70 Jahre D-Mark: Die härteste Währung der Welt

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Vor 70 Jahren führten Amerikaner in der „Trizone“ – den Besatzungszonen der Briten, Franzosen und Amerikaner – eine neue Währung ein. Am Sonntag, den 20. Juni 1948 wurde die Deutsche Mark geboren. Eine Erfolgsgeschichte, die mit Institutionen wie der Deutschen Bundesbank, mit Namen wie Ludwig Erhard, mit dem deutschen Wirtschaftswunder und letztlich auch mit dem Euro verbunden ist.

Leutnant Edward Tenenbaum, Spross einer jüdischen Familie, die aus Deutschland vor den Nazis geflüchtet war und in den USA Zuflucht gefunden hatte, empfing im April 1948 in einer Luftwaffenkaserne im Wald bei Kassel 25 deutsche Wirtschaftsexperten. Sie waren vom Befehlshaber der US-Truppen in Deutschland und Verwalter der amerikanischen Besatzungszone ausgesucht und zusammengeführt worden. Niemand von ihnen wusste, warum sie in die Kaserne gebracht wurden.

Deutschland war seit 1945 in vier Besatzungszonen aufgeteilt: in die britische, die amerikanische, die sowjetische und die französische. In der Hauptstadt Berlin verfügte jede dieser Mächte über einen Sektor. Die Philosophie der Siegermächte war klar. Deutschland sollte nie wieder so mächtig sein, um einen Krieg beginnen zu können.

Eingeborene von Trizonesien

Briten und Amerikaner erkannten aber schnell, dass man Deutschland wiederaufbauen müsse. Die Besatzungszonen wurden zunächst in eine britisch-amerikanische Bizone, später unter Einbeziehung der Franzosen in einer Trizone zusammengefügt. Während des Kölner Karnevals entstand ein Lied, das zeitweilig als „Nationalhymne“ betrachtet wurde: „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien.“

Briten und Amerikaner erkannten auch schnell, dass es ihnen unmöglich sein würde, die Bevölkerung zu versorgen. Die Deutschen sollten wieder selbst für sich verantwortlich werden. Die Briten fanden in Hannover zwei leer stehende Fabrikationshallen. Sie trugen dort alles zusammen, was die Deutschen noch produzieren konnten. Aus ihrem Empire flogen sie Industrielle quer über den Globus nach Hannover und setzten sie mit deutschen Produzenten zusammen. Niemand konnte ahnen, dass daraus eines Tages die weltweit größte Industriemesse, die Hannover Messe, entstehen würde und der Kern zu einer Exportnation gelegt worden war.

Der Amerikaner General Lucius D. Clay überzeugte Washington davon, dass man Deutschland wirtschaftlich neu aufbauen musste. Daraus wurde eine grundlegende Idee.

Trizonesien erfuhr es aus dem Radio

Bei den 25 Wirtschafts- und Finanzexperten gab es erhebliche Zweifel, als man sie in einer Kaserne internierte, hinter hohen Mauern und Stacheldrahtzäunen ohne jeden Kontakt zur Außenwelt. Dann die Überraschung: Leutnant Tenenbaum erklärte ihnen, dass sie die Modalitäten für eine neue deutsche Währung schaffen sollten. Joseph Dodge, Präsident der Detroit Bank und Trust Co., hatte die Grundzüge der Währung entworfen. Und da die Amerikaner den Deutschen zwar helfen, die Zügel aber in der Hand behalten wollten, war die Währung in den USA auch entwickelt worden.

Was die Experten nicht wussten: Das Geld existierte schon. Amerika hatte ihm den Namen „Deutsche Mark“ (DM) gegeben. Die ersten Banknoten hatten Ähnlichkeit mit dem Dollar. In der Operation „Bird Dog“ wurden die neuen Banknoten seit Herbst 1947 in den USA gedruckt. Danach in 23.000 Kisten verpackt, gingen sie per Schiff nach Bremerhaven, anschließend in Spezialzügen nach Frankfurt. Hier wurden sie in den Kellern einer Zweigstelle der ehemaligen Reichsbank gelagert. Von Frankfurt aus wurden die Kisten zu den Banken in der Trizone transportiert.

Am 18. Juni 1948 erfuhren die Bewohner der Trizone per Radio, dass es am Sonntag, den 20. Juni 1948 neues deutsches Geld namens „Deutsche Mark“ (DM), abgekürzt auch „Mark“, geben würde. Die Amerikaner hatten – wie die Briten – deutsche Monetär- und Strukturpolitik betrieben, ohne es zu wissen. Die Mark sollte zu einer der härtesten Währungen der Welt werden, Frankfurt zum Sitz der späteren Deutschen Bundesbank und der Europäischen Zentralbank.

40 Mark für jeden

Was aber hatten die Experten in der Kasseler Kaserne eigentlich vereinbart? Fernab von politischen und sozialen Pressionen hatten sie die härteste Währungsreform beschlossen, die es bis dato gegeben hatte. Jeder Einwohner der Trizone erhält 40 Mark am 20. Juni 1948. Im August noch einmal 20. Staatsanleihen verlieren 90 Prozent an Wert oder werden annulliert.

Sparkonten und Depots werden um 94 Prozent abgewertet. Die Unternehmen erhalten für jeden Mitarbeiter 60 Mark als Betriebskapital. Die Sparer sind innerhalb einer Generation – nach der Hyperinflation des Jahres 1923 – zum zweiten Male ruiniert. Einigermaßen unbeschadet gehen dagegen Haus- und Grundbesitzer aus der Währungsreform hervor. Sie bekommen, da Sicherheiten vorhanden sind, die notwendigen Kredite von den Banken.

Es gibt schreckliche Szenen an den Bankschaltern, wenn alte Menschen erfahren, dass sie ihr Vermögen verloren haben. Als Beispiel wird in Deutschland immer wieder die 87 Jahre alte Frau zitiert, die 1920 ihr Haus verkauft hatte. Nach der Inflation 1923 blieben ihr vom Erlös mit 15.000 Reichsmark noch 75 Prozent des Ertrags. Nach der Währungsreform 1948 schmolzen diese 15.000 Reichsmark auf 1.000 Deutsche Mark zusammen. Die Frau – vorher gut versorgt – war arm geworden. Es sind diese Erfahrungen, die das Verhältnis der Deutschen zum Geld verändert haben. „Pass gut auf, dass das Geld nicht an Wert verliert und stabil bleibt“, sagt eine 94-jährige Urgroßmutter Jahre später zu ihrem fünfjährigen Urenkel – und gibt eine deutsche Sorge über Generationen weiter.

Das Geld hat den Staat gemacht

Der kompromisslose Umtausch von Geld wird sich in Deutschland 54 Jahre nach der Währungsreform wiederholen. Die Deutschen trennen sich am ersten geschäftsoffenen Tag von der Mark und zahlen in Euro. Irgendwo liegen bei den Deutschen aber noch Milliarden Mark herum, die die Bundesbank jederzeit umtauscht.

Macht der Staat das Geld oder das Geld den Staat? Im Falle der Währungsreform 1948 hat das Geld den Staat gemacht. Deutschland bestand nicht mehr als Staat. In der Folge der Währungsreform aber trat in Bonn mit der Erlaubnis der Westmächte ein parlamentarischer Rat zusammen, der das Grundgesetz schuf. Das entstehende Westdeutschland als Bundesrepublik Deutschland setzte sich völlig vom Dritten Reich, aber auch von der Weimarer Republik ab. Die Erfahrungen einer Zentralbank als Gelddruckmaschine führten zu einer unabhängigen Bundesbank, die die Härte der Mark bewachte. Wenn heutzutage Politiker in der Europäischen Union wieder davon reden, die Unabhängigkeit ihrer nationalen Zentralbanken aufzulösen, dann führt das in Berlin und Frankfurt zu Schüttelfrost.

Mit der Währung kommen die Waren

Mit der Währungsreform füllten sich die Läden von jetzt auf gleich mit Waren. „Mutter, es gibt alles zu kaufen“, erzählte die damals 22-jährige Wilma zu Hause, als sie ihr Geld geholt hatte. Selbst junge Mutter von zwei Kindern, hatte sie zuerst Schuhe für sich und die Kinder gekauft. „Mehr durfte ich nicht ausgeben, ich musste ja eine Familie ernähren“, erzählt die heute 92-Jährige.

Mit der neuen Währung entstand in Deutschland auch ein neues Wirtschaftssystem. Der von den Alliierten als Wirtschaftsdirektor eingesetzte Professor Ludwig Erhard entwickelte zusammen mit seinem Staatssekretär Alfred Müller-Armack die „soziale Marktwirtschaft“, die die Wirtschaft mit einem „sozialen Netz“ versieht und den Staat in einer liberalen Philosophie als Normensetzer versteht.

Letztlich baute die Mark mit ihren Anforderungen den Staat Deutschland auf. Das wiederholte sich bei der Wiedervereinigung. Nur gab es da den deutschen Kanzler Helmut Kohl, der politisch entschied, eine Westmark einer Ostmark gleichsetzte und den Ruin der ostdeutschen Sparer vermied.

Nachfolger der Zigarettenwährung

Die Deutsche Mark folgt in Deutschland einer Periode, in der es eine andere Währung gab: die Zigarettenwährung. „Die Zigarette war ein Stück Geld, für das es alles gab“, schreibt John Kenneth Galbraith. Es gab andere Tauschmittel wie beispielsweise Kaffee, aber Zigaretten waren die vorherrschende Währung. Ihre Stückelung bestand aus einem Päckchen mit 20 Zigaretten, aus einzelnen Glimmstängeln oder aus ganzen Kartuschen.

Stalin blockiert Berlin

Der sowjetische Diktator Stalin hatte verstanden, dass die Einführung der Deutschen Mark in den drei Westzonen zu einem Staat führen würde. Er reagierte schnell. Noch am 20. Juni wurde in der sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Mark als Zahlungsmittel verboten. Am 23. Juni 1948 wurden dort neue Geldscheine eingeführt. (Man darf vermuten, dass die Sowjets ebenfalls eine Währungsreform vorgesehen hatten, aber die Entwicklung im Westen abwarten wollten.) Noch in der Nacht zum 24. Juni blockierten die Sowjets alle Zugänge nach Berlin. Die Amerikaner begannen daraufhin eine 322 Tage dauernde Luftbrücke nach Berlin, bis Stalin aufgab. Das Bild der Amerikaner in Deutschland änderte sich danach vom Besatzer zum Retter und Freund. Besucher wie Kennedy und Reagan wurden in Berlin gefeiert. Es fielen zwei mythische Sätze. Kennedy: „Ich bin ein Berliner.“ Reagan: „Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder.“