abends vor ihm standen, gelobt oder kritisiert, zur Seite gelegt sind, lehnt Denis Scheck sich zufrieden zurück und stellt sich, mit wachem Blick, den Fragen des Publikums.

In seinen Antworten sagt er unter anderem, dass er die Präsenz der Mundart in der bundesdeutschen Literatur etwas vermisse. Oder, dass er die Luxemburger Literatur leider nicht ausreichend genug kenne, um sich darüber in aller Öffentlichkeit äußern zu können und zu wollen. Und dass er stets auf einen Anruf von Steven Spielberg warte, der einen Film über einen Literaturkritiker in Deutschland machen möchte. Denis Scheck, der, wie er erzählt, selbst im Home-Office meistens Jacke und Krawatte trägt, um Arbeit und Freizeit zu unterscheiden, würde in einem solchen Film sicherlich eine gute Figur machen.

Wenn Bettemburg nächstes Jahr, pünktlich zur zehnten Auflage der „LiteraTour“,  das literarische Zentrum des Kulturereignisses Esch2022 bildet, wird Denis Scheck wieder mit dabei sein. Dann bereits zum vierten Mal. Nächstes Jahr auch ein wenig als Berater. Darauf darf man sich freuen. Und gespannt sein. Als Einstimmung empfiehlt sich unter anderem sein neustes Buch „Schecks Kanon: die 100 wichtigsten Werke der Weltliteratur von ‘Krieg und Frieden’ bis ‘Tim und Struppi’“.

Im Rahmen der Veranstaltung am Sonntag in Bettemburg hat sich Denis Scheck etwas Zeit für ein kurzes Gespräch mit dem Tageblatt genommen. So viel vorweg: Er arbeitet sieben Tage die Woche und wütend werden über ein schlechtes Buch, das kann er auch.

Tageblatt: Was bedeutet Ihnen das Lesen?

Denis Scheck: Lesen ist für mich die Möglichkeit, mehr als tausend Leben führen zu dürfen, ohne mehr als einen Tod sterben zu müssen. Gerade in Pandemiezeiten hat mich die Literatur über viele Einschränkungen hinwegzutrösten vermocht.

Haben Sie Zeit, um noch ins Kino zu gehen?

Früher oft, heute leider immer seltener. Aber ein Leben ohne Godard, Billy Wilder und Ernst Lubitsch wäre ein armes Leben.

Sind Sie enttäuscht von Buchadaptionen?

Oft. Aber manchmal auch positiv überrascht: etwa von Kubricks Adaption von Arthur C. Clarkes „2001“.

Was sind die Bücher Ihres Lebens?

Die wechseln häufig. Aber die Dramen Shakespeares, das Gesamtwerk Arno Schmidts und die Duck-Geschichten von Carl Barks in der Übersetzung von Erika Fuchs haben sich als Fixsterne erwiesen.

Wie viele Bücher haben Sie denn schätzungsweise gelesen – vergangenes Jahr?

Meist sind es so zwischen 150 und 180. Das klingt nach viel, aber ich mache das schließlich hauptberuflich. Meine Frau wird Ihnen gern bestätigen, dass ich sonst keinen Handschlag mache.

Wie hat diese „Karriere“ begonnen?

Am Anfang stand eine Affenliebe, wie man sie nur als Kind entwickeln kann, zu Science-Fiction, Fantasy und Horror. Mit 13 gründete ich dann eine literarische Agentur zur Vermittlung von Lizenzen und Titelbildmotiven an deutschsprachige Verlage, und ein paar Monate darauf ging es mit dem literarischen Übersetzen los.

Wann/wie wurde die Berufung zum Buch ein Beruf?

Das stand eigentlich von Anfang an für mich fest. Nur dauerte es dann schon einige Jahre, auch den Rest der Welt zu überzeugen.

Nun machen Sie das, selbst bei einem Verriss, auf charmante Art und Weise, wie man in Ihren Sendungen „Lesenswert“ (SWR) und „Druckfrisch“ (ARD) sehen kann. Richtig wütend scheinen Sie nie?

Das täuscht. Die regelmäßig veranstalteten Scherbengerichte und Schwachsinnsdebatten des deutschsprachigen Kulturbetriebs können mich durchaus fuchsteufelswild machen. Und Sie sollten mich mal sehen, mit welchen Grimassen ich mir im Auto eine in gendergerechter Sprache moderierte Kultursendung anhöre.

Sie leben in Köln, sind Sie eine Frohnatur – die oft zitierte rheinische?

Wenn schon, dann bitteschön eine schwäbische. Meine gute Laune rührt von meiner Kindheitsliebe zur Astronomie. Die lehrt einen ziemlich unerbittlich, welche Bedeutung etwa Debatten um gendergerechte Sprache in diesem Universum zukommt.

Gibt es ein Buch, das Sie so richtig geärgert hat?

Eines? Am meisten ärgere ich mich über mein Sparbuch. Aber auch Werke von Sebastian Fitzek, Paulo Coelho oder Susanne Fröhlich bringen mich regelmäßig auf die Palme.

Eines, das Ihnen wirklich gut gefallen zu haben scheint, ist Benedict Wells’ neuer Roman „Hard Land“. „Sie haben einen unverschämt guten Roman geschrieben“, sagten Sie in Ihrer Sendung „Lesenswert“ am vergangenen Donnerstag. Warum? Was gefällt Ihnen besonders gut an dem Buch?

Ich finde es bemerkenswert, wie glaubwürdig Wells darin eine Coming-of-Age-Geschichte in einer Zeit und einem Land erzählt, die er selbst nicht aus eigener Anschauung kennen kann.

Was wäre die Steigerung dieses/Ihres Lobes?

Och, zu W.G. Sebald, Herta Müller oder Christoph Ransmayr ist da schon noch ein bissel Abstand.

Nun frage ich mich immer, wie Sie es fertigbringen, so viele Bücher zu lesen. Was ist das Geheimnis? Wie viel Zeit nimmt das in Anspruch?

Noch mal: Ich mache das hauptberuflich. Und in meiner Branche ist die Sieben-Tage-Woche üblich.

Erinnern Sie sich an alle Bücher, die Sie gelesen haben?

Zum Glück nicht.

Es ist Ihnen aber auch ein Bedürfnis gewesen, selber drei Bücher zu schreiben. Warum?

Ich habe wesentlich mehr Bücher geschrieben. Aber meine Motive waren immer dieselben: Geldgier, Ruhmsucht, Sendungsbewusstsein.

Wie viele Veranstaltungen wie die heute in Bettemburg haben Sie in normalen Zeiten?

Wir leben längst im neuen Normal, und da ist Bettemburg, wenn ich mich nicht irre, meine erste live vor Publikum in diesem Jahr. Früher waren es über hundert.

Bettemburgs Bürgermeister Laurent Zeimet sagt, selbst Leute, die nie ein Buch kaufen würden, kämen nach Ihrer Veranstaltung nicht daran vorbei. Woran liegt das?

Nicht zu lesen ist ja ein sehr unappetitlicher Charakterzug – etwa so, wie wenn man sich nicht die Zähne putzt. Das macht einfach unattraktiv.

Wie könnte man das Buch dem Menschen sonst näherbringen?

Ich plädiere seit langem dafür, die Einkommenssteuerprogression in Korrelation zu den jährlich gelesenen Büchern zu setzen. Sie glauben gar nicht, wie das die Lesemuffel auf Trab brächte. Wen man da plötzlich alles mit Goethe-Ausgaben im Zug träfe …

Denis Scheck

Denis Scheck wurde am 15. Dezember 1964 in Stuttgart geboren. Heute lebt er in Köln. Er ist ein deutscher Literaturkritiker, Übersetzer und Journalist in Hörfunk und Fernsehen. Seine bekanntesten Sendungen heißen „Lesenswert“ (SWR) und „Druckfrisch“ (ARD).