/ 100,7-Chefredaktion wünscht sich Unabhängigkeitsgarantien
Drei Tage vor der Geburtstagsparty zum 25. Jahrestag reichte der Direktor seine Kündigung ein. Drei Tage nach der Feier zieht die Chefredaktion des Senders gegen den Verwaltungsrat und die Regierung vom Leder.
Lesen Sie zu diesem Thema auch den Kommentar von Pol Schock.
Den Stein ins Rollen gebracht hatte am letzten Donnerstag der Rücktritt von Direktor Jean-Paul Hoffmann. Nicht mal seine Vertrauten in der Redaktion wussten von dieser Entscheidung. Chefredakteur Jean-Claude Franck und die stellvertretende Chefredakteurin Pia Oppel sprachen am Mittwoch in ihrer Medienchronik (siehe www.100komma7.lu) von einem „überstürzten Abgang“. Ob der Rücktritt im Zusammenhang mit „Gouvernance“-Problemen stehe, sagte Hoffmann nicht, so die Chefredaktion. Der Direktor lasse das Radio im Stich, statt weiterhin für Veränderungen zu kämpfen.
Dass Hoffmanns Rücktritt mit einem gestörten Verhältnis zum Verwaltungsrat zu erklären ist, stimmt nur teilweise. Tatsächlich habe er mangelndes Vertrauen seitens des Verwaltungsrats verspürt, sagt Hoffmann. Zu seinem Schritt habe ihn jedoch auch die Überzeugung geführt, er könne nichts mehr zur Weiterentwicklung des Betriebs beitragen. Das müsse nun ein anderer tun, sagte er uns. Die Enttäuschung der Redaktion sei durchaus nachvollziehbar.
Der scheidende Direktor war jedoch auch im Unternehmen selbst umstritten. Es gab eine Pro- und eine Anti-Hoffmann-Fraktion. Unzufrieden seien einzelne Abteilungsleiter gewesen, denen er Befugnisse entzogen habe, um sie der Redaktion zu übertragen, so eine mit den Vorgängen im Sender vertraute Quelle. Die internen Spannungen lassen jedoch Hoffmann kalt. Wenn einzelne Personen unzufrieden seien, sei das eben so, sagt er. Doch seine Demission ist lediglich ein Nebenschauplatz im Kampf, der derzeit die Gemüter im Radio 100,7 bewegt. Tatsächlich geht es um Prinzipielles: Darum, wie die Sendeanstalt von der „externen Gouvernance“ geführt und kontrolliert wird.
Risiko einer Politisierung
Diese „Gouvernance“ obliegt einem Verwaltungsrat, dessen Mitglieder aktuell allein von der Regierung, insbesondere vom Medienminister, nominiert werden. Dieses Gouvernance-System beinhalte das Risiko einer Politisierung, zitieren Franck und Oppel aus einem Audit, das von Experten der EBU, dem europäischen Verbund öffentlich-rechtlicher Radio- und Fernsehanstalten, im April 2018 vorgelegt wurde.
Die Art der Finanzierung des Senders, fast 100 Prozent aus dem Staatsbudget, mache ihn politisch abhängig und könnte zu seiner Politisierung führen, heißt es im EBU-Bericht.
Problematisch ist laut Chefredaktion, wenn eine Regierung die neun Mitglieder des 100,7-Verwaltungsrats nominiere, der wiederum mit einer Zweidrittelmehrheit den Direktor bestimme. „Mit diesem System kann jede Regierung das öffentlich-rechtliche Radio kontrollieren“, so die Autoren des Brandbriefs.
Der Direktor soll in Zukunft auf fünf Jahre ernannt werden, heißt es im Entwurf eines Textes zur Reform des großherzoglichen Reglements zum 100,7, auf den sich Franck und Oppel berufen. Problematisch sei auch, dass laut genanntem Reformtext die Regierung über das Gehalt der 100,7-Mitarbeiter entscheiden soll. Über den Lohn könne man großen Einfluss ausüben. Senkt man die Gehälter beim Radio 100,7, werde die private Konkurrenz attraktiver. Man könne diese Entscheidungen nicht einem Ministerium überlassen, dessen Kabinettschef als Regierungskommissar für Medien in Beziehung zu RTL stehe.
Chaos im Verwaltungsrat
Franck und Oppel sprechen in diesem Fall von einem Interessenkonflikt. Kabinettschef Paul Konsbrück sei an den Budgetgesprächen für 100,7 und an den Verhandlungen zur Erneuerung des RTL-Konzessionsvertrags beteiligt. Vor einem Jahr hatte die Regierung Laurent Loschetter, Mitbegründer von „Den Atelier“, zum Präsidenten des Verwaltungsrates des „Etablissement de radiodiffusion socioculturelle du Grand-Duché de Luxembourg“ (ERSL) ernannt. Premierminister Xavier Bettel hatte noch am Sonntag jeden Bezug Loschetters zu seiner DP zurückgewiesen.
Der Premier habe sich eine Vertrauensperson an der Spitze des Verwaltungsrats gewünscht, um den Sender weiterzuentwickeln, bestätigte Loschetter selbst. Er verstehe seine Aufgabe anders als im Wörterbuch beschrieben, zitieren Franck und Oppel Loschetters Aussage am vergangenen Sonntag anlässlich der Geburtstagsfeier. 13 Monate später verliere das Radio einen Direktor, der fünf Jahre lang für mehr Anerkennung des Radios und mehr Mittel gekämpft habe, so die Chefredaktion.
Sie spricht von chaotischen Zuständen im Verwaltungsrat. Das Mandat von zwei Ratsmitgliedern sei bereits im August abgelaufen. Dasjenige von Nico Helminger sei bisher nicht neu besetzt worden. Ebenso das Mandat von Michèle Vallenthini. Dennoch habe sie am 7. September an einer Verwaltungsratssitzung und an der Nominierung des neuen Programmchefs teilgenommen. Diese und andere Entscheidungen seien, streng prozedural betrachtet, falsch gewesen, so die 100,7-Redaktionsleiter.
Politik mischt sich ein
Sorgen bereitet die bedrohte Unabhängigkeit des Senders. Diese sei gesetzlich nicht garantiert. Vielmehr hänge sie vom guten Willen der Regierung ab. Der Verwaltungsrat bedürfe eines Deontologiekodex, eines unabhängigen Präsidenten, und das noch vor der Designierung eines neuen Direktors, fordern Franck und Oppel. Einem neuen Gesetz zum Radio 100,7 müsse eine sachliche Debatte über das Finanzierungsmodell und die Nominierungsprozedur der Verwaltungsratsmitglieder vorausgehen, so die beiden.
Die Unruhe bei 100,7 hat in der Zwischenzeit auch die politische Sphäre erreicht. Am Mittwoch beantragten „déi Lénk“ und die CSV eine Dringlichkeitssitzung des Parlamentsausschusses Medien und Kommunikation. Bereits am Montag hatten Sam Tanson („déi gréng“) und Franz Fayot (LSAP) im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Jean-Paul Hoffmann parlamentarische Anfragen an Medienminister Xavier Bettel (DP) gerichtet.
Stellenwert und Zukunft des soziokulturellen Radios waren ebenfalls Thema am Sonntag anlässlich eines Rundtischgesprächs im Rahmen der 25-Jahr-Feier von 100,7. Teilnehmer war u.a. Xavier Bettel. Zur Sprache kam das mangelnde Interesse der Politik für die weitere Entwicklung des Senders. Gleichzeitig war auf die Gefahren einer politischen Einflussnahme hingewiesen worden. Die sei wohl derzeit nicht direkt gegeben, hieß es. Die aktuelle Satzung des ERSL schließe eine solche jedoch nicht aus.
Xavier Bettel reagiert
Premier- und Medienminister Xavier Bettel hat die von 100,7-Chefredakteur Jean-Claude Franck und der stellvertretenden Chefredakteurin Pia Oppel erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen, gibt gleichzeitig jedoch Versäumnisse bei der Bestellung neuer Verwaltungsratsmitglieder zu. In seinem am Mittwoch dem Sender zugestellten Schreiben erinnert er daran, dass unter dieser Regierung dem Sender finanzielle Planungssicherheit gewährt wurde, da erstmals eine mehrjährige Konvention unterschrieben worden sei. 2018 sei sie erneuert worden. In einem Zeitraum von zehn Jahren seien die Budgetmittel um 25 Prozent gestiegen.
Dass 100,7 einem Audit durch die EBU unterzogen wurde, sei auf Initiative des Medienministers erfolgt. Er sei zu einer Parlamentsdebatte über alternative „Gouvernance“-Modelle bereit, wie von der EBU vorgeschlagen. Was die Mandatsdauer des Direktors anbelangt, so sei diese laut dem neuesten Entwurf für das abzuändernde großherzogliche Reglement zum Radio 100,7 auf sieben Jahre festgelegt worden. Damit solle der Rhythmus der Legislativwahlen durchbrochen und die Unabhängigkeit der Direktion gewahrt werden, heißt es bei Bettel. Das neue Reglement werde erst nach Beratung mit den Radioverantwortlichen und dem Parlament verabschiedet.
Auch die Problematik der Lohngestaltung für die 100,7-Mitarbeiter versucht Bettel ins rechte Licht zu rücken. Bisher bedurfte die Gehaltshöhe der Zustimmung der Medien- und Finanzminister. Dem Reformtext zufolge soll in Zukunft der Ministerrat entscheiden.
Seinen Kabinettschef nimmt Bettel aus der Schusslinie. Als Regierungskommissar wache er über die richtige Umsetzung des Konzessionsvertrags zwischen der Regierung und der CLT-UFA. Diese Aufgabe stehe in keiner Beziehung zu 100,7. Bettel bestätigt hingegen Versäumnisse bei der Mandatserneuerung im Verwaltungsrat. Die von der 100,7-Redaktionsleitung genannte Michèle Vallenthini hätte tatsächlich nicht an der Verwaltungsratssitzung vom 7. September teilnehmen dürfen. Die Entscheidungen würden formal berichtigt.
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Das Geheimradio soll einfach ein ITV machen mit dem Kultusminister himself und direkt und unerschrocken fragen was denn so läuft…