Black Lives Matter in Luxemburg1.500 Teilnehmer setzen vor der US-Botschaft ein starkes Zeichen gegen Rassismus

Black Lives Matter in Luxemburg / 1.500 Teilnehmer setzen vor der US-Botschaft ein starkes Zeichen gegen Rassismus
Mit friedlichen Protesten setzten sich an der US-Botschaft mehr als 1.500 Demonstranten dem Rassismus in Luxemburg und der ganzen Welt entgegen Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Mehr als 1.500 Menschen haben am Freitag vor der US-Botschaft in Luxemburg ein starkes Zeichen gegen Rassismus und rassistisch motivierte Gewalt gesetzt. Im Mittelpunkt standen natürlich die jüngsten Vorkommnisse um den Tod von George Floyd im US-Bundesstaat Minnesota. Allerdings ist Rassismus auch in Luxemburg immer noch allgegenwärtig.

Die wohl aussagekräftigste Szene des Nachmittags ereignete sich gegen Ende der Protestaktion: Ein junger Schwarzer, dem Anschein nach noch im Teenager-Alter, hatte sich etwas abseits der Menschenmenge mit zwei Polizisten angelegt. Gleich mehrmals versuchte der Unruhestifter die Beamten am Rande der Demonstration für Gerechtigkeit vor der US-Botschaft auf Limpertsberg mit Beleidigungen und Drohgebärden aus ihrem Streifenwagen zu locken. Die Polizisten jedoch ließen sich nicht aus der Ruhe bringen, was den Jugendlichen noch mehr in Rage versetzte.

„Der Staat missbraucht seine Macht. Nieder mit der Polizei. Ihr seid das Problem!“, schrie er den Beamten nebst obszönen Beleidigungen entgegen. „Nein! Das Problem bist du!“, entgegnete ihm plötzlich eine Frau dunkler Hautfarbe, die sich aus der kleinen Menschentraube gelöst hatte, die sich um den Ort des Geschehens herum gebildet hatte. Der junge Mann aber zeigte sich zunächst noch unbeeindruckt und setzte seine Hasstirade fort.

„Wir sind hier, um friedlich zu demonstrieren! Menschen wie du aber beschmutzen das Andenken von George Floyd. Wegen euch hört uns niemand zu“, redete die Frau mit ruhiger, aber entschlossener Stimme auf den jungen Mann ein. Mit „euch“ waren jene Menschen gemeint, die mit ihren Gewalttaten und zerstörerischen Akten bei den weltweiten Protestaktionen gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt in den letzten Tagen vom eigentlichen Problem abzulenken versuchten. „Uns“ galt indessen jenen Demonstranten, die nicht weiter tatenlos zusehen wollen, wie Menschen dunkler Hautfarbe systematisch benachteiligt werden und zeitweise sogar um ihr Leben bangen müssen.

„Gewalt ist das Problem, nicht die Lösung“, so die Demo-Teilnehmerin unter dem Applaus der umstehenden Beobachter. Einen kurzen Moment lang hielt der Unruhestifter inne, den Blick hilfesuchend durch die Menge schweifend, in der Hoffnung, weitere Überzeugungstäter für sich gewinnen zu können. Verloren auf weiter Flur aber zog der junge Mann schimpfend und alleine von dannen.

Tatsächlich sind es die Gewalt und schweren Unruhen, die den Protesten in den USA nach der Tötung von George Floyd bei einem Polizeieinsatz im US-Bundesstaat Minnesota einen faden Beigeschmack verleihen. Dabei ist es gerade dieser Zyklus rassistisch motivierter Gewalt, den ein überwiegender Großteil der Demonstranten in und außerhalb der Vereinigten Staaten zu brechen versuchen.

Im Mittelpunkt der Demo standen die Vorkommnisse im US-Bundesstaat Minnesota, bei denen George Floyd sein Leben lassen musste. Der Afroamerikaner hatte mehrere Minuten lang nach Luft gerungen, weil ihm ein Polizist das Knie in den Hals bohrte. 
Im Mittelpunkt der Demo standen die Vorkommnisse im US-Bundesstaat Minnesota, bei denen George Floyd sein Leben lassen musste. Der Afroamerikaner hatte mehrere Minuten lang nach Luft gerungen, weil ihm ein Polizist das Knie in den Hals bohrte.  Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

„Ich habe euch verstanden“

Umso erfreuter zeigten sich die Organisatoren der Protestaktion, dass so viele Menschen in Luxemburg ihrem Aufruf in den sozialen Netzwerken gefolgt waren, um friedlich vor der US-Botschaft in Luxemburg gegen die Polizeigewalt in den USA und gegen Rassismus im Allgemeinen zu demonstrieren. Vor allem das große Echo in der Bevölkerung habe sie sehr berührt, unterstrich im Anschluss Jennifer He Olding von der noch jungen Vereinigung „Lëtz Rise Up“, die hinter dem Aufruf in den sozialen Netzwerken steckte.

Die Idee einer Demo sei spontan während einer Diskussion unter Gleichgesinnten in einer Gruppe des Nachrichtendienstes Whatsapp entstanden. „Zunächst dachten wir, es würde niemanden interessieren. Wir haben mit rund hundert Teilnehmern gerechnet“, so Olding. Dass sich letztendlich weit mehr als tausend Demonstranten an einem verregneten Freitagnachmittag vor der US-Botschaft einfinden sollten, damit habe niemand gerechnet. „Es war ja auch alles sehr friedlich“, fuhr das Mitglied der feministischen und antirassistischen Vereinigung fort. „Man hat gesehen, dass die Leute ein echtes Anliegen hatten und nicht einfach nur Ärger bereiten wollten.“

Organisiert wurde die Demo von der noch jungen Vereinigung „Lëtz Rise Up“, die vor allem in den sozialen Netzwerken zur Protestaktion aufgerufen hatte
Organisiert wurde die Demo von der noch jungen Vereinigung „Lëtz Rise Up“, die vor allem in den sozialen Netzwerken zur Protestaktion aufgerufen hatte Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Ein Sentiment, das auch von US-Botschafter J. Randolph Evans geteilt wurde. Für die geschätzten 1.500 Demonstranten hatte der gelernte Anwalt aus dem US-Bundesstaat Georgia nur Lob und Dank übrig: „Ich habe euch zugehört und auch verstanden“, ließ der US-amerikanische Diplomat in einer offiziellen Stellungnahme nach der Protestaktion verlauten. Dank der friedlichen Stimmung seien die Demonstranten auch von anderen Menschen verstanden worden, fuhr Botschafter Evans fort, der die Veranstaltung aus Sicherheitsgründen vom Botschaftsgelände aus verfolgte.

Als Amerikaner wolle man nun einzeln und geschlossen als Nation wieder nach mehr Einigkeit streben. „Und die heiligen Verpflichtungen, die wir uns in unserer Verfassung gegeben haben, vollständig erfüllen“, so der Botschafter, der bereits im Vorfeld der Protestaktion gegenüber dem Tageblatt viel Verständnis für das Anliegen der Demonstranten aufgebracht hatte. Die große Anteilnahme beweise, dass sich mittlerweile viele Menschen des Problems bewusst seien. Vorfälle wie der Mord an George Floyd könnten einfach nicht mehr schweigend hingenommen werden.

„Ja, die Vereinigten Staaten haben ein Rassismus-Problem“, bestätigte der Botschafter im Gespräch mit dem Tageblatt. Allerdings sei Rassismus nicht allein in den USA überall anzutreffen. „Leider ist das Phänomen noch auf der ganzen Welt allgegenwärtig.“ Persönlich begrüße er friedliche Proteste: „Proteste bedeuten aber auch Fortschritt. Meine Hoffnung ist es, dass die gegenwärtigen Vorkommnisse Wunden offenlegen, damit diese nun endlich heilen können“, so Evans.

Aus Sicherheitsgründen konnte sich der US-Botschafter nicht unter die Teilnehmer mischen. Er hat das Geschehen jedoch vom Botschaftsgelände aus verfolgt und sich später bei den Demonstranten bedankt.
Aus Sicherheitsgründen konnte sich der US-Botschafter nicht unter die Teilnehmer mischen. Er hat das Geschehen jedoch vom Botschaftsgelände aus verfolgt und sich später bei den Demonstranten bedankt. Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

„Black lives matter – I can’t breathe“

Wie tief aber manche Wunden sitzen, konnte gestern an den zahlreichen Teilnehmern und den unterschiedlichen Botschaften abgelesen werden. Mehr als 1.500 Menschen hatten sich in den Straßen rund um die US-Botschaft eingefunden, um sich solidarisch mit den Protesten rund um den Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA zu zeigen und dem systematischen Rassismus den Kampf anzusagen. Es war eine kunterbunte Schar, im wahrsten Sinne des Wortes, die immer wieder zu Sprechgesängen anstimmte und Parolen wie „Black lives matter – I can’t breathe“ oder „No justice, no peace“ skandierte.

Dabei waren es überwiegend junge Menschen, darunter auch viele Mitbürger schwarzer Hautfarbe, die ihrem Unmut friedlich freien Lauf ließen. „Schwarzsein ist kein Verbrechen. Schweigen aber schon!“, meinte ein Teilnehmer gegenüber dem Tageblatt und wiederholte damit den Spruch, den er mit schwarzem Filzstift auf ein Stück Karton geschrieben hatte. Nach den jüngsten Übergriffen auf Afroamerikaner in den USA sei die Zeit reif, den systematischen Rassismus auf allen Ebenen zu bekämpfen.

„Wir dürfen aber nicht vergessen, dass auch in Luxemburg noch viele schwarze Mitbürger täglich mit Rassismus konfrontiert werden“, erinnerte eine junge Demonstrantin an die Resultate der Studie „Being Black in Europe“, die bereits 2018 verstörende Einblicke in den Alltag schwarzer Menschen im Großherzogtum offenbart hatte. Der einzige Unterschied zu den Vereinigten Staaten bestehe darin, dass Rassismus in Luxemburg oft nur verdeckt zum Ausbruch komme. „Wenigstens müssen sie hier nicht um ihr Leben bangen“, so die junge Frau weiter.

Besonders Mitbürger schwarzer Hautfarbe werden in Luxemburg immer noch mit Rassismus konfrontiert. Mit dem Unterschied, dass sie hier nicht um ihr Leben bangen müssten, wie eine junge Teilnehmerin betonte. 
Besonders Mitbürger schwarzer Hautfarbe werden in Luxemburg immer noch mit Rassismus konfrontiert. Mit dem Unterschied, dass sie hier nicht um ihr Leben bangen müssten, wie eine junge Teilnehmerin betonte.  Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Ähnlich sah es auch ein erwachsener Demonstrant, der seine zwei Söhne zur US-Botschaft begleitet hatte. „Eigentlich halte ich mich für einen aufgeschlossenen, gebildeten Menschen. Dabei ertappe auch ich mich ab und an noch bei Gedanken, die man zumindest als diskriminierend bezeichnen könnte. Zum Beispiel wenn mir ein Mitbürger mit einer etwas dunkleren Hautfarbe beim Geldautomaten zu nahe kommt. Es ist bereits vorgekommen, dass ich meinen Geldbeutel anschließend etwas fester in die Hand genommen habe“, gibt der Betroffene unumwunden zu. Hoffnung aber bereiten ihm seine Söhne: „Beide bewegen sich in einem extrem heterogenen Freundeskreis, in dem die Hautfarbe und Herkunft, ja sogar die sexuelle Orientierung, überhaupt keine Rolle zu spielen scheinen.“

Verdeckter Rassismus in Luxemburg

„Rassismus gibt es prinzipiell überall auf der Welt, auch in Luxemburg“, betonte indessen Jennifer He Olding von „Lëtz Rise Up“. Im Großherzogtum äußere sich der Rassismus meist nicht durch körperliche Gewalt oder Aggressionen, sondern eher in Stereotypen. Sie selbst habe asiatische Wurzeln. Entsprechende Erfahrungen seien leider nicht ausgeblieben.

„Offenen Rassismus, wie etwa Beleidigungen wegen meiner Hautfarbe, habe ich zuletzt in der Schule erlebt“, bestätigt auch ein Mann kapverdischer Herkunft. Was aber nicht bedeute, dass er keiner Diskriminierung mehr ausgesetzt sei. „Diese offenbart sich vielmehr verdeckt, sodass ich oft nicht mit allerletzter Sicherheit sagen kann, ob nun Rassismus dahintersteckt oder eine offensichtliche Erklärung, die mir aufgrund meiner Erfahrungen als Kapverdier aber nicht einleuchtet“, betont der gelernte Informatiker.

Dabei störe er sich kaum noch an Menschen, die sich wegen seiner Ausbildung wundern. „Wie, du hast Première?“ oder ein verwundertes „Du warst auf der Uni?“ seien mittlerweile Klassiker, die ihm kaum noch etwas anhaben können. Es seien vielmehr kleine Misserfolge im Alltag, Gegenwind oder Absagen, die ihn ins Grübeln bringen. Bei der Suche nach einer neuen Wohnung habe er jüngst zwei Absagen erhalten, nachdem die Eigentümer ihn kennenlernen wollten. „Dabei war mit der Agentur bereits alles abgeklärt“, so der Betroffene. Geklappt habe es erst im dritten Anlauf. „Als ich mit meiner Freundin auftauchte, einer gebürtigen Luxemburgerin mit dem Nachnamen Hoffmann“.

Er persönlich freue sich über den Zuspruch der weißen Mitbürger, doch: „Leider musste es in den USA zu einer Tragödie kommen, dass auch hier die Menschen aufgerüttelt werden“, gab der junge Mann zu bedenken. Nichtsdestotrotz habe er das Gefühl, dass sich etwas tue. „Wenn ich mir die Menschen hier ansehe, die Parolen auf den Plakaten oder die Aussagen in den sozialen Netzwerken, schöpfe ich etwas Mut“, so der Kapverdier abschließend.

Hunderte Plakate, eine Botschaft: Rassismus erteilten die Teilnehmer eine klare Absage
Hunderte Plakate, eine Botschaft: Rassismus erteilten die Teilnehmer eine klare Absage Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Tatsächlich hatten sich die meisten Teilnehmer kreative Sprüche oder einfache Solidaritätsbekundungen auf die Fahne (und Plakate) geschrieben, um ihrer Solidarität auch verbal Ausdruck zu verleihen. Neben den klassischen „Black lives matter“ und „I can’t breathe“ waren auch Parolen wie „It’s not white people vs black people. It’s everyone against racism“, „I’m not black but I see you, I hear you, I mourn with you and I will fight with you“, „From Luxembourg to Minnesota: We are tired!“ oder „Racism is the deadliest pandemic“ zu lesen. Andere Teilnehmer erteilten dem Schweigen, einer neutralen Haltung und der Ungerechtigkeit eine klare Absage. Alle Teilnehmer blieben in ihrem Protest aber friedlich.

Das bestätigten zum Abschluss auch die Ordnungskräfte. „Die Demo war friedlich, Probleme hatten wir keine“, so ein Sprecher der Polizei. Zwar sei man im Vorfeld nicht von gewalttätigen Protesten ausgegangen, dennoch sei die Polizei auf alles eingestellt gewesen. Beobachtern dürfte jedoch aufgefallen sein, dass sich die Beamten dezent im Hintergrund aufhielten, während der Polizeihubschrauber die Situation aus der Ferne verfolgte.

Tom Müller
6. Juni 2020 - 15.08

Beim Betrachten der medialen Aufmerksamkeit die diesem Mord gewidmet wird, scheint es wohl so zu sein dass ein schwarzes Opfer mehr zählt als die massenhaften Opfer anderer Hautfarbe. Wieso gibt es keine Demos in grossem Stil gegen die Morde an Palästinensern im Gaza-Streifen und Westjordanland, die Inhaftierung der Uiguren in chinesischen 'Erziehungslagern', die bestialischen Tötungen von weissen Farmern in Südafrika usw.