„Ech si fir d’Nordstreck“6.000 demonstrierten 1980 für die Bahn 

„Ech si fir d’Nordstreck“ / 6.000 demonstrierten 1980 für die Bahn 
Ankunft zahlreicher Demonstranten mit einem Sonderzug Foto: Tageblatt-Archiv/Jochen Herling

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Die Belgier, sprich die SNCB, stellten im Rahmen eines Restrukturierungsplans 1979 die Zukunft der Zugverbindung zwischen Gouvy und Rivage infrage, womit indirekt auch die Nordstrecke der CFL, die ohne diese Anbindung zur eisenbahnlichen Sackgasse geworden wäre, ihrer wirtschaftlichen Zukunft beraubt und somit zur Bedeutungslosigkeit verurteilt worden wäre; was ebenfalls einem Angriff auf die wirtschaftliche Zukunft der gesamten Region gleichkam (vgl. auch nachfolgenden Beitrag von FNCTTFEL-Ehrenpräsident Nico Wennmacher). Der FNCTTFEL-Landesverband reagierte und organisierte am 6. Juni eine Kundgebung in Ulflingen, die einen enormen Erfolg hatte und so die Zukunft der Strecke garantierte. 

Nur wenige Kundgebungen, die im Laufe der Zeit von Luxemburgs Gewerkschaften organisiert wurden, schafften es, so präsent im kollektiven Gedächtnis verankert zu sein wie die Demo der 6.000 im beschaulichen Ulflingen, dem Ort, der bei Nicht-Eisenbahnern durch seine unterschiedlichen Namen (Ëlwen, Ulflingen und Troisvierges) sowie CFL-Mitarbeitern und Fahrgästen als nördlichster Bahnhof auf großherzoglichem Territorium bekannt ist. 

Die Pläne der SNCB hatten die FNCTTFEL-Gewerkschafter also aufhorchen lassen. Zwar gab es wohlwollende Absichtserklärungen von Parlament und Regierung, die für die Erhaltung der Nordstrecke von Ettelbrück bis zur belgischen Grenze plädierten, „bisher ist aber noch nichts Konkretes geschehen“, so der damalige Präsident des Landesverbandes, Jeannot Schneider, der später CFL-Vorsitzender werden sollte, während seiner Ansprache. Die Erklärung der Regierung hatte nach Bekanntwerden der Rationalisierungspläne der belgischen Bahn neun Monate auf sich warten lassen; echtes Interesse für die Strecke habe es kaum gegeben. Der Landesverband wollte verbindliche Zusagen; dass eine Tripartite „Nordstreck“ von der Regierung eingesetzt worden war, genügte der Gewerkschaft nicht.   

Der damalige Präsident des Landesverbandes, Jeannot Schneider
Der damalige Präsident des Landesverbandes, Jeannot Schneider Foto: Tageblatt-Archiv/Jochen Herling

Die Kundgebung am Sonntag, 8. Juni 1980 konnte ob ihres unerwarteten Erfolgs somit als regelrechte nationale Solidaritätsaktion für die Strecke und den Norden gewertet werden. Mehr als die Hälfte der rund 6.000 Demonstranten waren mit Sonderzügen nach „Ëlwen“ gekommen, wo sie sich durch die einem solchen Ansturm kaum gewachsene Hauptgeschäftsstraße drängten und von den Ulflingern, die viele ihre Häuser mit Fahnen geschmückt hatten, begrüßt wurden. Eine Kinderkrippe war im Kulturzentrum von der Frauenabteilung der CGT, dem MLF und der Unifed eingerichtet worden, ein Malwettbewerb wurde organisiert, Umweltorganisationen hatten Stände aufgebaut, Eisenbahnfreunde hatten eine Dampflok nach Ulflingen gefahren. Bereits am Samstag war eine Ausstellung von Briefmarken und Ansichtskarten eröffnet worden, die Modelleisenbahner stellten im Buffet de la Gare aus, die Harmonie des Landesverbandes und die lokale Musikgesellschaft unterhielten die Menschen. Es kam bei trockenem Wetter somit eine Art Volksfeststimmung auf, zumal viele belgische Nachbarn gekommen waren, um ihre Solidarität auszudrücken.

Politisch über die Bahn hinaus

Neben dem Präsidenten der FNCTTFEL sprach OGBL- und CGT-Präsident John Castegnaro vor den Demonstranten und unterstrich die Solidarität der damals 40.000 CGT-Mitglieder. OGBL und Bucharbeiterverband würden an der Seite der Eisenbahner kämpfen, es gehe darum, Abbau zu verhindern, so der Gewerkschafter, der wenige Jahre vorher mit der Stahlkrise konfrontiert war und das Thema Abbau somit leidvoll kennengelernt hatte. Die mitgereisten OGBL-Militanten hatten ebenso wie Landesverband-Gewerkschafter Plakate dabei, die neben der Erhaltung der Strecke auch weitere politische Forderungen, wie etwa die Einführung der 36-Stunden-Woche, forderten. Die breite Solidarität erstreckte sich übrigens nicht auf die christliche Eisenbahnergewerkschaft Syprolux, deren Präsident den Mitgliedern von einer Beteiligung an der Kundgebung abgeraten hatte.      

Gegen 16 Uhr begann nach dem Solidaritätsmarsch durch den Ort die eigentliche Kundgebung am Platz vor dem Kulturzentrum, der aus allen Nähten zu platzen drohte, gefüllt mit Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und Regionen des Landes. Das Aktionskomitee der Nordgemeinden unter Vorsitz des LSAP-Politikers Jos. Wohlfahrt hatte ebenfalls mobilisiert; viele Öslinger waren bei dem Protest dabei.

Jeannot Schneider unterstrich in seiner Rede, dass die Regierung zwar mittlerweile für die Aufrechterhaltung der Strecke plädiert hatte, die Modernisierung aber vom Güteraufkommen abhängig machte und damit die Verbindung wieder infrage stellte. Transporte der Stahlindustrie, die Kohle aus dem Aachener Becken in die Werke im Süden des Landes brachten, machten damals den Hauptteil des Gütertransports über die Strecke aus: Die Stahlindustrie hatte allerdings Pläne, ihre Kohle mittelfristig aus Übersee zu importieren. Die wenig nachdrückliche Regierungserklärung konnte somit nur wenige überzeugen. Die Gewerkschaft forderte u.a. juristische Schritte und ein stärkeres diplomatisches Engagement.

Modernisierung und Elektrifizierung

Die Regierung wollte mit Gesprächen abwarten, ehe die belgischen Pläne definitiv vorlagen; für den Landesverband bedeutete dies bloß verlorene Zeit. Schnelle Verhandlungen mit Belgien, ein nationales Gesetz zur Modernisierung und Elektrifizierung (die Voraussetzungen, damit die Verbindung Schnellzugstrecke und internationale Verkehrsader bleiben könne) müsse ins Parlament.

Klare Aussagen auch auf dem rollenden Material
Klare Aussagen auch auf dem rollenden Material Foto: Tageblatt-Archiv/Jochen Herling

Der Landesverband ließ keinen Zweifel an seinem weiteren Vorgehen. Am 25. und 26. Oktober des gleichen Jahres 1980 war ein Kongress der Gewerkschaft in Ulflingen geplant. Hier sollten die Delegierten – reichten ihnen die bis dann gemachten Fortschritte nicht – einen Eisenbahnerstreik beschließen. 

Nach John Castegnaro bekundete der Generalsekretär der belgischen „Confédération générale des syndicats publics – cheminots“, René Tollet, der mit zahlreichen belgischen Kollegen angereist war, die Solidarität der belgischen Gewerkschafter. Das Problem Nordstrecke sei nicht isoliert zu betrachten; die SNCB betreibe eine Politik, die tausende Kilometer Schiene verurteile. 

Im Anschluss an die Kundgebung „sorgten Konzerte der Harmonie Ulflingen und ein Solidaritätsball für Entspannung“, wie der damalige Tageblatt-Redakteur Mars Di Bartolomeo (M.d.B.) in seiner Reportage abschließend schrieb.  

Dass Luxemburg inzwischen proportional mehr in seine Eisenbahn investiert als die in Sachen schienengestützter öffentlicher Verkehr vorbildliche Schweiz, hat auch mit der Kundgebung an jenem Sonntag vor 40 Jahren zu tun. Die Eisenbahn infrage zu stellen, würde für Politiker nach der „Manif. fir d’Nordstreck“ beruflichem Selbstmord gleichkommen. Um es sprachlich passend zu formulieren: Der Protest stellte die Weichen, auch wenn noch nicht alle Probleme gelöst sind, wie der Beitrag von Nico Wennmacher verdeutlicht.  

MarcL
9. Juni 2020 - 12.00

@Claude Oswald: Regionale Charakter? Ech sinn d'lescht Joer nach iwwer Léck op Hamburg gefuer. Huet gutt geklappt.

Claude Oswald
9. Juni 2020 - 9.32

An der Realitéit gouf d'Nordstreck zwar elektrifizéiert, awer nërdlech vun Ettelbréck gréisstendeels eegleiseg zeréckgebaut. Ausserdeem goufe souzesoe sämtlech Gidderhalen a Ladegleiser ofgerappt an erausgerappt. An zu gudder Lescht goufen déi international Schnellzich vun Holland iwwer Lëtzebuerg an Italien ofgeschaaft. D'Nordstreck huet haut nëmme méi regionale Charakter.

titi
8. Juni 2020 - 10.02

Ehre wem Ehre gebührt. Nicht zu vergessen die Verdienste und der unermüdliche Einsatz von Jos. Wohlfart, dem Gründer und ersten Vorsitzenden der " Aktioun öffentlechen Transport ".