Radfahren in Luxemburg (2)Acht Thesen, acht Antworten: Beliebte Vorurteile gegenüber dem Rad

Radfahren in Luxemburg (2) / Acht Thesen, acht Antworten: Beliebte Vorurteile gegenüber dem Rad
 Foto: Editpress/Tania Feller

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Das Fahrrad boomt und spielt eine Schlüsselrolle bei der Verkehrswende. Warum aber tut sich Luxemburg beim Schaffen einer modernen Radinfrastruktur so schwer? Dieser Frage ist das Tageblatt nachgegangen. Es entstand eine neunteilige Serie, die mit den Zielen der Fahrradpolitik im nationalen Mobilitätsplan 2035 begann. Im zweiten Teil bezieht das Mobilitätsministerium Stellung zu acht beliebten Vorurteilen.  

 Serienlogo: Tageblatt

1. Nicht jeder Mensch ist körperlich fit genug, um Fahrrad zu fahren!

Es stimmt, dass nicht alle Menschen körperlich dazu in der Lage sind, Fahrrad zu fahren. Jedoch wurde beispielsweise noch nie auf den Bau weiterer Straßen verzichtet, obwohl das Autofahren ausschließlich den Führerscheinbesitzern vorbehalten ist und de facto einen größeren Teil der Bevölkerung ausschließt als das Radfahren. Außerdem ist das Radfahren nachweislich gesundheitsfördernd. Genauso wie das Vorhandensein einer Straße oder einer Buslinie niemanden dazu zwingen soll, Auto oder Bus zu fahren, zwingt auch kein Radwegeprojekt jemanden dazu, Rad zu fahren. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, den 56% der Gesamtbevölkerung, die 2020 mit dem Rad gefahren sind (MMTP & TNS-Ilres, 2020), zu ermöglichen, dies im Alltag auch vermehrt und sicherer zu tun. 

2. Man kann mit dem Fahrrad nicht einkaufen fahren!

Stimmt so nicht, denn ein Großteil aller Einkäufe des täglichen Bedarfs kann mit einfachen Radtaschen, einem Korb an Lenker oder Gepäckträger oder Rucksäcken o.ä. mit dem Rad erledigt werden. Das Einkaufsverhalten ist dann allerdings anders als mit dem Auto: Anstelle eines wöchentlichen Großeinkaufs wird eher mehrmals pro Woche in der näheren Umgebung eingekauft. Lastenradverleih- oder Carsharing-Systeme sowie Lieferdienste erlauben es hingegen, auch die – eher sporadischen – schweren oder sperrigen Besorgungen zu erledigen, ohne zwingend ein eigenes Auto zu besitzen.

3. In Luxemburg wohnen viele Menschen auf dem Dorf und können nicht mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren!

73% aller Arbeitswege der Einwohner sind kürzer als 15 km, während 49% gar kürzer als 5 km sind (Luxmobil 2017). Außerdem verfügt Luxemburg über ein nicht zu vernachlässigendes „Bike & Ride“-Potenzial, also die Möglichkeit, das Radfahren mit dem öffentlichen Verkehr zu kombinieren: 60% der Bevölkerung außerhalb der Stadt Luxemburg wohnen weniger als 2,5 km (also 10 Minuten mit dem Rad) von einer CFL-Haltestelle entfernt, von wo aus sie einen Großteil der Arbeitsplätze in Luxemburg kostenlos erreichen können. Hinzu kommt, dass 99,5% aller Einwohner weniger als einen Kilometer von einer Bushaltestelle entfernt wohnen.  Wenn man diese Faktoren betrachtet, wird klar, dass das Potenzial des Radverkehrs nicht durch die Distanz der Arbeitswege selbst, sondern durch die noch fehlenden Radverkehrsanlagen eingeschränkt ist. Würde auch nur ein Teil dieses Potenzials ausgeschöpft, so würde dies den Straßenverkehr für diejenigen wesentlich entlasten, die trotzdem mit dem Privatauto zur Arbeit fahren müssen.

4. Fahrradfahren ist zu gefährlich!

Die Frage der Sicherheit und des damit einhergehenden Gefahrenpotenzials eines Verkehrsmittels ist sehr vielschichtig und eigentlich nicht in einigen Sätzen zusammenzufassen. Es gilt im Grundsatz zwischen „objektiver“ Gefahr bzw. Sicherheit (Anzahl an Unfällen, Verletzten, Todesfälle) und „subjektiver“ Gefahr bzw. Sicherheit (persönliches Empfinden) zu unterscheiden. Ein einfaches Beispiel: Viele Menschen empfinden das Fliegen als gefährlich und Flugzeugabstürze werden stark mediatisiert. Dabei ist die Unfallgefahr statistisch gesehen viel größer bei der täglichen Fahrt zur Arbeit mit dem Auto. Allgemein wird es aber anders empfunden.

Auf das Radfahren bezogen heißt das, dass es zum einen natürlich entscheidend ist, die tatsächlich gefährlichen Situationen zu entschärfen und zu verhindern, zum anderen aber auch, dass am allgemeinen Sicherheitsbild des Radfahrens gearbeitet werden muss. Vereinfacht gesagt gilt also: Nicht das Fahrradfahren als tägliches Fortbewegungsmittel an sich ist gefährlich. Das Fehlen von adäquater Infrastruktur kann allerdings zu gefährlichen Situationen führen oder zumindest das Sicherheitsgefühl so stark beeinträchtigen, dass viele Leute das Radfahren weitestgehend meiden. Ein durchgängiges, komfortables sowie sicheres Radwegenetz, über das Radfahrer ohne starken Mischverkehr mit Fußgängern oder Kraftfahrzeugen alle Ziele erreichen können, ist daher unabdinglich, damit sowohl die objektive als auch die subjektive Gefahr maximal reduziert werden kann.

5. Fahrradfahrer halten sich nicht an die Regeln!

Genauso wie man nicht pauschal behaupten kann, dass Autofahrer sich nicht an die Regeln halten, kann man dies auch nicht von den Fahrradfahrern behaupten. Leider gibt es bei allen Verkehrsmitteln Menschen, die sich nicht an Regeln halten. Je nach Mobilitätsart sind die Verstöße allerdings anders und fallen den anderen Verkehrsteilnehmern entsprechend anders auf: Geschwindigkeitsübertretungen, zu nahes Überholen oder zugeparkte Radwege fallen einem Radfahrer eher auf als einem Autofahrer. Umgekehrt fallen einem Autofahrer bei Rot fahrende Radfahrer oder den Fußgängern auf Gehwegen fahrende Radfahrer eher auf. Dies sagt aber nichts über ein allgemeines Fehlverhalten einer bestimmter Art Verkehrsteilnehmer aus. Erhebungen aus Kopenhagen zeigen, dass wenn die Infrastruktur und Wegeführung qualitativ hochwertig ist, Fahrradfahrer nicht häufiger gegen Regeln verstoßen als andere Verkehrsteilnehmer. Häufige, immer gleiche Verstöße gegen Verkehrsregeln können daher ein Hinweis auf eine unzureichende Infrastruktur sein. 

6. Radwege nehmen den Autofahrern Platz weg!

Während rund 60 Jahren wurden die Straßen ausschließlich für den motorisierten Verkehr (um)gebaut. Durch diese autozentristische Planung ist der Straßenraum heute fast ausschließlich dem fahrenden und ruhenden Autoverkehr vorbehalten. Wenn die heutige Situation als eine gerechte Aufteilung des Straßenraumes empfunden wird, dann ist die Aussage zumindest zum Teil wahr. Man kann aber auch den Standpunkt vertreten, dass der öffentliche Raum überproportional dem motorisierten Verkehr vorbehalten wird und es einer neuen Aufteilung des öffentlichen Raums bedarf, welche die Bedürfnisse aller anderen Verkehrsteilnehmer bestmöglich berücksichtigt. Trotz alledem ist aber hervorzuheben, dass in den allerwenigsten Fällen Radverkehrsanlagen tatsächlich dem motorisierten Verkehr Platz wegnehmen. Meistens sind, wenn überhaupt, Parkplätze betroffen, für die es meistens nicht weit entfernte Alternativen gibt, wie z.B. auf privaten Grundstücken oder in öffentlichen Parkhäusern.

7. Fahrradfahrer müssten Nummernschilder haben und Fahrzeugsteuern bezahlen!

Die Straßeninfrastruktur und -nutzung werden nicht direkt über die Fahrzeugsteuern (und auch nicht über die Steuern auf Kraftstoffe) finanziert, sondern über das allgemeine Budget des Staates. Fahrradfahrer beteiligen sich also bereits über andere Steuern an den Kosten der Infrastrukturen, also auch an Autobahnprojekten, die gar nicht mit einem Fahrrad benutzt werden können. Viele Radfahrer, in Luxemburg wahrscheinlich die meisten, besitzen ebenfalls ein Auto. Sie bezahlen also auch Fahrzeugsteuern unabhängig davon, ob sie im Alltag eher auf das Rad oder auf das Auto zurückgreifen. Zusätzlich ist die Fahrzeugsteuer in ihrem Grundsatz abhängig von der Umweltbelastung des entsprechenden Fahrzeugs. Eine Steuer einzuführen, die der geringeren Umweltbelastung eines Fahrrads im Vergleich zu einem Auto, ganz gleich welcher Antriebsart, Rechnung trägt, würde zu einem großen Aufwand für einen verschwindend kleinen Betrag führen. Es stünde auch im Widerspruch der aktuellen Regierungspolitik, umweltfreundliche Fahrzeuge zu fördern.

Ein Nummernschild würde, so der Standpunkt der Befürworter, die Unterscheidung der Fahrräder, beispielsweise bei regelwidrigen Vergehen im Straßenverkehr, vereinfachen und aus Versicherungsgründen Vorteile mit sich bringen. Ein Kennzeichen, das groß genug wäre, um tatsächlich beim Fahren erkennbar zu sein, ist jedoch in der Praxis kaum umsetzbar. Der administrative und technische Aufwand und die Kosten, ganz von der praktischen Umsetzung bei Spezial-, Kinder- und Sportfahrrädern etc. abgesehen, stünde in keinem Verhältnis zu den möglichen Einnahmen oder dem praktischen Nutzen.

Des Weiteren sind die meisten versicherungsrelevanten Aspekte bei einem Fahrrad über die allgemeine Haftpflichtversicherung des Besitzers abgedeckt, sodass auch in diesem Fall Aufwand und Kosten in keinem Verhältnis zum zu erwartenden Nutzen stehen würden. Eine solche Reglung würde schlussendlich die Frage aufwerfen, wie mit anderen Fahrzeugen, wie beispielsweise Tretrollern oder Skateboards, umzugehen wäre. Konsequenterweise könnte sogar für Fußgänger die gleiche Argumentation (Benutzung von Infrastruktur und Erkennbarkeit bei Vergehen) angewendet werden.

8. Fahrradfahrer sollen auf den Radwegen bleiben und haben auf der Straße nichts zu suchen!

Fahrradfahrer benutzen die Radwege, insofern diese: 1) überhaupt vorhanden sind: Die meisten Orte/Adressen sind aktuell nicht über einen Radweg zu erreichen und zwischen zwei Radwegen kann sich ein Fahrrad nicht in Luft auflösen; 2) in die gewünschte Richtung führen: Auch wenn ein Radweg „nicht weit weg ist“ oder sogar straßenbegleitend ist, ist das eigentliche Ziel des Radfahrers nicht unbedingt über den Radweg zu erreichen; 3) Hindernisfrei zu befahren sind: Zu enge, mit Hindernissen wie Mülleimern, Absperrungen, nicht abgesenkten Bordsteinen, Schildern, Straßenbeleuchtungen oder Bäumen übersäte Wege bieten keinen ausreichenden Komfort; 4) mit einer ausreichenden Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer zu befahren sind: Außerhalb der größeren Ortschaften sind fast alle Radwege in Luxemburg gemischte Geh- und Radwege. Es ist im Sinne der allgemeinen Verkehrssicherheit, dass schnellere Fahrradfahrer (bspw. Pedelecs) bei einem hohen Fußgängeraufkommen auf die Straße ausweichen. Aus diesen Gründen erlaubt es der Code de la Route, Radverkehrsanlagen als nicht verpflichtend für Radfahrer auszuweisen und dass Radfahrer, die zu Trainingszwecken unterwegs sind, grundsätzlich von der Benutzungspflicht befreit sind.

Die Position des ACL

Das Tageblatt hat den Automobilclub die gleichen Thesen kommentieren lassen. Die Aussagen decken sich größtenteils mit denen des Ministeriums. Es ist demnach nicht so, dass der ACL hier als reiner Lobbyverein der Autofahrer agiert, sondern vielmehr die gesamte Bandbreite der Mobilität vertritt. Positiv bewertet der ACL im Gegensatz zum Mobilitätsministerium die Idee, Fahrräder und andere Fortbewegungsmittel wie Tretroller zu immatrikulieren (These 7). Das würde den Kampf gegen die immer verbreiteteren Diebstähle erleichtern, so der ACL.  


Radfahren in Luxemburg – die Serie:

1. Auf dem Weg zum vollwertigen Individualverkehrsmittel: Das will der nationale Mobilitätsplan 2035
2. Acht Thesen, acht Antworten: Beliebte Vorurteile gegenüber dem Rad
3. Bürgermeister Mischo über Escher Radwege: „Habe kein Problem damit, Parkplätze zu opfern“

4. Hauptstädtischer Verkehrsschöffe Patrick Goldschmidt: „Radfahren in der Stadt ist nicht überall so ohne“
5. Der lange Weg zur Mobilität der Zukunft: Blick hinter die Kulissen
6. Wenn eine Luxemburger Stadtplanerin in den Niederlanden lebt: So sieht gute Fahrradinfrastruktur aus
7. Mobilitätsminister François Bausch: „Das alte Lagerdenken muss aufgebrochen werden“

Jemp
2. Mai 2022 - 21.35

Das Traurige an diesen sogenannten Vorurteilen ist, dass es keine Vorurteile sind. Seit den extremen Fahrradpropagandaaktionen kommen sich sehr viele Fahrradfahrer vor wie die Retter und leider auch die Herren der Welt. "Verzéi dech Kreppel" (ein Radfahrer auf dem Bürgersteig zu einem Rollstuhlfahrer. Selbst erlebt, zum Kotzen!)

De Klautchen
28. April 2022 - 17.54

Ich hab noch nie gemacht was man mir befohlen hat und werde es auch in Zukunft nicht. Weder bei meiner Mutter und schon gar nicht bei einem Grünen Punkt

thillarc
26. April 2022 - 8.16

Dei tessen sin richteg , subvention all zereck bezuellen an dei Suen mei positiv investeeren well dei viel frik hun an dann den Velo hannen op den auto paken fir ze trotzen hei gesit een mech wei emweltfrendlech ech sin , dreimol am Joer an Vakanz awer ich sin jo een gudden , enn hohn fir geschellschaft .