Italien / 4.744 Jahre Haft gegen ’Ndrangheta-Mitglieder gefordert

Anwälte warten in Lamezia Terme auf die Urteilsverkündung in einem der größten Prozesse der letzten Jahrzehnte gegen die organisierte Kriminalität in Italien
Am Montag ging einer der spektakulärsten Prozesse gegen das organisierte Verbrechen zu Ende. In Lamezia Terme wurde seit drei Jahren gegen die ’Ndrangheta verhandelt. Die Staatsanwaltschaft hatte für 322 der insgesamt 338 Angeklagten zusammengenommen 4.744 Jahre Haft gefordert. Unter den prominenten Verurteilten war auch Giancarlo Pittelli, der für die Forza Italia als Senator im Oberhaus des Parlaments saß und gute Beziehungen zu Regierungschefin Giorgia Meloni pflegte.
Die Journalistenplätze im eigens für den Maxiprozess gegen Angehörige der ’Ndrangheta erbauten Bunker von Lamezia Terme waren bis auf den letzten Platz gefüllt. Mit Spannung wurden die Urteile gegen die Bosse des Mancuso-Clans von Vibo Valentina und dessen Hintermänner erwartet. Akribisch hatte der bereits zur Legende gewordene Anti-Mafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri gegen die insgesamt 338 Angeklagten ermittelt, von denen ein Gros seit vier Jahren in Untersuchungshaft sitzt. Drei Jahre lang wurde nahezu Tag für Tag im „Bunker“ verhandelt, bis es nun zur Urteilsverkündung kam.
Die Richter Brigida Cavasino, Claudia Caputo und Germana Radice sprachen nun 207 Angeklagte schuldig und wurden verurteilt, 131 weitere wurden freigesprochen. Nur vier Mafiosi wurden zu der geforderten Höchststrafe verurteilt. 67 Angeklagte wurden bereits in vorgezogenen Schnellverfahren abgeurteilt – die Mafiosi hatten sich dafür entschieden, um Haftverkürzung und Hafterleichterungen zu erhalten. Das Verfahren gegen den 69-jährigen Clanboss Luigi Mancuso wurde bereits vor einem Jahr vom Hauptprozess abgetrennt.
Rechter Senator verurteilt
Eines der spektakulärsten Urteile erging gegen den ehemaligen Senator der Forza Italia, Giancarlo Pittelli. Der Rechtsanwalt und Politiker, der im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts für die Berlusconi-Partei im Senat saß, war für die ’Ndrangheta die ideale Verbindung zu Politik und Wirtschaft. Anfangs als Anwalt für Mancuso tätig, schuf Pittelli nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft schnell die Verbindungen zwischen organisiertem Verbrechen und der Zivilgesellschaft. Dafür wurde der Jurist und Freimaurer nun zu einer Haftstrafe von elf Jahren verurteilt. Besonders pikant an der Figur Pittellis ist, dass Regierungschefin Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) den Politiker noch vor kurzem als „unseren Schatz in Kalabrien“ bezeichnet hatte.
Auch weitere Anwälte und Politiker wurden am Montag zu Haftstrafen verurteilt, so der Regionalrat Pietro Giamborino (anderthalb Jahre) und der Anwalt Francesco Stilo (14 Jahre Haft). Besonders schmerzhaft für die Ermittler war die Aufdeckung eines „Maulwurfs“ in den eigenen Reihen: Der Ex-Agent der Antimafiabehörde DIA, Michele Marinaro, muss für seinen Verrat von Ermittlungen und Razzien nun für zehn Jahre und sechs Monate hinter Gittern.
Höchststrafen erhielten die Clanbosse Saverio Razionale (30 Jahre) und Pasquale Bonavota (28 Jahre). Auch die weiteren Familienmitglieder Domenico und Nicola Bonavota ziehen für 30 bzw. 26 Jahre ins Gefängnis ein.
Symbolischer Erfolg
Der Prozess erinnert an das Maxiverfahren, das Giovanni Falcone und Paolo Borsellino Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Palermo abhielten. Damals wurden 360 Mafiosi der Cosa Nostra angeklagt und verurteilt. Dass das jetzige Verfahren gegen die ’Ndrangheta in ihrem Kernland und nicht im entfernten Rom stattfand, zeigt symbolisch, dass der Staat entschlossen gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen beabsichtigt. Bereits der Name des Prozesses „Rinascita Scott“ trägt symbolischen Charakter: Er erinnert an den US-amerikanischen Drogenermittler Sieben William Scott, der lange in Rom stationiert und persönlich mit Nicola Gratteri befreundet war. Scott hatte dem kalabrischen Ermittler geholfen, die Verbindungen der ’Ndrangheta zur kolumbianischen Drogenmafia aufzudecken.
Symbolisch auch die Vielzahl der Angeklagten und nun Verurteilten, die sich durchaus in respektablen Funktionen der Gesellschaft wiederfanden: Juristen, Polizisten, Carabinieri, Wirtschafts- und Politikfunktionäre – sie alle zeigen, wie das organisierte Verbrechen längst viele Bereiche der italienischen Zivilgesellschaft (und nicht nur dort) durchdrungen hat. Bei einer kriminellen Vereinigung, die jährlich Geschäfte in Höhe von Dutzenden Milliarden abwickelt, vermag das jedoch kaum zu verwundern. Gratteri und Kollegen werden trotz des jetzt spektakulären Prozesses auch in den kommenden Jahren viel zu ermitteln haben.
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